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Kawumm Warum gibt es in China keine modernen Superhelden? Schuld daran ist ein Minenfeld an Befindlichkeiten – filmische Zerstörungslust ist ein Tabu

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Wenn in China ein Superheld auf die Welt käme, hielten Sie das für unpassend?“, will das chinesische Gesellschaftsmagazin Renwu (Portrait) in seiner Juni-Ausgabe 2014 von Matthew Costello und Kent Worcester wissen. Die US-Politologen forschen zum Superhelden-Phänomen. Anlass des Interviews war ihr im Januar veröffentlichter Artikel „The Politics of the Superhero“, mit dem die Fachzeitschrift Political Science and Politics ein Symposium einleitet.

„Ich fände es überhaupt nicht seltsam“, antwortet Costello. Wenn China immer weiter mit der Welt zusammenwachse und sich sozioökonomisch weiter so rasant verändere wie in den letzten Jahrzehnten, dann könnten Superhelden und andere Idole der Popkultur zu Mittlern bei der Rekonstruktion gesellschaftlicher Identitäten werden.

Schutt und Asche

Hier endet das Interview und Costellos Satz hallt nach. Widersprechen würde ihm der chinesische Filmkritiker und SciFi-Autor Ma Boyong. Im Juli 2012 hat er einen Blogtext mit dem Titel „Warum China keine Superhelden-Filme hat“ veröffentlicht. Klassische, teils mit Superkräften ausgerüstete Helden wie den Affenkönig Sun Wukong oder den Kampfkunstmeister Huang Feihong kennt zwar jeder Chinese, aber moderne, die Welt rettende Superhelden mit Maske und Kostüm fehlen im Pantheon. Klar, mag man einwerfen, die sind schließlich US-amerikanischer Kultur entstiegen – andere Länder haben ja auch keine. Ma gibt aber eine andere Erklärung und röntgt die chinesische Behördenseele.

Mit Freunden entwirft er in Gedanken das Skelett eines Drehbuchs und spielt Einwände der Zensoren durch. Um die gleich zu hofieren, skizziert er seinen Superhelden als Modellbürger, als regierungstreuen Vorzeige-Chinesen aus guter Familie: tugendhaft, nachsichtig, patriotisch. Ein bisschen Clark Kent, ein bisschen Peter Parker. Er ringt in Peking ein von Terroristen gesteuertes Monster nieder und rettet so die ganze Stadt. Dabei geht Peking natürlich zu Bruch, sonst blieben die Kinos leer. Hier aber fange das Problem schon an. Während Japaner und US-Amerikaner in Filmen mit Wonne ihre Städte plätten, gehe das in China überhaupt nicht. Bedenkenträger an jeder Ecke, ein Minenfeld an Befindlichkeiten.

In dem sich Ma gleich suhlt. Am Tor des Himmlischen Friedens soll der Endkampf steigen. Mit allen Wallfahrtsstätten in Schlagweite: Volkshelden-Denkmal, Große Halle des Volkes, Mao Zedong-Mausoleum. „Schnapp!“ macht da die Schere im Kopf. Unberührbar, Finger weg, pfui. Welche politische Aussage hätte das? Schnell woanders hin. Aber auch weniger bedeutungsschwangere Orte in Peking seien tabu, sofort zückt die Zensur den Rotstift: Wolle man die Stadtplanung in den Schmutz ziehen, wenn man das Finanzviertel zur Arena mache? Was sollen die Geschäftsleute denken? Der Brand des CCTV-Hochhauses ist doch schon Jahre her und die Schuldfrage geklärt, zweifelt der Film jetzt das Untersuchungsergebnis der Behörden an?

Zuständigkeiten

Ok, dann zur Chinesischen Mauer, die ist weit weg, sagt er sich. Aber die stehe doch für China, wird gleich weiter moniert: Selbst wenn alles nur fiktiv ist, wie wirkt das auf Zuschauer? Wenn jemand Bilder von der zerstörten Mauer ins Netz stellt und dazu schreibt, China sei so und so, dann hätte das schlechten Einfluss auf die Gesellschaft und wäre kaum wiedergutzumachen. Und woher kommen die Terroristen? Aus Europa, den USA oder Russland? Das führt zu diplomatischem Zwist. Aus dem Mittleren Osten? Noch schlimmer.

Und am Ende des Drehbuch heißt es, niemand komme in Peking gegen das Monster an – außer dem Superhelden. Schließt „niemand“ auch die Sicherheitskräfte mit ein? Diffamiert das nicht das Image der Polizei bei den Leuten? Gut, wieder Drehbuch ändern. Superheld und Polizei kämpfen zusammen gegen die Bösen. Und wer hört dann auf wen? Der Superheld auf die Polizei, oder die Polizei auf den Superhelden? Ist der Superheld einer Behörde unterstellt? Nochmal Drehbuch ändern. Der Superheld ist nun im normalen Leben Polizist, sein Alter Ego geheim. Das geht aber noch weniger, wie soll so etwas vor der Einheit zu verheimlichen sein?

Uncool

Da haben Ma und Freunde dann keine Lust mehr. Ihr Gedankenspiel zeigt die häufig zu beobachtende Jagd Chinas Offizieller nach der rechten Form und wie sie dabei nacktem Formalismus aufsitzen. Hier die Filmaufsicht. Dem Image wegen, nach innen und außen. Als wollte ein Spießbürger sein Blumenbeet retten. Nur ist mit Bierernst kein Staat zu machen, kein moderner. Aber Chinesen brauchen Kontrolle, sprach einst Actionstar Jackie Chan und gab scharfen Senf zum Diskurs über die Qualität seiner Landsleute ab. Die sind indes schon weiter und wissen Fiktion so zu nehmen, dass nicht gleich Konterrevolution droht.

Der Blick nach Japan und in die USA lohnt. Japans Regierende, selbst auch keine Meister im sich-locker-machen, hatten nichts dagegen, dass Godzilla und Kumpane jahrzehntelang durch Tokio turnten. Und jüngst war es ihnen auch egal, dass die Echse gen San Francisco zog. Gut, um es vor anderen Monstern zu retten, aber kaputt ging trotzdem viel. Überhaupt, die USA. Wie oft hat's da schon gekracht? Und wo nicht? Selbst 9/11 hat daran nicht allzu viel geändert. 2013, eben erst, schallte es aus Hollywood White House Down.

Aber vielleicht dreht sich jetzt der Wind in China, kommen seine Behörden auf Fiktion besser klar zumindest auf ausländische. Nachdem noch 2009 Shanghai in Transformers 2 nahezu unkenntlich geschnippelt wurde, ist nun im vierten Streich Hongkong gleich Ort der Entscheidungsschlacht. Ok, Hongkong, Sonderverwaltungszone mit viel Renitenz und fern von Pekinger Heiligtümern, auf der anderen Seite des Planeten China. Da darf's schonmal rappeln. Und wenn das Drehbuch Chinas Verteidigungsminister auch noch Zeilen kredenzt wie Die Zentralregierung wird Hongkong nach allen Kräften unterstützen.“, dann muss da keine Schere schnappen. Klar, Optimus Prime ist kein Spider-Man, die Transformers gehören nicht zur Gattung Superheld. Aber sie verrichten gleiches Handwerk, sind Weltretter und Abrissbirne im Urbanen. Wer weiß, so unkaputtbar wie die Reihe ist, vielleicht steht ja Optimus Prime demnächst in einem Pekinger Trümmerfeld und hält seine Pranke schützend vor Maos Dornröschensarg. Superheldenforscher Costello hätte Freude dran.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

chinaschau

Autor: Oliver Pöttgen | chinaschau@web.de | fachchinesisch.tv

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