Rauchen gegen Hitler

Feuerkraft Wie Franz Müller Deutschland den Endsieg nahm – eine Übersetzung aus dem Chinesischen

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Der 1970 in Hongkong geborene Liang Wendao gehört zu Chinas profiliertesten Intellektuellen und ist besonders als Kolumnist und Moderator bekannt. Seine Texte zeichnen sich durch ungewöhnliche Blickwinkel und Freigeist aus. In diesem 2006 erschienenen Zeitungsessay stößt ihn das Hongkonger Tagesgeschehen dazu an, über die Tabakpolitik der Nationalsozialisten nachzudenken.

Die Anti-Raucher-Partei NSDAP

Liang Wendao

Wenn ich sehe, wie heute das Rauchverbotsfieber grassiert und sich die Herren Politiker mit Engelsgesicht um die Volksgesundheit sorgen, dann kann ich wirklich nicht anders, als an Nazi-Deutschland, als an Hitler zu denken.

Im ganzen 20. Jahrhundert war Hitler derjenige politische Führer, der das Rauchen am erbittertsten hasste. Gerade deswegen war es auch Nazi-Deutschland, das Rauchverbotskampagnen am eiligsten vorantrieb. Zuerst untersagte die Nazi-Regierung Ende der 1930er Jahre das Rauchen auf öffentlichen Plätzen und in öffentlichen Verkehrsmitteln, gemessen an damaligen Standards war das schon drakonisch. Auch Luftwaffen-Personal und Schwangere durften nicht mehr rauchen. Schließlich erhoben die Nazis nicht nur eine Strafsteuer auf Tabak, sondern untersagten Berlins Bürgern auch das Rauchen außerhalb ihrer eigenen vier Wände.

Letztere Maßnahme war besonders gewagt, ließ sie doch leicht an das Jahr 1848 denken, als in Berlin eine Revolution das damalige Regime zu Fall brachte. Einer der Gründe für diese Revolution war doch tatsächlich, dass die autoritäre Regierung den Berlinern die Freiheit nahm, in der Öffentlichkeit zu rauchen!*

Aber weil er sehr populär war und alle deutschen Medien sowie Informationskanäle kontrollierte, brauchte Hitler nicht nur keine Revolution der Raucher zu fürchten, sondern konnte ganz im Gegenteil einen Propagandafeldzug gegen das Rauchen starten. Das Nazi-Regime verstand sich besonders auf die Herstellung von Plakaten. Auf einem wird eine Zigarette zum Menschenfresser, darunter steht: „Nicht er sie ---- sie frißt ihn!“ Auf einem anderen trampeln SS-Stiefel auf den Kopf eines Rauchers.

Franz Müller

Warum war die NSDAP so gegen das Rauchen? Hauptsächlich, weil Hitler es verabscheute. In seiner Jugend studierte er Kunst in Wien. Damals umhüllte die Künstler- und Literatenszene eine einzige Rauchwolke. Egal, ob dekadente Wiener Malerei oder Neue Schule, die ein Design hin zur Einfachheit und Rationalität feierte, niemand war ohne Zigarette in der Hand. Nur leider war unser Adolf viel zu arm, konnte sich das Rauchen nicht leisten. Einmal, da gelang er zwar mit Mühe und Not an Zigaretten, wusste aber nicht, dass in der Akademie Rauchverbot galt. Er wurde auf frischer Tat ertappt und bestraft. Dem Rauchen hatte er seitdem samt und sonders entsagt, auch bei anderen lehnte er es ab.

Sieht so aus, als ist auch dies eine tragische Jugendgeschichte verletzten Selbstwertgefühls: Jemand kann sich einen gerade angesagten Spaß nicht leisten, spielt dann zufällig doch mal damit und es passiert etwas. Schließlich wird aus Liebe Hass, aus Freund Feind.

Aber mit dieser Geschichte ist ein öffentliches Rauchverbot natürlich nicht zu begründen. Also schmiss die NSDAP ihre Maschine an und ließ sich durch Forscher und Denker stattliche Argumente beschaffen. 1939 nutzte Franz Müller die sich immer weiter verfeinernde Epidemiologie und wies erstmals den Zusammenhang zwischen Rauchen und Lungenkrebs nach. Er entdeckte eine positive Wechselbeziehung zwischen der Zunahme der Tabakmenge und dem Anstieg der Lungenkrebswahrscheinlichkeit. Diese Entdeckung war äußerst bedeutend. Nicht nur wurde erstmalig in der Menschheitsgeschichte wissenschaftlich geklärt, dass Rauchen die Gesundheit gefährdet. Sondern sie half Hitler vielmehr noch bei der Schaffung einer überlegenen arischen Rasse. Jetzt hatte das Oberhaupt des Dritten Reiches allen Grund dazu, gegen rauchende Untertanen zu sein, standen sie doch der Vollkommenheit des ganzen Volkes entgegen.

Es gibt eine seltsame Interpretation der Geschichte, wonach das Ende des Zweiten Weltkriegs auf dem europäischen Kriegsschauplatz im Grunde darin bestehe, dass eine Clique Kranker einen Gesunden besiegt habe. Stalin, Roosevelt und Churchill haben alle drei geraucht. Hitler aber war nicht nur Nichtraucher, sondern auch Vegetarier.

Hielte man Churchill jedoch für krank, dann hätte er sicher widersprochen. Er und Feldmarschall Montgomery, in Afrika gegen den „Wüstenfuchs“ Rommel siegreich, waren sich nie grün. Einmal meinte Montgomery zu Churchill: „Ich rauche nicht, trinke auch keinen Alkohol und schlafe jeden Tag viel, daher ist mein Körper zu einhundert Prozent gesund.“ Daraufhin Churchill: „Ich rauche und trinke viel, schlafe aber sehr wenig, daher ist mein Körper zu zweihundert Prozent gesund.“

Verstehen muss man diese hochtrabende Theorie eines Rauchers zur Selbstberuhigung zwar nicht, aber auf dem Schlachtfeld spielte es sehr wohl eine Rolle, ob geraucht wurde. Die US-Armee stufte Zigaretten damals als kriegsnotwendiges Produkt ein. Ihre Soldaten bekamen pro Woche sogar mehr als die fünf bis sieben Schachteln, die bei den Alliierten sonst üblich waren. Auf der anderen Seite erhielt ein Wehrmachtssoldat bloß mickrige sechs Zigaretten pro Tag. Aus eigener Tasche konnte er sich pro Monat zwar 50 Zigaretten extra kaufen, musste dafür aber eine Sondersteuer in Höhe von 90 Prozent des Verkaufspreises zahlen. Notgedrungen war es also klug, weniger zu rauchen, nicht weil zum Kriegsende die Güter knapp waren, sondern weil Hitler befand, dass Soldaten erst recht nicht rauchen sollten.

Wirkte sich diese Versorgungslage mit Zigaretten auf den Krieg aus? Ja, das tat sie. Man stelle sich vor, wie Soldaten tagein, tagaus im Kanonenfeuer liegen, nicht wissend, ob sie den Abend noch erleben und ob von den heute noch lebenden Kameraden morgen nur ein Stapel Leichen und Hundemarken übrig sind. Ist es nicht ein Witz, in solchen Zeiten Soldaten zu sagen, sie sollten sich vor Lungenkrebs in Acht nehmen und ihre Gesundheit hüten?

Schall und Rauch

Zudem war im Kugelhagel der Schlachtfelder, im Blutschlamm der Schützengräben, im Tag und Nacht verwischenden Feuer des Krieges die Zigarette in der Hand das einzige, was Nerven beruhigen und die brutale Wirklichkeit vorübergehend vergessen machen konnte. Wichtig war dabei auch die jeweilige Zigarettenmarke. US-Soldaten erhielten weithin bekannte Marken wie „Lucky Strike" oder „Camel", die ihnen auch in dieser außerordentlichen Situation immer noch eine letzte Verbindung zu ihrer friedlichen Heimat bewahrten. Ähnlich wie Feldpost erinnerten sie sie daran, dass dort nach dem Krieg ein schönes Leben auf sie wartet.

Alles vergangen und verweht, Hitler erschoss sich am Ende selbst. Was der resolute Nichtraucher in seinem Leben als letztes roch, das war wohl der aus dem Pistolenlauf geblasene Rauch. Auch von den übrigen Großplanern der Anti-Raucher-Kampagne hatte keiner einen guten Tod. So beging zum Beispiel der Gesundheitsminister der Nazis im Gefängnis Selbstmord und Gauleiter Fritz Sauckel wurde 1946 hingerichtet, wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

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* „Zu Fall gebracht“ wurde der Autoritätsstaat zwar nicht, bei den Gründen für die Revolution (in Berlin) liegt Liang aber wohl richtig. In seinen Lebenserinnerungen beschreibt Werner von Siemens die Raucherrevolte in der Nacht vom 18. auf den 19. März 1848 so (S. 103 - 104):

„Dann kamen immer neue Züge mit Toten, und als der König dem Geschrei nach seinem Erscheinen nicht wieder Folge leistete, bereitete sich die begleitende, aufgeregte Menge vor, das Schloßtor zu erbrechen, um dem Könige auch diese Toten zu zeigen. Es war dies ein kritischer Moment, denn unfehlbar wäre es im Schloßhofe, wo ein Bataillon zurückgehalten war, zu erneutem Kampfe gekommen, dessen Ausgang zweifelhaft erscheinen mußte, da das übrige Militär die Stadt auf königlichen Befehl verlassen hatte.

Da kam ein Retter in der Not in der Person des jungen Fürsten Lichnowsky. Von einem in der Mitte des Schloßplatzes aufgestellten Tische aus redete er die Menge mit lauter, vernehmlicher Stimme an. Er sagte, Se. Majestät der König habe in seiner großen Güte und Gnade dem Kampfe ein Ende gemacht, indem er alles Militär zurückgezogen und sich ganz dem Schutze der Bürger anvertraut habe. Alle Forderungen seien bewilligt, und man möge nun ruhig nach Hause gehen!

Die Rede machte offenbar Eindruck. Auf die Frage aus dem Volke, ob auch wirklich alles bewilligt sei, antwortete er: »Ja, alles, meine Herren!« »Ooch det Roochen?« – erscholl eine andere Stimme. »Ja, auch das Rauchen«, war die Antwort. »Ooch im Dierjarten?« – wurde weiter gefragt. »Ja, auch im Tiergarten darf geraucht werden, meine Herren.« Das war durchschlagend. »Na, denn können wir ja zu Hause jehn«, hieß es überall, und in kurzer Zeit räumte die heiter gestimmte Menge den Platz.

[…] Auf mich machte diese Szene auf dem Schloßplatz einen unauslöschlichen Eindruck. Sie zeigte so recht anschaulich den gefährlichen Wankelmut einer erregten Volksmenge und die Unberechenbarkeit ihrer Handlungen.

Andererseits lehrte sie auch, daß es in der Regel nicht die großen, gewichtigen Fragen sind, durch die Volksmassen in Bewegung gesetzt werden, sondern kleine, von jedermann lange als drückend empfundene Beschwerden. Das Rauchverbot für die Straßen der Stadt und namentlich den Tiergarten mit dem steten kleinen Kriege gegen Gendarmen und Wachen, der damit verbunden war, bildete in der Tat wohl die einzige Beschwerde, die von der großen Masse der Berliner Bevölkerung wirklich verstanden wurde und für die sie in Wahrheit kämpfte."

Übersetzung, Zwischenüberschriften, Fußnote und Links: Oliver Pöttgen
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Geschrieben von

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Autor: Oliver Pöttgen | chinaschau@web.de | fachchinesisch.tv

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