Razzia in Sex-City

Käuflich Warum ein Großeinsatz gegen Prostitution Chinesen sauer aufstößt

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6.000 Polizisten rücken Anfang Februar in Dongguan gegen einen Staatsfeind aus – die Prostitution. Viele Chinesen empört dabei die Scheinheiligkeit der Behörden und die Sittenwächterei des Staatsfernsehens, dessen Enthüllungsbericht der Aktion vorausging:

Auf Sex umgeschult

„Sex-Hauptstadt“ – in China hat Dongguan seinen Ruf weg. Prostitution à la Dongguan ist zu einer Marke, zu einem Qualitätssiegel geworden. Könnte man Patente für Service-Innovationen beim käuflichen Sex anmelden, dann säßen viele Patentinhaber in dieser südchinesischen Industriestadt am Perlflussdelta. Über fünf Milliarden Euro Gewinn mache die Sex-Industrie dort jedes Jahr, mutmaßt die Zeitschrift Vista. Zu den reichsten Städten des Landes zählt Dongguan aber aus einem anderen Grund: Dort liegt die Wiege des „Made in China“, dort wurde China zur „Werkbank der Welt“, zum Eldorado der Billigindustrie.

Die Stadt wurde zum Menschenmagneten. Zwölf Millionen sollen es heute sein, darunter geschätzte 300.000 Prostituierte. Viele von ihnen sind ehemalige Arbeiterinnen, deren Fabriken während der Asien-Krise 1997 und der Weltwirtschaftskrise 2008/09 schließen mussten. Über sie zogen seit 2003 wiederholt „Taifune“ hinweg – so nennt die Branche die Großrazzien der Polizei.

Seelenverkäufer

Zur bisher umfangreichsten kam es am 09.02.2014: Knapp 2.000 Clubs, Karaoke-Bars und Massage-Salons wurden durchsucht. Das chinesische Staatsfernsehen berichtete ausführlich und zeigte wenige Stunden zuvor einen Undercover-Bericht. Im Zuge der landesweiten Kampagne gegen Prostitution bauscht man Dongguan zum Sündenbabel auf, an dem ein Exempel statuiert wird. Viele Kommentatoren solidarisieren sich daraufhin mit den Menschen dort. Die South Metropolitan Daily gibt über Sina Weibo (Chinas Twitter-Pendant) einen vielbeachteten Schlachtruf aus:

Dongguan, halte durch!

Ein „historisches Ereignis“ nennt das Investors Journal Weekly die Welle der Kritik, die über Chinas Behörden und Staatsfernsehen hereinbricht. Am Pranger steht besonders deren Doppelmoral. Ohne Schutz durch Offizielle wäre Dongguan nicht zum Mekka der Prostitution geworden, lautet der Tenor. Der Politikwissenschaftler Zhang Ming wundert sich über den Zickzack mancher Staatsdiener:

Hose runter und Hure nehmen, Hose hoch und Hure verhaften: Nicht wenige Polizisten sind Stammkunden der „Fräuleins“.

Auf Twitter charakterisiert dies Rechtsanwalt Liu Xiaoyuan ähnlich:

Prostituierte verkaufen nur ihren Körper, nicht ihre Seele!

Das richtet sich auch gegen das Staatsfernsehen, dessen Betriebsblindheit erneut unter Feuer steht. Das Investors Journal Weekly fragt:

Warum nutzt das Staatsfernsehen seine große Macht nicht, um den Verbleib der Beamtenvermögen oder die gewaltige Korruption in marktbeherrschenden Staatsunternehmen aufzudecken?

Stattdessen ziele man auf die Schwachen einer Gesellschaft und trete ihre Würde noch mit Füßen, indem man sie vor die Kamera zerre, empört sich der Rechtsanwalt Du Zhaoyong im Interview mit der Deutschen Welle. Das Mitgefühl für die Prostituierten ist groß, oft fordern Nutzer einen besseren Schutz ihrer Rechte.

Moralapostel Staatsfernsehen

Auf diese Kritik antwortet die staatseigene Volkszeitung mit einer Warnung, die sich besonders gegen die als Meinungsmacher wichtigen Stars sozialer Medien richtet:

Wacht auf, die rote Linie von Moral und Recht darf nicht überschritten werden!

Diesen altbackenen, von der Prüderie der Mao-Jahre getragenen Ton verbitten sich allerdings mehr und mehr Chinesen.* Die Sexualmoral der Menschen habe sich in China sehr verändert, resümiert die Professorin und Feministin Ai Xiaoming gegenüber der Deutschen Welle. Prostitution sei längst zur gesellschaftlichen Normalität geworden – in Dongguan wie anderswo. Auf das Moralin der Staatsmedien reagieren da viele Nutzer allergisch. Dem Investors Journal Weekly stößt auch die Art und Weise auf, wie es immer noch verabreicht wird:

Sie machen sich zu deinem Vater. Nur er darf reden, du nicht. Und dann sagt er dir noch, alles sei zu deinem Besten.

* Wie in anderen kommunistischen Staaten war auch in der Volksrepublik China Sex lange Zeit ein Tabuthema, besonders in den ersten Jahrzehnten seit 1949. Gegen Prostitution und Pornographie wurden (und werden) Kampagnen gefahren, ebenso galt Homosexualität bis 2001 als psychische Krankheit.

Im März 2014 zuerst erschienen bei:

stimmen-aus-china.de

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Geschrieben von

chinaschau

Autor: Oliver Pöttgen | chinaschau@web.de | fachchinesisch.tv

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