Immer wieder interessante Denkanstöße erzeugt in mir der Output von Niklas Luhmann. So schade, das er nicht mehr unter den Lebenden weilt - würde er doch nämlich durchaus etwas zu den systematischen Problemen der heutigen Zeit erklären können. Aber ich bin sicher, dass er dazu vieles in seinen Werken hat nieder geschrieben - nur lesen muß es dann noch der richtige... und uns davon noch berichten, damit es in die Welt kommt.
Wenn eines irgendwo bei Luhman stehen muß, dann dieses: Ein System ist dumm und kann nicht auf gewisse Bedingungen reagieren. Daraus ergibt sich, dass in der Folge von Problemen das System ergänzt wird. Dumm bleibt es trotzdem - solange jedenfalls, bis es ideal zusammengesetzt ist, dass es problemlos sich selbst reguliert.
Sowas aber hat es noch nie gegeben... und wird es wohl auch nicht (nicht einmal in der sciens-fiction-Literatur gibt es Darstellungen ohne Polizei oder Streitkräfte etwa - ich kenne jedenfalls keine. Das bedeutet erst mal nur eines, nämlich dass es in der Welt früher und heute noch nicht denkbar sei, ein solches ideales System zu finden, dass es also nicht nötig wäre eine Polizei zu unterhalten oder eben eine Armee). Hinzu kommt, dass scheinbar immer, wenn ein System schon längere Zeit existiert, angewendet wird, (es also schon eine Reihe "Verbesserungen" hat bekommen) scheinen die "Betreiber" des Systems zu denken, dass es nun an der Zeit sei, eben dieses System wiederum zu verändern ... aus langeweile vielleicht und schon geht die "Verbesserungsorgie" am neuen System von Neuem los - mit all den Zusammenbrüchen und sonstigen Problemen wie beim vorhergehenden sie auch aufgetreten sind.
Das macht aber nichts, denn niemand der Beteiligten ist bei der erneuten Systemerneuerung noch von der alten Riege dabei und/ oder niemand kann sich daran erinnern, warum und wieso nun gerade das alte System so geworden war, wie es ist, und/oder niemand der alten interessiert sich noch dafür... weil er vielleicht inzwischen in Rente ist... und glücklich und froh darüber ist, nicht mehr damit zu tun zu haben... wie auch immer die Gründe seien... es wird irgendwann erneut am "System" gefummelt, um es irgendwie eben zu erneuern - koste es, was es wolle. Ob das ganze eine Sinn ergibt, kann man nur erkennen, wenn man den tieferen Grund der Unzufriedenheit mit dem alten System kennt - der aber allermeist nicht öffentlich bekannt wird. Solche Erneuerungsaktivitäten müssen nicht den eigendlichen Grund zur Rechtfertigung angeben - der ist in der Masse der Bevölkerung meist unpopulär und stünde der Erreichung des Zieles entgegen.
In einem jüngst veröffentlichten Artikel über Luhmanns postum veröffentlichte Werke ist ein interessanter Gedanke geäußert worden. Dort hieß es, die Systemtheorie verhielte sich in Bezug auf den Gegenstand unkritisch. Das ist war - zumindest, wenn man einem System zu viel Sinn und Macht zugesteht und in der Folge zu sehr an seiner Funktionalität glaubt Sachverhalte in es hineininterpretiert, kann es schon mal dazu kommen, dass man mit der Erkenntnis arg enttäuscht wird. Wer zu sehr glaubt, wird mit relativer Sicherheit enttäuscht werden. Das ist eine Weissheit aus anderen Philosophien. Anders gesehen wiederum funktioniert ein System nur dann, wenn daran geglaubt und danach gelebt wird... sonderbare Bedingtheit.
Luhmann nun aber den Beigeschmack des unkritischen anzudichten ist unfair. Das war er wohl nicht. Seine Aufgabe sah er wohl mehr darin, die idealen Systematiken in der Gesellschaft und anderswo zu entschlüsseln. Dabei kann man schon mal recht trocken und funktionalistisch rüber kommen. Geschadet hat Luhmann mit seiner Systemtheorie nicht - oder doch? Reichte es die Systemtheorie in die Welt zu bringen? Nein, ... Theorien über Systeme gab es auch schon vor Luhmann. Der hat sie nicht erfunden - nur versucht in Perfektion abzubilden, wo immer er ein System zu finden geglaubt hat.
Vielleicht aber kann man ihn wenigstens etwas naiv nennen, wenn er glaubte, dass Systeme unfehlbar seien. So zumindest kann man ihn nennen, wenn man den Spruch des/r Autors/in vernimmt, der besagt, dass Luhmann offenbar fasziniert war von der Funktion von Systemen. Dummerweise nur nämlich funktionieren sie nicht so reibungslos, wie es ein Idealist sich immer erträumt. Ein solches gibt es noch nicht und wird es nicht geben. Und wenn man meinte eines gefunden zu haben, hat man nur noch nicht genau genug hingesehen, um die Problemstellen zu erkennen und zu bewerten. Auch hier nämlich gilt widerum: Wenn etwas zu einfach aussieht, hat man nicht genügend Faktoren erblickt, die den Zustand beeinflussen. Die scheinbare Abwesenheit von bedingenden Faktoren ist kein Garant dafür, dass sie auch abwesend bleiben. Es ist nur eine Frage der Zeit bis es zu Erkenntnissen darüber kommt, wie unfangreich die Faktoren sein können und nur eine Sache der Sichtweise, wie relevant diese sind oder wie radikal und brachial sie ihre Wirkung ins System einbringen (können). In diesem Sinne hat wohl auch Jürgen Habermas seine Kritik an Luhmanns Systemtheorie gerichtet.
Das beschreibt auch der Artikel und redet von Kommunikation und dass es eine Faszination auslöst (bei Luhmann), dass sie ob der Komplexität der Gesellschaft überhaupt funktioniert. Dabei muß es gewusst worden sein, dass dabei eben wegen der Komplexität der Grad an Selektion derart hoch ist, dass kaum annähernd auf gleichem Niveau kommuniziert wird, wie sich die Komplexität dabei darstellt. D.h., wenn es eine Kommunikationssituation zu einer Lösung geschaft hat, ist schon der Großteil der Komplaxität ausgesondert und außer Acht gelassen.
Was es aber tatsächlich für manch einzelnen heisst, dass die Komplexität reduziert wurde, kann dann keiner mehr erkennen. Und wenn sich nun also Luhmann zeit seines Lebens über die funktionierende Gesellschaft gewundert hat, dann hat dies seinen Grund und seine Bauernopfer hat es auch gehabt. Nur, ... dass sie am Ende keiner mehr nennen kann - oder eben auch will. Zu komplex war doch das Thema und all diese sind schon vergessen. Ja, vergessen... während das Subjekt gewartet hat. Und man verlangt auch vom Subjekt, dass es vergisst. Dabei schickt man dieses eben in die Warteschleife und hofft auf sich von selbst erledigende Umstände...
An der Stelle, wo das Warten thematisiert wird, wird Luhmann unterstellt, dass er die (funktionierende) Gesellschaft so bewundert, weil sie warten kann - weil diese zivilisierte Gesellschaft mit Ungewissheiten umgehen kann. Dabei sind die meisten Ungewissheiten gar keine. Das Warten bezieht sich nämlich auf die Zeit, da der zivilisierte Bürger von allein darauf kommt, dass es eine Gewissheit sei, was er betrachtet. Er hatte eben nur noch nicht den richtigen Blickwinkel für seine Problemstellung eingenommen gehabt. Und wenn der besagte Bürger nicht zivilisiert genug ist, dann wird eben nachgeholfen... Zeit scheint ja genügend vorhanden zu sein... und was da alles passieren kann....!?
Artikel in Zeit-Online_Wer hat die Macht?
Von Ijoma Mangold 23.06.2012 - 18:01 Uhr
http://www.zeit.de/2012/25/L-S-Luhmann
Kommentare 7
Das ist ja mal etwas ganz anderes von Dir. Und siehe, Du kannst es und hast diese schwierige und abstrakte Materie mit einer Schlüssigkeit dargestellt, dass sogar ich armer theoretischer Tropf einigermaßen folgen konnte und sogar lachen mußte über den staubtrockenen Humor, der hinter soviel abstrakter Unvollkommenheit sein Wesen treibt. Danke!
Ja, es schrieb sich so runter. Danke für die Blumen. Aber die "abstrackte Unvollkommenheit" nehme ich auch zur Kenntnis. Ist es aber auch... unvollkommen und nicht komplett.
Nur mal dazwischen - als Fingerübung:
Luhmann hat im Gegensatz zu seinen Kollegen (Habermas als primärer Kontrahent) nie das Bedürfnis gehabt, sich den Hut eines Anführers aufzusetzen. Er sah sich als Wissenschaftler, ist einen Schritt zurückgetreten und hat versucht, in den damals zeitbezogen (!) geltenden Systemen deren zeitbezogenes Muster aufzuzeigen. Wer so etwas versucht, hat keine Kritik nötig, weil das Muster (samt der Luhmanntypischen feinen Ironie, die den meisten entgeht) für bzw. gegen sich selbst spricht.
Seine Bücher beantworten die Frage Was tun? mit einem Achselzucken. Diese Aufrichtigkeit wird ihm von einer aufgeregten Meute, die meint ständiges Tunwollen schuldig zu sein , vorgehalten.
Die Tonnen von Büchern, die er geschrieben hat, sind amüsant zu lesen, auch wenn sie heute wegen des Zeitbezugs kaum diagnostischen Nährwert enthalten. Wer Spaß an feinster Ironie und Systemlogik hat,dem sei das Luhmannsche "Besteck" empfohlen.
Ist lange her - aber ich bin sicher, dass dies oben keine "Luhmannkritik" gewesen war. Sondern eher Kritik an den Rezipienten, die inzwischen ihre Schlüsse daraus ziehen wollten - aber nicht so recht können - scheinbar.
Der "gute Ton" von Wissenschaftlern ist zudem auch nicht, nichts zur Lösung konkret beitragen zu wollen. Aber auch nicht, alles in seinen Ergebnissen geregelt zu wissen - was einer starren Systematik gleichkäme - meistens.
Gegen "was tun" ist ja nichts einzuwenden. Übererfüllung im Sinne von Überregulierung ist damit nicht gemeint.
Der vermeindlich mangelnde "diagnostische Nährwert" seiner Bücher ist natürlich nicht real. Das gilt nur, wenn der Leser dieser nicht nachdenken will/kann, weil er meint, es stünde schon alles drinnen. Mindestens haben die Bücher einen historischen Wert, die Einschätzung/Einordnung der Statistiken ermöglichen. Und das ist ne ganze Menge "Nährwert".
Da niemand in der Haut des anderen stecken kann, liest jeder in Bücher und Menschen hinein und hinaus, was er verwerten kann.
Der "gute Ton" an Wissenschaftlern könnte auch sein, einzugestehen, dass sie zu einer Lösung (welche?) nichts beitragen können.
Insofern war mein Kommentar sicher keine Kritik an Luhmann, der nüchtern feststellt, dass Systeme zwar über Kommunikation dauernd justiert und verändert werden, dass das Ergebnis jedoch nicht im Sinn einer einfachen Ursache-Wirkungs-Beziehung steuerbar ist.
Der diagnostische Nährwert kann, finde ich, bei einem Foucault in Ordnung der Dinge besser besichtigt werden. Luhmanns autonome Funktionsbereiche dürften sich - schon zu seiner Zeit - überlebt gehabt haben, ggf. bereits damals eine Vereinfachung gewesen sein.
Erstens:
Es gibt Überdosen Emphatie - das ist wie in der Haut der anderen stecken. Aber das kennt nur der, der es selbst erlebt.
Zweitens:
So dynamisch sind Systeme nicht. Mal eben drüber reden ist da nicht. "Ausnahmen" kommen auch nach jeder Anpassung nicht vor.
Der Mensch ist sich seiner Systeme so froh und gewiss. Und er braucht sie, um nicht nachdenken zu müssen. Daher auch (wenn ich die autonomen Funktionsbereiche richtig verstanden habe) sind Luhmanns a. Funktionsbereiche nicht überlebt.
Dass sich das in der Politik anders ansieht, könnte daran liegen, dass die Welt sich schneller dreht und mehr (und vor allem öffentlich) verhandelt wird. Oder einfach nur lauter - was auch den falschen Eindruck supportet.
Der Sinn des Systems hat sich nicht überlebt.
1. Empathie
Ich halte mich auch für leidlich empathisch. Trotzdem würde ich nicht annehmen, dass diese Empathie dem gleichkommt, was der andere in „seiner eigenen Haut“ erlebt. Was berechtigt sie hier zu Ihrer enormen Selbsteinschätzung?
2. Systeme
a) Sinn
Ich habe nie behauptet, dass sich der Begriff des Systems überlebt habe. Aber was meinen sie mit „Sinn“? Welchen Sinn hat denn ein System aus Ihrer Sicht? Von Luhmann jedenfalls müssten wir uns an dieser Stelle dann verabschieden, wenn Sie unter Sinne etwas anderes verstehen würden als „Funktion“. Falls Sie das nicht tun, schlösse sich die Frage nach der Funktion an…
b) Dynamik
Auch das ist nicht Luhmann – für den sind Systeme autopoietisch geschlossen und kommunizieren über symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien zweiwertiger Art. Sie sind nur so dynamisch (i.S. von veränderbar), wie sie unbedingt sein müssen, um mit dem jeweiligen Einfluss klarzukommen. Bei Luhmann streben sie an, sich möglichst wenig zu verändern. Hinzu kommen allersing auch Vorgänge aus dem inneren des Systems selbst, die ebenfalls „bearbeitet“ werden müssen.
c) Ausnahmen
Was meinen Sie damit? Da es sich – bei Luhmann – um geschlossene Systeme handelt, scheiden die natürlich Ausnahmen aus, was sonst? Ausnahmen sind das, was keinen genügend großen Änderungsdruck auf das System zu erzeugen vermag.
d)
Nochmal: dass das Besteck, also die Muster, die Luhmann feststellt, und auch die Systemtheorie nicht überlebt sind, teile ich mit Ihnen. Was sich überlebt hat, ist die Gültigkeit Funktionsbereichsspezifischer Kommunikationsmedien. DA hat sich was verändert, indem das Medium Geld die anderen verdrängt.
Ihre Bemerkung zur Politik habe ich nicht verstanden.