1977: Unglücklich gestürzt

Zeitgeschichte Der schwarze Bürgerrechtler Steve Biko stirbt in Südafrika nach einem Folterverhör. Jahrzehnte später gestehen fünf Beamte ihre Schuld – und bleiben straffrei
Ausgabe 37/2017

Die Zahl der Sozialhilfeempfänger ist deutlich höher als die der Steuerzahler – 23 Jahre nach dem Ende des Apartheidsystems zieht sich eine tiefe soziale Kluft durch die Gesellschaft am Kap. Südafrika durchlebt eine Rezession, auch wenn die Preise auf den Rohstoffmärkten anziehen. Rating-Agenturen wie Fitch und Standard & Poor’s finden trotzdem, dass die Kreditwürdigkeit des Landes nicht über Ramschniveau hinausgeht. Das Urteil hat viel mit Misswirtschaft auf allen Regierungsebenen zu tun. In solcher Zeit wärmt es das Herz, sich unbefleckter Heroen zu erinnern, integer, idealistisch, nicht korrupt, auf das Wohl der schwarzen Community bedacht, nicht das eigene. Einer, den das beseelte, war Stephen Bantu Biko, bekannt geworden als Steve Biko, Bürgerrechtler, Politiker und Märtyrer. Anlässlich des 40. Jahrestages seiner Ermordung im Polizeigewahrsam des Apartheidstaates am 12. September 1977 gibt es Gedenkmeetings und Reden. Eine Stiftung mit dem Namen Bikos existiert bereits, dazu sind Straßen und Schulen nach ihm benannt. In der Verehrung seiner Helden ist Südafrika groß. Die Orientierung an deren Haltung und Kreativität lässt dagegen zu wünschen übrig.

Noch weiß man nicht, wen der ANC Ende 2017 zu seinem neuen Vorsitzenden und damit automatisch zum nächsten Bewerber um die 2019 zu vergebende Präsidentschaft wählt. Mancher träumt von einem Mann wie Biko, der mit Intelligenz und Charisma seine Anhänger faszinierte; ein Netzwerker, der Menschen zusammenbrachte. Vor dessen Aura, Überzeugungen und Organisationstalent hatte das Apartheidregime so viel Angst, dass es Biko immer wieder festnehmen ließ. Zwei Jahre vor seinem Tod wurde er mit einem Bann belegt, dessen Auflagen ihn lähmen sollten.

Steve Biko konnte (und musste) nie den Beweis antreten, dass er mit dem Ende des Apartheidstaates und der Regierungsübernahme durch den ANC 1994 nicht in den Niederungen der Korruption gelandet wäre wie der jetzige Staatschef Jacob Zuma und sich nicht als kalter Geschäftsmann etabliert hätte wie Zumas Vize Cyril Ramaphosa.

„Unsere Gemeinde wurde zur Ideenschmiede“

Biko wurde als drittes von vier Kindern am 18. Dezember 1946 in Tylden (Eastern Province, jetzt Eastern Cape) geboren. Sein Vater Mathew Mzingaye Biko starb, als Stephen vier Jahre alt war. Da lebte die Familie bereits in Ginsberg, einer Township bei King William’s Town. Die Mutter, Alice Nokuzola Biko, arbeitete als Köchin in einem Hospital und hielt so sich und ihre Kinder am Leben. Steve erhielt seine Schulbildung am St. Francis College in der Nähe von Durban. Er begann danach ein Medizinstudium. Zunächst engagierte er sich in der christlichen Studentenbewegung, gründete dann aber die South African Students’ Organisation (SASO), der ausschließlich schwarze Studenten angehörten.

Mit dem jährlich erscheinenden Black Review rief er gemeinsam mit seinem Mentor Professor Bennie Khoapa 1972 eine Publikation ins Leben, die zur Fundgrube an Fakten über damalige Methoden der Repression, über politische Trends, schwarze Organisationen oder Einkommensverhältnisse wurde. Biko leitete auch die Black Press Commission, in der sich schwarze Journalisten zusammenfanden, um Geld zu sammeln für die Gründung von Zeitungen und Verlagen. Der zeitliche Aufwand für das Studium kollidierte mit solcherart Aktivität, so dass Biko zwangsexmatrikuliert wurde und sich später für ein Fernstudium der Rechtswissenschaft entschied. Das nützte ihm, als er 1976 in einem Prozess gegen SASO-Mitglieder vor dem Obersten Gerichtshof in den Zeugenstand trat. Seine dortige Grundsatzrede über das Black Consciousness Movement (BCM), die er zur Verteidigung seiner sieben angeklagten Kollegen hielt, sollte ein ganzes Land verändern. Im Juni desselben Jahres brach der Schüleraufstand in Soweto aus und griff auf andere Städte über.

Der Autor Andile M-Afrika, geboren 1966, lebte wie Biko in Ginsberg. Er war als Schüler dabei, als Biko zu Grabe getragen wurde, und erlebte bei einer Mahnwache an seiner Schule, wie schockiert alle waren, wie zornig und düster entschlossen. Über Biko sagt er: „Auch unter dem Druck der Sicherheitspolizei ließ er sich nicht von seinen sozialen und politischen Aktivitäten abbringen. Das war schwierig, durfte er seinen Heimatort doch nicht mehr verlassen. Apartheidgegner aus vielen Teilen des Landes kamen, um ihn zu treffen. Unsere Gemeinde wurde zur Ideenschmiede.“ Er erinnert sich an den Ginsberg Bursary Fund, der vielen Kindern armer Familien, darunter ihm selbst, eine Ausbildung finanzierte. Biko habe Großeinkäufe von Lebensmitteln organisiert, um günstigere Preise zu erzielen. Besonders bekannt wurde seinerzeit das Zanempilo-Gesundheitszentrum, in dem Mamphela Ramphele, ehemalige Kommilitonin Bikos und Mitbegründerin der SASO, als Ärztin Sprechstunden abhielt. Dort wurde man kostenlos behandelt.

Nelson Mandela und Steve Biko sind sich nie begegnet, doch verfolgte Mandela vom Gefängnis aus, was Biko unternahm und wie sich das BCM entwickelte. Lange vor Bikos Ermordung urteilte Mandela, dass „dieser Mann unauslöschliche Fußabdrücke im Kampf gegen die Apartheid hinterlassen“ werde. Im Vorwort zu Xolela Mangcus Buch Biko – A Life heißt es, Bikos Botschaft an die Jugend und die Studenten sei einfach und klar gewesen: „Black is beautiful! Seid stolz auf euer Schwarzsein!“

Für Mandela stand die Ermordung Bikos in einem klaren Zusammenhang mit der sich Mitte der 1970er Jahre abzeichnenden Vereinigung von gegen die Apartheid kämpfenden Organisationen. Biko kontaktierte ein breites Spektrum von Leuten und bereitete sich auf eine Begegnung mit dem damaligen ANC-Präsidenten Oliver Tambo vor. Der bloße Gedanke an eine Verbindung zwischen ANC und Black-Consciousness-Bewegung war eine Horrorvorstellung für das Apartheid-Regime. „Sie mussten Biko töten“, so Mandela, „um die Apartheid dadurch weiter am Leben zu erhalten.“ Und sie haben ihn getötet. Es geschah während seiner Haft in Port Elizabeth. Er wurde brutal geschlagen und schwer am Kopf verletzt. Am 11. September transportierten sie ihn nackt auf der Ladefläche eines Polizeitransporters in das Hunderte von Kilometern entfernte Pretoria. Im dortigen Polizeikrankenhaus erlag Biko in der Nacht darauf seinen schweren Verletzungen. Die weiße Minderheitsregierung leugnete den Mord lange Zeit, und Polizeiminister Jimmy Kruger behauptete, Bikos Tod sei die Folge eines Hungerstreiks gewesen. Später, nach Bekanntwerden des ärztlichen Befunds, in dem ein zertrümmerter Schädel erwähnt wurde, hieß es, Biko sei unglücklich gestürzt.

Den Mord gestanden haben fünf Polizisten erst 1997 vor der Wahrheits- und Versöhnungskommission (TRC). Sie baten um Nachsicht für ihre Tat, die ihnen 1999 verweigert wurde, da sie ein politisches Motiv für ihr Handeln nicht glaubhaft darstellen konnten, dennoch kam es zu keiner Anklage. Dass der Mord an Biko – wie so viele andere Verbrechen – nicht gesühnt wurde, sorgte in der schwarzen Bevölkerung Südafrikas für Unmut und Unverständnis. Eben deshalb musste die Wahrheitskommission ins Leben gerufen werden, um die Straflosigkeit bei Apartheidverbrechen zu bemänteln.

Dieser Schachzug war nie unumstritten, der Widerstand dagegen im ANC genauso wie in anderen Befreiungsbewegungen vehement. Die Kommission leistete einen bescheidenen Beitrag zur Befriedung, Versöhnung brachte sie nicht. Kritisch begleitet wurde ihre Arbeit seit 1995 von der Khulumani Support Group, gegründet von Opfern der Apartheidzeit wie deren Familien. Dieser Kreis gehört mittlerweile mit 54.000 Mitgliedern zu den wichtigsten Nichtregierungsorganisationen, die Interessen der Apartheidopfer oder von Angehörigen wahrnehmen. Es wird beraten, psychologische Hilfe geleistet und öffentlich um Entschädigungen gestritten. Dies würde Steve Biko vermutlich gefallen.

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