Noch ist Winter, in Kapstadt läuft die Hälfte der Menschen mit Handschuhen, Schals und Mützen herum. Dicke Mäntel sind angebracht. Besonders die Nächte können mit ein paar Grad über Null auch bei Europäern Wintergefühle aufkommen lassen. Winter, das bedeutet vermehrte Stromausfälle. Der staatliche Versorger Eskom muss mit Abschaltungen ganzer Regionen einen Kollaps des maroden Netzes verhindern. Da passiert es schon einmal, dass mitten im Waschprogramm plötzliche Stille eintritt oder – noch schlimmer – der Computer sich spontan verabschiedet. Und auch sonst häufen sich im Moment eher die schlechten Nachrichten. Vor kurzem haben die Rating-Agenturen Standard & Poor’s sowie Fitch das Land als Reaktion auf stagnierende Wachstumsraten abgestraft: Für S&P stehen südafrikanische Staatsanleihen nur noch knapp über Ramschniveau.
Die meisten Südafrikaner sorgen sich indes weniger um dieses Ranking als um steigende Lebenshaltungskosten; bei Treibstoff gab es ein Plus von 14,3 Prozent, bei Lebensmitteln von 9,1 Prozent. Und sie sorgen sich natürlich auch um die hohe Arbeitslosigkeit von offiziell 25 Prozent. Besonders schwer hatten es zuletzt die Familien der 70.000 streikenden Bergarbeiter aus den Platinminen, die fünf Monate keinen Lohn erhielten und ohne Streikkasse auskommen mussten. Man versuchte sich, so gut es eben ging, im Viertel zu unterstützen. Immerhin erstritt die 1998 als Abspaltung von der regierungsnahen National Union of Mineworkers (NUM) gegründete Association of Mineworkers and Construction Union (AMCU) mit dem Ausstand einen schrittweisen Anstieg der Löhne bis 2017 auf am Ende umgerechnet 850 Euro, was von Gegnern und Anhängern des Streiks kontrovers beurteilt wird. Unternehmen klagen laut über Einbußen von insgesamt 1,7 Milliarden Euro, obwohl der Arbeitskampf für sie zu keinem günstigeren Zeitpunkt kommen konnte. Es gab vor Streikbeginn eine Überproduktion von Platin, gefüllte Lager, sinkende Preise.
McCyril the killer
Ungeachtet dessen werden nun die Minenarbeiter dafür verantwortlich gemacht, dass eingeleitete Strukturveränderungen zu Entlassungen führen. Bereits von 1994 bis 2013 sank die Beschäftigung im südafrikanischen Bergbau von 1,4 Millionen auf gut 550. 000. In den nächsten drei Jahren könnten für die Branche noch einmal 225.000 Arbeitsplätze verloren gehen. Der regierende ANC möchte Streiks per Gesetz einschränken und dem Staat die Erlaubnis geben, bei lange währenden Arbeitskämpfen zu intervenieren. Von den Idealen der Freedom Charter, die der Nationalkongress in den Augen vieler ohnehin längst verraten hat, bliebe nicht viel übrig. Bergbauminister Ngoako Ramatlhodi hat bereits angekündigt, er werde seine Aktien von Minenunternehmen verkaufen, um bei der anstehenden Gesetzgebung in keinen Interessenkonflikt zu geraten.
Sollte das Streikrecht verschärft werden, dürfte das besonders bei den Hinterbliebenen der 34 Bergarbeiter Unverständnis oder Wut auslösen, die am 16. August 2012 beim Konflikt um die Mine Marikana von der Polizei erschossen wurden. Als dieser erschütternde Vorgang von einer Kommission untersucht wurde, bestritt Vizepräsident Cyril Ramaphosa jede Verantwortung für den an Apartheid-Zeiten erinnernden Zusammenstoß. Das sahen viele Demonstranten gänzlich anders – als der Politiker jüngst vor diesem Gremium aussagen musste, riefen sie „Murderer“ und trugen dabei T-Shirts mit dem Aufdruck „Buffalo Head killed people in Marikana“ oder „McCyril the killer“, was sich darauf bezog, dass Ramaphosa heute ein Teil von McDonald’s in Südafrika gehört.
Im August 2012 hatte er als Mitinhaber der vom Streik betroffenen britischen Bergbaufirma Lonmin in Telefonaten und E-Mails die Passivität der Polizei angesichts der vehementen Konflikte um Marikana gerügt und erklärt, dies sei „kein Arbeitskampf mehr“. Als die Polizei daraufhin die Bergarbeiter wie Kriminelle behandelte, wollte Ramaphosa dafür nicht verantwortlich sein. So wurde die Tragödie von Marikana erst recht zum Wendepunkt.
Als Saboteure beschimpft
Seither bekommen Streiks eine politische Komponente. Das war so bei den Bergarbeitern wie zuletzt beim Ausstand Hunderttausender Metallarbeiter, die von der National Union of Metalworkers of South Africa (NUMSA) geführt wurden. Als 220.000 von ihnen Anfang Juli streikten, wurden sie prompt von einem Chor aus Politikern und Wirtschaftsbossen als „Saboteure“ beschimpft. Immerhin waren 500 Metall- und Maschinenbaufirmen betroffen, darunter der halbstaatliche Stromkonzern Eskom. Die Konsequenzen trafen die Autoindustrie, General Motors und BMW mussten die Fertigung teilweise stoppen, man hatte es mit dem umfassendsten Arbeitskampf in der Metallbranche Südafrikas zu tun. Verlangt wurde ein Zuwachs von umgerechnet 375 auf 415 Euro bei den untersten Gehältern, „ein Lohn, der zum Leben reicht“, wie es Zwelinzima Vavi, Generalsekretär des Gewerkschaftsdachverbandes COSATU, formulierte. Es sei grotesk, dass die Politik nach 20 Jahren Demokratie noch immer Hungerlöhne zulasse, während Manager das Hundertfache verdienten. Der Streik endete mit dem Kompromiss, wonach die Löhne bis 2017 pro Jahr jeweils um bis zu zehn Prozent steigen und Zeitarbeit beschränkt werden muss. NUMSA hatte zwölf Prozent gefordert, ergänzt durch eine Wohnzulage.
Viele Südafrikaner wissen längst, geht es um bessere Lebensumstände, haben sie von der ANC-Regierung so gut wie nichts, von den Gewerkschaften mehr zu erwarten. Der Mord an drei NUMSA-Vertrauensleuten kurz vor einem Symposium linker Bewegungen in Durban zeigt, wie recht sie haben.
Christa Schaffmann schrieb zuletzt über den Kapstadt-Vorort Imizamo Yethu
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