Der aus dem Kapstädter Vorort Hout Bay kommende Bus hält an und mehrere Leute steigen aus. Sie wollen genau wie ich nach Imizamo Yethu. Eben noch luxuriöse Hotels und Apartments im Stadtteil Sea Point, dann das etwas bescheidenere Hout Bay und nun dieses Viertel: Mein Blick fällt als Erstes auf Hütten aus Wellblech an einem Hang. Sie könnten jeden Moment abstürzen, vielleicht schon beim nächsten Starkregen. Niemand weiß das so genau. Es hält, solange es hält. Und wenn hier eine Hütte verfällt, wird sie mit Brettern, Blechen, Pappe und Folien wieder so hergerichtet, dass Menschen darin leben können. Im Sommer besser als jetzt im südafrikanischen Winter bei Temperaturen zwischen sechs und vierzehn Grad – bei Windstille besser, als wenn die für diese Gegend gefürchteten Stürme heraufziehen und das eine oder andere Dach abdecken. Nirgends wird die immer größer werdende Kluft zwischen Armen und Reichen in Südafrika deutlicher als bei den Wohnverhältnissen.
Vor 25 Jahren war Imizamo Yethu noch ein sogenanntes Squatter-Camp. Solche Siedlungen wurden oft illegal, das heißt ohne Baugenehmigung, errichtet. Nicht selten geschah das auf ungeeignetem Baugrund. Das Apartheid-Regime fühlte sich dafür nicht zuständig. Die Folgen waren eine fragile Infrastruktur, hygienischer Notstand und permanente Feuergefahr. Mit derartigen Orten war es auch nach dem Ende der Rassendiskriminierung Anfang der neunziger Jahre nicht vorbei.
Es gibt inzwischen in Imizamo Yethu kleine Häuser aus Holz oder Stein. Einige hat der irische Bauunternehmer und Millionär Nile Mellose 2003 errichtet. Er stiftete dem Township zehn Millionen Rand, etwa eine Million Euro. Manch anderes Obdach hat die Regierung bauen lassen. Thobeka, meine Begleiterin in der Siedlung, zeigt auf einen älteren Mann. Er habe sein Haus vom Staat geschenkt bekommen, weil er arm, alt und seine Frau behindert sei. Ein anderer habe sein Quartier mit einem staatlichen Kredit selbst gebaut. Warum hier, in Imizamo Yethu, will ich wissen. Falsche Frage, lässt sich Thobekas Reaktion entnehmen. „Wo sonst soll der Baugrund herkommen? Wo sonst können die Menschen weiter so preiswert leben wie hier? Der Schulbesuch ist kostenlos, ebenso die Gesundheitsversorgung.“ Zudem würden viele Bewohner die Gemeinschaft schätzen. „Wer hier jahrelang lebt, will gern ein besseres Haus, aber deshalb nicht weg von Freunden und Bekannten. Und wer Arbeit hat – als Fischer, Gärtner, Bauarbeiter oder als Haushälterin –, den zieht es erst recht nicht weg aus dieser Gegend.“
Barbecue ist angesagt
Noch ist von einer Stimmung der Art „Friede den Hütten, Krieg den Palästen“ nichts zu spüren. Gewaltsame Proteste, zu denen es im Juli kam, als etwa 300 Obdachsuchende leer stehende Häuser auf einem neu erschlossenen Gelände besetzten, bleiben die Ausnahme. Damit so etwas nicht häufiger passiert, wurden die Besetzer sofort des Ortes verwiesen. Auf dem besetzten Areal standen Häuser, für deren Bezug Bewohner einen Kredit brauchen. Die Protestierenden waren nicht kreditwürdig.
Mit Thobeka an meiner Seite komme ich an winzigen Pubs mit Coca-Cola-Reklame vorbei. Getrunken, geraucht, geschluckt wird auch manch anderes als Cola, wie die Augen einiger junger Männer verraten, die gegen Mittag das Lokal verlassen und schon so zugedröhnt sind, dass mich meine Begleiterin mit forschem Schritt aus der vermeintlichen Gefahrenzone bringt. „Arbeitslosigkeit, Alkohol und Drogen sind unsere größten Probleme hier“, sagt sie. Kriminalität gebe es dagegen nur wenig.
Vor einer Hütte steht ein gemauerter Bogen. Das daran befestigte Kreuz verrät: Hier residiert eine Kirche, besser: eine Andachtsstätte für eine von fünf im Township vertretenen Religionsgemeinschaften. Einige sind seriös, andere sind nur auf das Geld der Menschen aus, das sie den Ärmsten mit Versprechungen aus der Tasche ziehen. Vor der Kirche stehen Frauen in blütenweißen Röcken, kleine Mädchen in farbenfrohen Kleidchen, Hosen oder T-Shirts. Auf einer Wäscheleine hängen die Trikots der örtlichen Fußballmannschaft. Es wird gewaschen und gewaschen, als sollte die Kleidung am Körper etwas von der Würde ausstrahlen, die jeder Bewohner hier haben will, gerade weil sich das mit der Behausung nur schwer ausdrücken lässt.
Wenige Meter weiter glüht Holz auf einem Metallgestell. Später soll Fleisch gegrillt werden, erfahre ich. Barbecue ist angesagt, verrät Thobeka. An einer Wasserstelle daneben versorgen sich Frauen kostenlos und schleppen in großen Eimern davon, was sie tragen können. Hunde streunen an uns vorbei, Autos und Busse bahnen sich ihren Weg. Neben der asphaltierten Hauptstraße gibt es nichts, was einem Fußweg ähnelt. Wer mit Lasten unterwegs ist, kann dem behäbig dahinfließenden Verkehr im Township bedrohlich in die Quere kommen. Die Werbung auf einem großen Container verrät, hier werden Haare geschnitten oder Bärte rasiert. Vor der Hütte mit dem Frisiersalon stehen Waschmaschinen und Fernsehapparate. „Die bekommen sie in defektem Zustand von Leuten, die sich lieber ein neues Gerät kaufen, als das alte reparieren zu lassen. Und dann bringen ein paar Handwerker in Ordnung, was noch zu gebrauchen ist, und verkaufen die Geräte wieder an die Bewohner zu einem guten Preis“, erklärt Thobeka. „Nicht nur Waschmaschinen und Küchenherde, auch alte Lampen und mehr.“
Wenige Meter entfernt wächst ein Müllberg neben einem Container in die Höhe. Der soll wohl die Abfälle aufnehmen, aber entweder ist er voll oder einige Leute machen sich nicht die Mühe, den Müll hineinzuwerfen, sondern schmeißen ihn einfach daneben. Ein Paradies für Ratten. Ich trete versehentlich auf ein totes Tier. Thobeka fragt nüchtern: „Und wessen Müll sind die Ratten? Wer fühlt sich dafür zuständig?“
Fass ohne Boden
Ich schließe für einen Moment die Augen und stelle mir vor, dass dies alles irgendwann ein ganz normales Quartier mit festen, kleinen Häusern, richtigen Straßen, regulärer Strom- und Wasserversorgung sein wird. Wie viele Jahre könnte es dauern, bis aus den 20 Prozent Steinhäusern 100 Prozent geworden sind? „Schwer zu sagen“, meint Thobeka, „täglich strömen Flüchtlinge aus anderen afrikanischen Staaten hierher oder es kommen Menschen, die vom Land in die Stadt wollen, um Arbeit zu finden und ein besseres Auskommen zu haben.“
Wohnungsbauminister Bonginkosi Madikizela, den ich in seinem Büro in der City von Kapstadt treffe, ist ebenso skeptisch. „Wir können bauen, so viel wir wollen, die Nachfrage steigt ständig. Von 2001 bis 2011 wuchs die Bevölkerung in der Kap-Provinz um 1,3 Millionen Menschen.“ 53.700 neue Häuser seit 2009 seien da ein Tropfen auf den heißen Stein. Madikizela gehört zur Regierung der westlichen Kap-Provinz, die als einzige Regional-Exekutive nicht vom ANC, sondern von der Democratic Alliance gebildet wird. Er hält die von der Zentralregierung unter Präsident Jacob Zuma verfolgte Politik zur Wohnungsvergabe für falsch und spricht „von geradezu perversen Anreizen“. „Wenn eine 18-Jährige mit einem Kind Anspruch auf ein kostenloses Haus hat, dann schaffen sich 18-Jährige eben ein Kind an statt zu arbeiten, beantragen ein Haus und verkaufen es dann. Die meisten Leute, die kostenlos ein Haus erhalten – wegen welcher Kriterien auch immer – behalten es nicht lange“, behauptet der Minister. „Sie machen es zu Geld.“ Das sei gesetzlich zwar verboten, aber schwer zu kontrollieren, weil Vermietung oder Verkauf informell geregelt würden.
Dass mit dem Geld die Rückkehr in die Heimatprovinz, der Kauf von etwas Land oder das Schulgeld für die Kinder bestritten wird oder dass es viel zu wenig Arbeit für junge Südafrikaner gibt, ändert nichts an seiner Position: „Durch die Zentralregierung bleibt der Wohnungsbau ein Fass ohne Boden. Wir brauchen Programme, die Menschen in Arbeit bringen und damit in die Lage, sich selbst zu versorgen, auch mit Wohnraum. Wir dürfen den Leuten keine falschen Hoffnungen machen und sie glauben lassen, der Staat regelt für sie alles.“ Laut offiziellen Angaben hat Südafrika derzeit 3,5 Millionen Steuerzahler und 17 Millionen Menschen, die von Wohlfahrt leben. Wie will die Democratic Alliance dieses wenig ermutigende Verhältnis ändern?
Warten auf 2019
Minister Madikizelas Ehrgeiz besteht darin, in Western Cape vermeintlich bessere Lösungen zu finden und dadurch Einfluss auf Präsident Jacob Zuma zu nehmen. 100 Jahre nach dem „Land Act“, einem Gesetz, das den meisten schwarzen Südafrikanern ihr Land genommen hat, scheint es längst an der Zeit, wenigstens etwas mehr Gerechtigkeit beim Besitz an Boden und Immobilien walten zu lassen. Das ist Madikizela wohl bewusst, aber durch staatlichen Wohnungsbau allein könne man die Geschichte schlecht korrigieren. Am liebsten würde seine Partei natürlich den ANC bei der nächsten Wahl schlagen und für ganz Südafrika die Weichen neu stellen. Die Parteivorsitzende Helen Zille rechnet damit, dass es 2019 so weit sein könnte.
Die Stühle in der Wartezone des Ministeriums werden dann vermutlich noch immer gefüllt sein mit Leuten, die hier stundenlang auf ein Gespräch über ihren Antrag auf ein kostenloses Haus oder einen günstigen Kredit warten, der wenigstens ein Anfang sein könnte.
Christa Schaffmann lebt in Kapstadt und schreibt vor allem über die sozialen Verhältnisse in Südafrika
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