Wir brauchen ein Mikroskop, um das abzumessen, was unsere Regierung seit Peking verbessert hat". Virginia Vargas, Pionierin der Frauenbewegung in Peru, ging mit ihrer Regierung hart ins Gericht. Und nicht nur sie. Vertreterinnen von Frauenorganisationen aus aller Welt verteilten bei der Peking+5-Konferenz vor Pfingsten in New York schlechte Noten: den meisten Regierungen habe es an politischem Willen gefehlt, um die Beschlüsse von Peking in Taten umzusetzen, und an Bereitschaft, Mittel "in Frauen zu investieren". Eine Gesetzesreform hier, ein paar Häppchen Frauenförderung dort, aber keine konsistente Gleichstellungspolitik, die die Kluft zwischen den Geschlechtern verkleinert, die Armut von Frauen beseitigt und die Gewalt gegen sie verringert hätten.
Jetzt muss Virginia Vargas dieses Mikroskop noch einmal benutzen, nämlich um die Fortschritte auszumachen, die die Peking+5-Konferenz in ihrem Abschlussdokument gegenüber Peking erreicht hat. Wochenlang hatten die Regierungsdelegationen sich über Frauenrechte, Globalisierung und heikle Punkte internationaler Politik wie Sanktionen gestritten. Bis drei Uhr nachts harrten Frauen aus aller Welt in den letzten Nächten des Verhandlungsmarathons auf der Galerie aus, um Präsenz und Unterstützung für fortschrittliche Regierungen zu signalisieren, die unten in Konferenzsaal 2 der Vereinten Nationen um Formulierungen, Punkt und Komma rangen.
Erneut hatte sich eine "unheilige" Allianz von konservativen Regierungen von Libyen bis Nikaragua, vom Iran bis Polen, häufig unter Wortführung des Vatikan, gegen reproduktive und sexuelle Rechte von Frauen und Jugendlichen und für kulturelle Souveränität in Sachen Frauenrechten stark gemacht. Dieser konservativen Phalanx ging es hauptsächlich um die Aufweichung der Beschlüsse von Peking. Erfolgreich schmetterte sie ein Recht auf freie sexuelle Orientierung, das die nordamerikanischen und europäischen Delegationen festschreiben wollten, ab. Die kubanische Delegation blockierte dagegen immer dann, wenn sie sich vom Westen - vor allem von den USA - keine Positionen diktieren lassen wollte. Beim Thema Globalisierung forderten die meisten Länder des Südens, die negativen Auswirkungen von Liberalisierung, Privatisierung und Strukturanpassung auf ihre Wirtschaft und auf Frauen zu benennen. Dagegen beharrten die Industrienationen auf einer "ausgewogenen" Würdigung der "Chancen" von Globalisierung und einer Kritik an Regierungskompetenz und Missmanagement in den ärmsten Staaten.
"Wir wollen kein Peking-minus-5-Dokument", sagte sogar die offizielle Verhandlungsleiterin, die Tansanierin Christina Kapalata. Wo liegt die Schmerzgrenze, wenn Formulierungen das in Peking Erreichte verwässern, fragten sich in New York Regierungsdelegationen wie auch Frauenorganisationen. Viel zu spät kamen die NRO auf die Idee, dass kein Ergebnisdokument besser sein könnte als ein schwaches.
Die Mehrzahl der Regierungen wollte ein Abschlussdokument, vor allem um Handlungsfähigkeit zu beweisen und den enormen Einsatz menschlicher und finanzieller Ressourcen zu rechtfertigen. Herausgekommen ist ein Ergebnis, dass tatsächlich nicht hinter Peking zurückfällt, aber auch nicht wesentlich darüber hinausreicht. Genitalverstümmlung und "Ehrenmorde" an Frauen sind im Dokument deutlicher als zuvor als Menschenrechtsverletzung angeklagt. Festlegungen finanzieller und terminlicher Art wurden vermieden. Statt handfester Zusagen finden sich im Dokument nun viele wachsweiche Aufforderungen, dass die Regierungen "erwägen mögen, Maßnahmen zu ergreifen". Statt Terminfestlegungen heißt es lediglich "so bald wie möglich". Das bedeutet für die Zukunft, dass die Verbindlichkeit der Staaten, frauen- und gleichstellungspolitisch aktiv zu werden, weiterhin gering ist. Frauenorganisationen wird es schwer gemacht, Regierungen in die Pflicht zu nehmen und zu überprüfen.
Bei den Nicht-Regierungsdelegationen war ihre Enttäuschung über die Zähigkeit der Verhandlungen und über die minimalen Fortschritte riesig. Der dramatische Verlauf der Verhandlungen hat den Frauenorganisationen einmal mehr ihre beschränkten Einflussmöglichkeiten gezeigt.
Fünf Jahre nach Peking hat sich ihre Aufbruchsstimmung angesichts der geringen Umsetzung der Beschlüsse in frauenpolitische Taten verbraucht. Inhaltlich näherten sich Regierungen und NRO seit Peking stark an und kooperieren in der Praxis. NRO-Vertreterinnen saßen in fast allen Regierungsdelegationen, andere arbeiten als Beraterinnen für UN-Agenturen. Viel Applaus bekam die US-amerikanische Delegationsleiterin, als sie den Schulterschluss lobte: "Gemeinsam werden wir nicht zulassen, dass die Beschlüsse von Peking aufgeweicht werden."
Hoffnungsträgerinnen, dass Frauenbewegungen nicht tot sind, waren in New York ein paar hundert junge Frauen. Sie sind wütend, begeistert und entschlossen, den Regierungen auch in Zukunft Rechte und politische Maßnahmen zur Gleichstellung abzutrotzen.
Peking+5 - also viel Lärm um nichts? Diese Frage stellt sich auch angesichts einer unsicheren Perspektive. Soll auf Rio+5, Kairo+5, Peking+5, Kopenhagen+5 nun Rio+10, Peking+10 und so weiter folgen? Alle +5-Konferenzen waren enttäuschend und brachten keinen Fortschritt. Offenbar ist die Form der Bilanzkonferenzen in New York wenig tauglich, die Regierungen zu neuen Zusagen zu bringen.
Konsens herrscht allerdings darüber, dass der Prozess der Gleichstellung der Geschlechter auf internationaler Ebene immer wieder Anstöße braucht. Für das Jahr 2005 wurde eine erneute Überprüfung der politischen Maßnahmen angekündigt, nicht aber eine 5. Weltfrauenkonferenz von Pekinger Dimension. Die meisten Beteiligten auf staatlicher und nicht-staatlicher Seite sind verhandlungsmüde und hoffen, dass sich bis zum Jahre 2005 eine andere Form findet, um die Gleichstellungsfortschritte und -hindernisse zu kontrollieren und die Regierungen in die Pflicht zu nehmen. "Wir sollten die Rollen tauschen", schlug die Veteranin Devaki Jain vor, "die Frauenorganisationen sollten die Hauptakteurinnen beim Bilanzieren sein und die Regierungen Beobachterstatus bekommen."
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