It’s the vaccination-strategy, stupid!

Kommentar Eine Bundestagswahl inmitten einer globalen Pandemie, die im September bestenfalls gerade etwas abgeklungen sein wird, wird zu einer Verschiebung der Wahlthemen führen

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Vieles hätte man vor einem Jahr noch für undenkbar gehalten - darunter wohl auch die Tatsache, dass ein nationaler Impfplan die kommende Bundestagswahl zu einem erheblichen Maße mit entscheiden könnte. Bei wohl keiner anderen Frage in den aktuellen Meinungsumfragen dieser Republik schauen die Regierungsparteien und Spitzenpolitiker*innen so nervös wie bei „Wie zufrieden sind Sie mit der bisherigen Impfstrategie der Bundesregierung?“

Einmal mehr hat in dieser Krise eine weitere Stunde der politischen Kommunikation geschlagen. Die Strateg*innen im Konrad-Adenauer-Haus wissen sehr genau, dass ein Erfolg oder Misserfolg der Impfstrategie die Union die Kanzler*innenschaft kosten könnte. Es wird schwierig sein, andere politische Erfolge im Wahlkampf glaubhaft in den Vordergrund zu rücken, wenn ein Impf-Fiasko wie ein Damoklesschwert bleiern schwer über allen anderen Themen zu schweben droht. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hofft – die Betonung liegt auf dem Wort „hoffen“ –, dass bis zum Sommer diesen Jahres alle Bürger*innen eine Impfung erhalten. Vieles deutet derzeit darauf hin, dass das auch machbar sein wird. Aber „Vieles“ bedeutet eben nicht „Alles“. Spahn, der sich als Juniorpartner gemeinsam mit NRW-Ministerpräsident Armin Laschet um den CDU-Vorsitz bewirbt, weiß um die bisher nur mäßigen Haltungsnoten der beiden im Pandemie-Management. Das Duo hat pünktlich zum Jahresanfang seinen Zehn-Punkte Plan mit dem wenig aussagenden Titel „Für ein innovatives und lebenswertes Deutschland - #impulse2021“ vorgelegt. Bereits das Vorwort zum Papier erinnert eher an das bewusst inhaltsleere Satire-LiedMenschen Leben Tanzen Welt“ von Jan Böhmermann, als an ein seriöses Politikangebot. Kaum erfolgversprechender dürfte die Kandidatur des meinungsschwangeren Retropolitikers Friedrich Merz sein.

So kann es bei der anstehenden Bundestagswahl auf einmal heißen – um ein altbewährtes Sprichwort in umgekehrter Reihenfolge heranzuführen – „des einen Leid, des anderen Glück“. Denn das Glück hätten in diesem Fall neben den Grünen, die nach wie vor in den Umfragen auf Platz zwei hinter der Union liegen, auch ein Herr aus den Unionsreihen selber, der Mitglied der legendären Bonner Pizza-Connection war: Norbert Röttgen. Die Grünen profitieren seit Beginn der Corona-Krise davon, dass Sie im Bund – der Kommandobrücke des Pandemie-Managements – keine Regierungsverantwortung tragen. Norbert Röttgen trägt diese auch nicht, höchstens als Unions-Bundestagsfraktionsmitglied. Das dürfte bei der Wahl eines Unionsvorsitzenden und Kanzlerkandidaten sowie einer Bundestagswahl ähnlich wenig Aufmerksamkeit erzeugen wie die Tatsache, dass die grün-regierten Bundesländer die bisherigen Pandemie-Maßnahmen im Wesentlichen mitgetragen haben.

Vielleicht hätte dieses Land am Ende eine schwarz-grüne Koalition der Glücklichen – mit einem lachenden Bundeskanzler Röttgen, oder aber auch – je nach bundesweiter Stimmungslage Ende September - sogar eine weitere Bundeskanzlerin: Annalena Baerbock. Gönnen würde ich es beiden.

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Geschrieben von

Christian Bergmann

Politikwissenschaftler, Publizist und Kurator.

Christian Bergmann

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