Im Moment ihres Berliner Triumphes bei der Landtagswahl scheint die Linkspartei auf Bundesebene von Todessehnsucht befallen zu sein. Die beiden Fraktionsvorsitzenden Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch schritten zum Angriff auf die Parteispitze. Das ungleiche Duo will die Linkspartei bei der Bundestagswahl anführen – das zumindest verkündeten sie vergangene Woche. Das selbsternannte Spitzenteam pokert extrem hoch. Denn eigentlich ist es die Sache der Parteivorsitzenden, die Spitzenkandidaten vorzustellen. Ein Analyse in drei Kapiteln.
1. Endlich wieder Politik
Wer sich die Reaktionen zu Gemüte führte, die auf Wagenknechts und Bartschs Attacke im Parteivorstand folgten, den befiel ein Gefühl der Befreiung. Endlich geht es wieder um Machtpolitik in der Linkspartei! Soll heißen, jetzt ist Schluss mit dem gelangweilten Herunterbeten von komplizierten Papieren. Denn Politik besteht nicht nur aus Prozeduren und Positionspapieren, es ist vor allem ein Kampf um die Macht. Oder noch besser: Es geht um den Mut und die Freiheit, den Mitstreitern ein Angebot für eine bessere Politik zu machen. Eine Machtperspektive zu bieten. Was die schlagende Alternative ist oder worin die größte Chance besteht, liegt natürlich stets im Auge des Betrachters. So haben verschiedene Gruppen der Partei die selbsternannten Spitzenkandidaten sogleich mit viel Text beworfen. Allen diesen Äußerungen war eines gleich: Sie waren ehrpusselig und langweilig. Inhaltliche Analyse oder schneidende Replik: Fehlanzeige. Selbst die gehörnten Personen an der Spitze, Katja Kipping und Bernd Riexinger, wirkten wie paralysiert. Es gebe ein verabredetes Prozedere, an das halte man sich – das war zunächst alles, was der überrumpelten Kipping als Gegenoffensive einfiel. Eine Riposte, ein Gegenangriff zum Machterhalt, sieht anders aus.
2. Ein vorbereiteter Putsch
Da wundert es nicht, wenn die Aktion im Parteivorstand der Linken in der vergangenen Woche wie ein vorbereiteter Putsch anmutet. Alexander Ulrich, Linksparteichef aus Rheinland-Pfalz, ergriff das Wort, um zu erörtern, ob nicht die Basis über die Spitzenkandidatur entscheiden solle. Er plädierte dabei für das Duo Wagenknecht/Bartsch, berichteten Teilnehmer der Sitzung. Das konnte niemanden verwundern. Hatte sich Ulrich doch kurz zuvor in Rheinland-Pfalz einen formellen Beschluss seines Landesverbandes vorfabriziert. Nach Ulrich bot Parteichefin Kipping drei Modelle an, wie und wer die Linkspartei in der Bundestagswahl 2017 anführen könnte. Kipping/Wagenknecht, Bartsch/Wagenknecht oder ein Spitzenquartett. Da traf es sich, dass Bartsch und Wagenknecht sich nicht ganz zufällig im Karl-Liebknecht-Haus eingefunden hatten. Sie machten deutlich, dass es für sie nur ein Modell bei der Bundestagswahl geben kann: eine Doppelspitze aus ihnen selbst. Die Ohrfeige für die beiden Spitzenleute der Partei konnte man von der Parteizentrale bis hinüber zur Volksbühne hören. Riexinger, so war zu hören, habe die überraschende Attacke arg mitgenommen. Vielleicht gibt es kein überzeugenderes Testat dafür, dass der Verdi-Kämpfer aus Stuttgart, der bei der letzten Landtagswahl in Baden-Württemberg ein äußerst schmales Ergebnis eingefahren hat, für eine Spitzenkandidatur nicht der Richtige ist. Beim Kampf um die Macht sollte man schwindelfrei sein.
3. Letztes Aufbäumen
Freilich könnte es aber auch sein, dass gar keiner der vier Spitzenleute die Zukunft der Linkspartei darstellt. Der Mut der beiden Angreifer auf die Parteichefs steht in umgekehrtem Verhältnis zu ihrer Machtbasis in der Fraktion. Der stehen sie zwar geräuscharm vor. Aber die Geräuschlosigkeit soll auch mit konzeptioneller und inhaltlicher Armut einhergehen, heißt es. Wagenknecht und Bartsch haben mit ihren Flügeln der Linken und der Reformer nur dann eine Mehrheit, wenn sie ihre eigentlich unvereinbaren Pole zum Zwecke des Machthandwerks zusammenspannen. Bartsch kontrolliert den Fraktionsapparat, die telegene Wagenknecht besorgt das mediale Geschäft. Das Modell der beiden Antipoden wird in der Fraktion Hufeisen genannt. Oder weniger freundlich: Beutegemeinschaft zum Erhalt der Macht.
Die Auftritte Wagenknechts lösen regelmäßig Widerwillen in der Fraktion aus. Damit sind nicht nur ihre stark rechtsdrehenden Äußerungen über das Gastrecht von Asylbewerbern gemeint. Ihr Gespräch mit der AfD-Vorsitzenden Frauke Petry in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung wird irgendwo zwischen Wut und Resignation kommentiert. Das Signal eines solchen Gesprächs mit Frauke Petry wird als verheerend empfunden – da mochte Wagenknecht noch so sehr fauchen, „es gibt keine Überschneidungen, Frau Petry“. Für die Anhänger einer erneuerten Linken zählt das riesige Bild der beiden Spitzenfrauen von Linkspartei und AfD, garniert mit der charmanten Zeile: „Wir sollten öfter miteinander reden.“ Sollte da etwa ein neues Hufeisen heißgeklopft werden?
Die unproduktive Machtteilung zwischen den beiden Fraktionschefs lässt sich auch als letztes Aufbäumen der alten Linken lesen, die aus PDS und WASG zusammengedengelt wurde. Die gesellschaftliche Analyse bei beiden Politstümpfen stimme nicht mehr – weder im Osten noch im Westen. Im Osten läuft der Partei in Scharen ein Teil ihrer Klientel zur AfD davon. „Die werden und wollen wir nicht zurück haben“, sagt ein Bundestagsabgeordneter. Sie trauerten der DDR nach und hätten Angst vor der Moderne. Aber die DDR sei definitiv nicht mehr das Referenzsystem. Es wird verwiesen auf den starken Zulauf junger Parteigänger und Wähler, die Antworten auf die prekären Verhältnisse von einer Million Soloselbstständigen und digitalen Nomaden suchen. Die Formeln von Sahra Wagenknecht, die auf die böse Agenda-SPD gerichtet seinen, passten nicht zu dieser Situation. „Wenn man so will, schauert es auch ihr vor der Moderne“, sagt ein Abgeordneter. „Sie ist nicht zukunftsfähig.“
Aber wo ist das Neue? Beinahe einhellig wird auf ein Papier des Abgeordneten Jan Korte verwiesen, das er kürzlich für die Luxemburg-Stiftung geschrieben hat. Er fordert, „wieder mehr Klassenanalyse in die Strategie der Linken zu bringen“. Aber er bleibt dort – anders als Kipping/Riexinger – nicht stehen, sondern spricht eine Warnung aus. „Keinesfalls darf dabei allerdings der Fehler gemacht werden, in eine dogmatische Sicht des Haupt- und Nebenwiderspruches zu verfallen.“ Kortes Text ist eines jener raren Stücke aus der Linken, die so etwas wie emotionale und intellektuelle Empathie enthalten: Es gibt kein Zurück, schreibt er den Wagenknecht-Anhängern ins Stammbuch, „keinen Bezug auf die Nation, keinen Rabatt bei der Menschenwürde, keine ‚Arbeitertümelei‘ und keine Vernachlässigung von Konflikten jenseits der Lohnarbeit“. Die Linke müsse eine Politik machen, „die die kleinen Träume der Menschen in den Mittelpunkt stellt“. Es gehe um die Verbindung zwischen wackeren Kämpfern für Minderheitenrechte und ökonomisch Depravierten, die dennoch versuchten, „würdevoll durch das Leben zu kommen“.
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