Die Sprecherin von Save the Children Deutschland nannte den Taifun nicht Haiyan, sondern „eine CNN-Katastrophe“. Das heißt: Die Medien machen die Werbung, die Organisationen müssen nur noch die Hand aufhalten. Jetzt besteht die einmalige Chance, viel Geld einzunehmen, sehr viel Geld, um den Menschen auf den philippinischen Inseln zu helfen. Dabei können sich die Hilfsorganisationen als kompetente Akteure präsentieren, denen man zweckungebunden spenden soll.
22 davon stehen hinter Deutschland hilft – jede von ihnen hat sich bereit erklärt, auf den Philippinen einzugreifen. Es wäre auch dumm, bei diesem Mega-Ereignis nicht mitzumachen. Wer abseits steht, bekommt nichts aus dem Sammeltopf. Und der wird prall gefüllt sein, vielleicht wie ein Jackpot. Schon nach einer Woche hatten die Deutschen 7,5 Millionen Euro für die Haiyan-Opfer gespendet. Kein Wunder, wenn bei den Fundraisern der Hilfsorganisationen der Taifun bereits auf Tsunami-Level hochgestuft ist. Der Tsunami von 2004 war ein „Allzeithoch“, damals kam alles zusammen: Naturgewalt, Medien, deutsche Opfer und Weihnachten, mehr geht nicht. 125 Millionen Euro hat Deutschland hilft 2004 für den Tsunami eingenommen. Die Sprecherin beginnt zu stottern, als sie diese Summe charakterisieren will. „Nur mal zum Vergleich, beim Hochwasser dieses Jahres in Deutschland waren es 39 Millionen Euro, und das war schon supergut.“
Börsenwert eines Taifuns
Das Erdbeben in Haiti 2010, auch das eine „CNN-Katastrophe“, brachte dagegen 18 Millionen Euro. Die Einnahmen aus den sprudelnden Überweisungen werden nach einem komplizierten Schlüssel verteilt, der aus den Einsätzen der beiden letzten Jahre ermittelt wird. „Wie das genau geht, kann nur unsere Finanzerin erklären“, lautet die Auskunft. Fundraising als Rechenaufgabe.
Rupert Neudeck ist ein Helferveteran. Er erfand mit Cap Anamur einst die moderne schnelle Hilfsorganisation, heute schickt er die Grünhelme aus dem gleichnamigen e. V. rund um die Welt. Neudeck begrüßt, dass es inzwischen eine zentrale Sammelkontonummer des Bündnisses deutscher Hilfsorganisationen für Spenden gibt. Er kritisierte aber zugleich, dass diese „Aktion Deutschland hilft“ inzwischen einen bürokratischen Apparat aufbaue. Das Ganze sei eine Kopfgeburt, eine Art Konzern, der wie eine Behörde arbeite. „Wenn eine der beteiligten Organisationen Geld will, muss sie einen Antrag stellen. Das ist eine falsche Entwicklung“, findet Neudeck. Er hänge an der alten Form der Trennung von staatlichen und nichtstaatlichen Helfern. „Das heißt: Die Nichtregierungsorganisationen müssen regierungsfrei bleiben.“
Hört man den Fundraising-Papst Michael Urselmann, Professor für Sozialmanagement an der Fachhochschule Köln, dann ist der Börsenwert des Supertaifuns Haiyan noch gar nicht eindeutig bestimmbar. „Beim Spenden ist die Unschuldsvermutung sehr wichtig. Die Menschen helfen am liebsten denen, die ohne eigene Schuld in ihre katastrophale Lage gekommen sind.“
Deshalb seien plündernde Banden im Krisengebiet doppelt schlecht. Sie gefährdeten die Sicherheit vor Ort und die Spendenbereitschaft der Bürger hierzulande. Für eine reine Naturkatastrophe werden die Betroffenen vom Fernsehzuschauer gewissermaßen belohnt. Tun sich die lokalen Parteien vor Ort aber Gewalt an, dann fällt die Überweisung sofort kleiner aus. Deswegen ist Syrien für Fundraiser ein miserables Unterfangen. Obwohl das Bürgerkriegsland laut UN ein „Notstandsgebiet der Stufe 1“ ist, trifft das auf keine adäquate Spendenbereitschaft. So sammelte Deutschland hilft 2011 nur eine Million Euro.
Die Mitarbeiter der Hilfsorganisationen selbst taxieren den Taifun zur Vorweihnachtszeit eindeutig – wenn auch hinter vorgehaltener Hand – als gut. Für andere Spendenzwecke – Bildung, Missbrauch, ältere Menschen und so weiter – ist das schlecht. Denn jeder Euro kann nur einmal gespendet werden – und der Sieben-Milliarden-Markt ist heftig umkämpft. Was auch etwas damit zu tun hat, dass Pseudo-Hilfsorganisationen in Erscheinung getreten sind, die 80 bis 100 Prozent der Spenden in den Selbsterhalt stecken. Es sind Dienstleister entstanden, Meta-Agenturen, die überhaupt nicht helfen, sondern nur das Know-how des Geldsammelns kennen: Sie bringen alle Instrumente für teure Mailings mit, von den Adresslisten über die Druckstraße für den Postversand bis zum Inkasso. Die Fundraising-Industrie hat ausgefeilte Akquise-Instrumente entwickelt, nicht zuletzt den penetranten „Face-to-Face-Vertreiber“.
Wer heute neue Spender finden will, muss viel Mühe und Geld investieren. Wie gesagt, es geht um ein jährliches Spendenvolumen von etwa sieben Milliarden Euro, das die Organisationen selbst als gleichbleibend hoch einschätzen. Das bedeutet aber im Umkehrschuss – es stagniert. Das sei nicht zutreffend, meint Professor Urselmann, allein die steuerabzugsfähigen Spenden seien seit 2001 um 100 Prozent gestiegen. 2009, immerhin im Jahr der Finanzkrise, wurden laut Daten der Finanzämter sechs Milliarden gespendet – so viel wie nie zuvor. Aber das sind Eckwerte einer Arbeit, die Urselmann noch nicht veröffentlicht hat. Die Selbstwahrnehmung der Branche ist eine andere: Der Kuchen wird kleiner, man muss um sein Stück buhlen.
Geht jemand ans Telefon?
Stefan Loipfinger – ein Wirtschaftsjournalist, der 2011 ein Buch über Die Spendenmafia schrieb – hat alle Illusionen über die Fundraising-Industrie verloren. „Natürlich müssen wir den Menschen auf den Philippinen helfen, aber es ist gar nicht so einfach, seine Spende so zu platzieren, dass sie so direkt und so unbeschadet wie möglich im Notstandsgebiet ankommt.“ Für Loipfinger ist klar, „dass eine Katastrophe wie der Taifun Haiyan ein Konjunkturprogramm für die Hilfsorganisationen ist – und nur für sie.“ Diese könnten zwar schnell benennen, wie viel Geld sie brauchen. „Aber stellen Sie mal die einfache Frage, wie viele Mitarbeiter vor Ort sind, und was die genau machen.“ Der Autor empfiehlt daher, an Organisationen zu spenden, die nicht so klein sind, dass die Philippinen für sie zu weit weg wären. Und nicht so groß, dass sie ein Jahr brauchen, um zu zeigen, was sie im Krisengebiet wirklich getan haben.
Es gibt zwar Spendensiegel, wie sie das Deutsche Zentral-Institut für Soziale Fragen vergibt, aber das DZI ist nicht unumstritten, weil abhängig von den Hilfsorganisationen und – wenn man so will – selbst Teil der Spendenindustrie. „Es kostet nicht wenig Geld, sich ein solches Zertifikat ausstellen zu lassen“, meint Alexander Thurow von der Fundraising-Organisation marketwing.
Fundraising-Professor Urselmann findet das Kriterium Verwaltungskostenanteil, mit dem das DZI arbeitet, sogar antiquiert. „Die Menschen wollen heute ja nicht nur wissen, wie viel von ihrem Geld bei den Not leidenden Menschen ankommt, sondern: Was ist damit passiert?“ Deshalb gibt es inzwischen einen Social Return on Investment – eine Art sozialer Mehrwert einer Spende –, der von eigenen Evaluierungsteams ermittelt wird. Dahinter steht eine alte chinesische Weisheit: Gib einem Hungernden einen Fisch, und er wird einmal satt. Lehre ihn das Fischen, und er wird nie wieder hungern.
Doch für jemanden, der spontan zum Spender wird, weil er in den Fernsehnachrichten eine Frau hört, die ihr Kind in den Fluten nicht festhalten konnte, lässt sich nicht überprüfen, wie das eigene Geld eingesetzt wird. Was kann man also tun? Thurow empfiehlt: „Schauen Sie, ob die Hilfsorganisation, der sie etwas geben wollen, eine Webseite hat, die für Sie plausibel ist. Und rufen Sie an und überprüfen Sie, ob jemand ans Telefon geht.“
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