Das moderne Bauernlegen

Milch Die Milchbauern gehen pleite, weil die Milchpreise in den Keller rauschen und die Höfe an ihrer eigenen Leistungsfähigkeit ersticken. Es ist ein strukturelles Problem

In Kochel, im dortigen Franz Marc Museum, gibt es ein Fenster mit einem legendären Blick. Wie in einem Bilderrahmen sieht man in die Ammergauer Seen- und Berglandschaft hinein. Ein Experiment könnte nun sein, all das, was die Berg- und die Milchbauern dort bewirken, aus dem Bild zu retuschieren. Um zu verstehen, wie es ist, wenn keine Kühe mehr auf den Wiesen stehen. Wenn keine Hocken mehr aufgetürmt werden, um Gras zu trocknen. Wenn auch die Bauern wegen der billigen Milch fehlen. Kurz, wenn das Moment der Ordnung in den expressionistischen Bildern Marcs und Münters verschwindet. Was übrig bliebe, wäre großes Chaos.

Das defekte Wimmelbild ist eine präzise Kopie der Wirklichkeit. Die Milchbauern gehen pleite, weil die Milchpreise in den Keller rauschen. 35 bis 40 Cent je Liter sind notwendig, um zu überleben, und sei es mit Nebenjobs, aber keine 20 Cent gibt es. Ohne die Bauern aber, die von der Milch-Produktion allein längst nicht mehr leben, fehlt am Ende nicht die Milch im Supermarkt. Es fehlt alles, was Landschaft und Berge zu dem machen, was uns dorthin zieht. Die Milch ist ihr Lebenssaft, ein Kulturgut.

Die Milch aber, die aus Milchfabriken mit Hilfe von Armeen von Hochleistungskühen auf den Markt geschwemmt wird, sie ist kein Lebenssaft mehr, sondern eine giftige schwarze Milch. Die Kühe ersaufen an ihr. Und die Bauern. Und unsere Lebenskultur fern der Städte. Die Höfe ersticken an ihrer eigenen Leistungsfähigkeit

Der Landwirtschaftsminister hat nun 100 Millionen Euro versprochen, damit das moderne Bauernlegen nicht weiter geht. Er will, unter anderem, billige Kredite für die Bauern. Tatsächlich aber gibt es ein strukturelles Defizit, das kein Landwirt durch Kredite auf Dauer ausgleichen kann. Er würde sich nur langfristig und immer tiefer in die Miesen ziehen.

Im primären Sektor, also der Landwirtschaft, arbeiten heute noch 1,5 Prozent der Beschäftigten. Wie lächerlich, über diese Belegschaft zu reden, mag sich mancher denken, wo doch die vierte Industrielle Revolution ganze Branchen hinwegfegt. Wenn es denn so einfach wäre. Die Farmersgilde, die Kuhbranche, die Landschaftsbesteller, sie sind Teil nicht nur einer Ökonomie, sondern auch eines Kulturraums. Bei den Bauern und ihrer Milch wird die Krise zu einem Mangel, der uns alle trifft. Ins Mark.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Christian Füller

http://christianfueller.com

Christian Füller

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden