der Freitag: Herr Krempl, Martin Schulz ist der neue Frontmann der SPD. Lässt er sich denn besser verkaufen als Siggi Pop Gabriel?
Johannes Krempl: Schulz hat eine super Story zu bieten. Und die SPD brauchte unbedingt ein neues Gesicht. Die Aufführung „Siggi geht noch mal ins Kanzlerduell“ hat alle gelangweilt.
War das Problem die Person oder die Programmatik der Partei?
In Gabriel verband sich beides: Er hat an der Agenda 2010 mitgewirkt, die der große Dorn im Herzen der SPD ist. Die Frage für Schulz ist, ob er es jetzt schafft, aus der Agenda-Falle herauszukommen.
Schulz kommt gut an – trotz seiner Makel.
Ich würde fast sagen: wegen seiner Narben. Dieser Mann bringt eine ganz andere, authentische Geschichte mit. Herkunft aus kleinen Verhältnissen, wo er als Schulabbrecher kein Abitur hinbekommen hat. Der dann eine Lehre macht – das ist so derart SPD, das kann eine eigene Erfolgserzählung werden.
Er war Buchhändler ...
… ja, den Laden gibt es immer noch. Und trotz seiner Ehrenrunden in der Schule ist Schulz auch ein Durchstarter. Mit 31 war er bereits Bürgermeister von Würselen und bewältigte den Strukturwandel in seinem Ort, indem er ein Gewerbegebiet auswies, in dem sich IT-Start-ups ansiedelten. Die Torlinientechnologie kommt aus Würselen – ermöglicht auch von Martin Schulz. Das passt wie gemalt zu dem, was die Partei in diesem Wahlkampf ausdrücken will: ein Schulabbrecher, einer von uns, der sich hochgearbeitet hat bis an die Spitze des Europaparlaments.
Wie kann man die Abgehängten und die untere Mittelschicht erreichen?
Es gibt prinzipiell zwei politische Wege. Der eine Weg führt zur AfD. Da gehen diejenigen hin, die Angst vor Mohammed aus der Turnhalle haben. Er ist ihnen ein bisschen unheimlich, und er konkurriert mit ihnen um kleine Jobs und um Sozialleistungen. Der andere Weg, nämlich der, links zu wählen, scheint im Moment dagegen nicht sehr attraktiv zu sein.
Zur Person
Johannes Krempl, 51, ist der Inhaber von „glow“. Die Agentur ist bekannt für Dessous-Kampagnen mit politischem Inhalt und arbeitet für soziale Organisationen. Krempl war zuvor bei Ogilvy und Scholz & Friends in Frankfurt und New York
Foto: Benni Rein
Woran liegt das?
Vielleicht weil es schon seit langem keine Identifikationsfigur in der politischen Linken mehr gab, die diese Menschen ansprechen und abholen kann. Eine glaubwürdige Biografie ist da wirksamer als jedes Programm. Vielleicht kann es Schulz gelingen, AfD-Wähler zurückzuholen. Das Wort Gerechtigkeit ist dabei ein sehr wichtiges Stichwort, Schulz greift das geschickt auf – etwa mit dem Hinweis, dass das kleine Stehcafé Steuern bezahlt, aber der große Kaffee-Franchise-Konzern nicht. „Hoppla, so isses“, denkt da der kleine Mann. „Ich muss Steuern zahlen, und die reichen Schnösel bringen ihr Geld auf die Cayman-Inseln.“ Dennoch wird es sicher nicht einfach, die zur AfD Abwandernden zu erreichen.
Warum sind Prekäre für platte AfD-Parolen so empfänglich?
Wir befinden uns in einer Abwärtsspirale aus Falschmeldungen und auch aus falschen Vorstellungen. Da gehören Rassismus und Ressentiment dazu. Das Ganze verwirbelt sich zu realen und gefühlten Abstiegsängsten. Es ist nicht einfach, da rauszukommen. Was man unbedingt versuchen sollte, ist natürlich, es positiv anzugehen. Die Forderung nach sozialer Gerechtigkeit jetzt, Teilhabe jetzt, Wohlstand für alle, Chancen für alle. Das sind Slogans, die man von links besetzen muss. Auch für AfD-Sympathisanten ist es attraktiv, ernst genommen zu werden – ohne einen Halb-Nazi wie Björn Höcke mitschleppen zu müssen.
Wir erleben eine zweite, virtuelle Welt, die für Argumente nicht besonders zugänglich zu sein scheint.
Absolut. Die Social-Media-Bubble macht die politische Absprache kompliziert, weil viele Leute nicht mehr erreichbar zu sein scheinen. Wir haben gerade eine Kampagne zum Thema Heimat entworfen, die viel Spaß gemacht hat. Das Unheimliche, das man dabei aber kennenlernt: eine Nische von Heimat-Liebenden, die teilweise ganz gruselig ist. Auf Facebook und Youtube bringen sich bereits lange vor der Wahl Gruppen in Stellung, denen man nicht bei Nacht begegnen möchte.
Warum sind Sie da rein?
Wir wollten ganz bewusst in dieses Spektrum Heimat hinein. Mit dem Claim „Zusammen sind wir Heimat“ erweitern wir aber den engen Heimatbegriff. Wir wollten Leute erreichen, denen man sonst kaum mehr begegnet. Das sollte auch das Ziel von Schulz und der politischen Linken sein: Wie komme ich in die andere Bubble wieder rein?
Die SPD versucht es offenbar mit Respekt als zentraler Botschaft.
Respekt ist ein cooles und modernes Wort. Ich finde nur, es greift zu kurz. Ich würde weiter gehen und den Zusammenhalt im Land beschwören. Der Teamgeist geht in meinen Augen gerade auf Tauchstation. Das ist nicht gut. Die Politik sollte deutlich machen, dass Wohlstand aus dem Zusammenspiel verschiedener Kräfte, Talente, sicher auch Hautfarben entsteht.
Wie sieht ein guter Slogan aus, der alle diese Menschen erreicht?
„Make Germany great again“ geht nicht – schon gar nicht für die SPD. Und wer alle ansprechen will, wird am Ende niemanden erreichen. Wir haben bei den US-Wahlen gesehen, dass es darauf ankommt, die entscheidenden Segmente der Wählerschaft mit zielgenauen Botschaften anzusprechen.
Wie soll das gehen?
Es ist heute möglich, über Google, Youtube und Facebook die Wählerschaft auf ihre Präferenzen und Werte hin zu röntgen. Anhand von Likes lassen sich Zielgruppen finden und dann mit Botschaften bespielen. Jedem, der auf Facebook werben will, werden diese Informationen zur Verfügung gestellt. Die AfD wird das auf jeden Fall machen. Sie wird gezielt demotivieren, wie dies die Trump-Kampagne bei Clinton-Anhängern gemacht hat. Und sie wird andererseits die eigene Wählerschaft motivieren – wobei das leichterfällt.
Warum hat es die AfD einfacher?
Es ist viel einfacher, Ängste und Emotionen mit negativen Parolen zu schüren, als potenziellen Wählern mit konstruktiven Formeln einen politischen Ausweg aus ihrer prekären Situation anzubieten. Ich kann allen großen Parteien nur raten, die Instrumente zur Motivation und Demotivation schnell zu verstehen. Der kommende Wahlkampf kann schmutzig werden.
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