Fünfte Gewalt In Berlins feiner Mitte zeigte eine Debatte, wie nahe sich Pegida und Digital-Evangelisten sind: Beide treibt die Lust an der Disruption der traditionellen Politik
Eigentlich hat die Zivilgesellschaft in Berlin nicht viel für Pegida-Deppen übrig
Bild: Odd Andersen/AFP/Getty
Pegida hatte es nie leicht in Berlin. Wenn das Häuflein der Abendlandsretter sich in der Hauptstadt auf die Straßen wagte, wurde es stets fürsorglich belagert. Meist von fröhlichen Gegendemonstranten. Pegida in Dresden oder Erfurt, das waren obszöne bis hasserfüllte Auftritte von Typen wie Tatjana „Mistgabel“ Festerling oder Bernd Höcke. Pegida in Berlin, das endete meist in Happenings, bei denen sich die Zivilgesellschaft über die Pegida-Deppen lustig machte.
Dass dieses Bild schon immer zu sehr schwarz-weiss gemalt war, wusste man eh. Knobelbecher-Nazis und Identitäre laufen bei Pegida noch gar nicht so lange mit. Gegründet wurden Pegida und AfD von Rechtsanwälten, Offizieren, Werbern, Beamten usw., also einer Schicht entt
Identitäre laufen bei Pegida noch gar nicht so lange mit. Gegründet wurden Pegida und AfD von Rechtsanwälten, Offizieren, Werbern, Beamten usw., also einer Schicht enttäuschter weißer Männer. Dass diese Gruppe bis tief in den vorgeblich modernsten Teil der Industrie reicht, ließ sich vor einigen Tagen bei einem Politischen Abend inspizieren. In Berlins Mitte, im so genannten Basecamp von Telefónica.„Ich glaube seit vielen Jahren nicht mehr, was in den Zeitungen steht“, sagte bei der Debatte ein Mann. Es war kein AfD-Funktionär und kein Wutbürger, sondern der Hauptgeschäftsführer des „Bitkom“, Bernhard Rohleder. Bitkom ist der derzeit vielleicht wichtigste deutsche Branchenverband, er vertritt die IT- und Kommunikationsindustrie mit 2.400 Unternehmen. Rohleder sitzt normalerweise in Talkshows und wird als Gutachter im Bundestag eingeladen, um Industrie 4.0 zu vermarkten. Er gilt eigentlich als angesehenes Mitglied des demokratischen Diskurses. Sein Satz, dass er Zeitungen nicht mehr glaube, hat in Dresden ein Kürzel, das von Josef Goebbels stammt: Lügenpresse. Dieses Wort würde ein Bitkom-Chef natürlich nicht verwenden. Rohleder entschuldigte sich später sogar, er habe nicht Lügenpresse, sondern Presse-Enten gemeint. In der Debatte aber elaborierte er Zeitungsskepsis als „meine erste Erfahrung mit Journalismus“.Distanz zum QualitätsjournalismusRohleder bemühte das Mannschaftsfoto einer Fußballelf in der Lokalzeitung aus seinen Jugendtagen. Alle Namen auf dem Foto, die von der Zeitung genannt wurden, waren falsch. „Und ich habe festgestellt, das ist immer so. Das gehört zum Journalismus – und wir reden da über Qualitätsjournalismus – irgendwie dazu“, sagte Rohleder. Seitdem stehe er, bekannte der Bitkom-Boss, dem Journalismus „mit einer ausgesprochen kritischen Distanz gegenüber“.Damit hatte der Gastgeber des Podiums im Basecamp den Ton gesetzt – und der ging nicht mehr weg. Es sollte um Digitalisierung und Gesellschaft gehen, natürlich waren Fake-News und Hatespeech wichtige Themen. Aber die Runde ging von einem überraschenden Befund aus: Fake-News waren nicht das Problem sozialer Netzwerke, die zum Beispiel Donald Trump zum Wahlsieg verhalfen. Fake-News galten im Basecamp als Eigenschaft der Traditionsmedien. „Fake-News gab es schon immer, denken sie an Yellow-Press“, rief einer aus dem Publikum. Vom Podium kam keine Korrektur, kein Widerspruch zu Rohleder & Co. Der Moderator, der RBB-Journalist Daniel Finger, sagte – im Basecamp duzt man sich – : „Bernhard, Du hast so schön gesagt, ich glaube nicht mehr, was in der Zeitung steht. Das kann ich gut verstehen!“Auch der Rest des Podiums ließ die wattierte Lügenpresse-These von einem der wichtigsten deutschen Lobbyisten unkommentiert stehen. Was ein bisschen wunderte, denn da saßen exzellente Leute. Daniel Domscheit-Berg, einer der Helden von Wikileaks etwa, oder Joana Breidenbach von „betterplace“ oder Christian Rickerts, seit ein paar Tagen Staatssekretär im grün besetzten Wirtschaftsressort Berlins. Selbst Rickerts gab keinen Mucks zur Lügenpresse von sich, sondern zog sich auf jenes Gebiet zurück, auf dem er sich auskennt: Wikipedia. Ein großartiges Projekt, schwärmte Rickerts, bei dem man sehen könne, dass Wahrheit sowieso immer nur eine Annäherung sei. „Das eigentlich spannende bei der Wikipedia“, so Rickerts, „findet nicht auf der Hauptseite, sondern auf der Diskussionsseite der einzelnen Artikel statt“.Hinterhof von WikipediaWer sich einmal auf Wikipedia verirrt hat, der weiß: Die Diskussionsseite ist der Hinterhof des Online-Lexikons, auf dem sich die Autoren gegenseitig verhauen, für dumm erklären und mit Löschanträgen bekämpfen. Was auf Facebook und Twitter seit dem Einzug von Pegida und AfD abgeht, das gibt es bei Wikipedia schon seit vielen Jahren.Wie blind kann ein Podium in der sonst so streitbaren Mitte sein? Die Einseitigkeit des Podiums hatte mit der Örtlichkeit so viel zu tun wie mit der Zusammensetzung. Die vermeintlich politischen Salons, die sich rund um den Reichstag ausbreiten, sind keine Streiträume. Dort halten gerne die unregulierbaren Big Five vom Weltmarkt der Digitalisierung Hof. Facebook und Samsung haben hier zum Beispiel Hauptstadtrepräsentanzen, auch Apple, Amazon und Google schauen gerne vorbei. Die Digital-Lobby lädt freilich in der Regel nur die ein, die ohnehin ihrer Meinung sind – oder sie bestärken. Opposition gibt es in diesen Runden kaum. Angeleitet von den Verbindungsoffizieren der Internetgiganten wird eher formatiert – und nicht etwa diskutiert in der Art, wofür die politischen Salons einst im aufgeklärten Preußen erfunden wurden.Salons waren – damals – Teil des Strukturwandels der Öffentlichkeit. Sie halfen, den politischen Diskurs beim Übergang von Monarchie zu Demokratie gewissermaßen zu verbreitern und zu vertiefen. Das Volk akklamierte nicht mehr nur vorbeifahrenden Königen. Nein, dieses Volk begann nun, selbst zu räsonieren. Und es setzte diese Meinungsbildung über die Parlamente auch in politischen Willen um. In diese Zeit fällt auch die prägende Funktion der Zeitungen. Sie trugen den Diskurs über Politik in die neue Volks-Öffentlichkeit.Wenn man so will, erleben wir heute einen zweiten Strukturwandel der Öffentlichkeit, den ganz ähnliche Grundzüge bestimmen: Der politische Diskurs wird über den bisherigen Kreis der Teilnehmer ausgeweitet. Er hat neue Foren gefunden, die sozialen Medien. Jedermann kann nun publizieren, was er politisch denkt – meist: über Politiker denkt. Was auch immer der einzelne zu sagen hat, er kann es in wenigen Minuten hinausblasen mit Reichweiten, von denen die alten Medien nur träumen können. Nationalspieler wie Manuel Neuer oder Philip Lahm etwa erreichen mit einem Facebook-Post zwischen fünf und zehn Millionen Menschen – mehr als die deutsche Presse mit ihrer kompletten Auflage. Man muss aber kein Promi sein. Über Hashtags und Echoräume kann grundsätzlich jeder Social-Media-Teilnehmer Meinungsbildung betreiben, idealerweise mit besonders originellen Posts, im schlechten Fall mit Hass.Jeder sein eigener KorrektorDer neuerliche Strukturwandel der Öffentlichkeit wirft zwei grundsätzliche Probleme auf. Erstens spielen darin die sozialen Medien eine entscheidende Rolle – und eine ausgesprochen robuste. Im Netz wird nicht nur informiert und gemeint, sondern scharf und persönlich debattiert. Seit etwa 2014 erleben wir eine Phase des Diskurses, die nicht vertieft, sondern verflacht. Nicht jeder Blogger, Facebooker, Twitterer hat schon verstanden, dass er eigentlich auch sein Redakteur, Korrektor und Verleger sein müsste – mit allen dazugehörigen Fertigkeiten und Verantwortlichkeiten.Zweitens hat der zweite Strukturwandel der Öffentlichkeit noch keine politische Form gefunden. Der erste Strukturwandel stärkte das Parlament und machte es zu dem, was es vorher nicht war: Gesetzgebungsorgan. Was aber könnte das neue Entscheidungsformat einer digitalisierten politischen Öffentlichkeit sein? Der Wandel läuft vor aller Augen ab, aber eine neue Fassung der Demokratie ist nicht in Sicht.Oder vielleicht doch? Es lohnt sich, noch einmal für einen Moment in den Diskurs in Berlins Mitte hinein zu hören. Bernhard Rohleder, der Zeitungsverächter, hat ein feines Gespür für das Neue. Seine Analyse des politischen Diskurses baut auf einer These über Donald Trump und seine Wähler auf. „Beide sind ausgeschlossen vom intellektuellen Dialog, der über die Traditionsmedien geführt wird“, referierte Rohleder – mit erkennbarer Sympathie für die Underdogs und ihr neues Forum. Es gebe nämlich „eine Gruppe von Ausgeschlossenen, die über soziale und nicht-traditionelle Medien eine Plattform [gefunden] hat, in der sie sich untereinander verständigen und auch in gewisser Weise organisieren kann.“ Inzwischen fänden sich dort auch Personen, „die für sie rausgehen können und Mehrheiten bilden können in den traditionellen demokratischen Mechanismen.“ Das waren, vor ein paar Jahren, die Piraten. Heute ist es: die AfD. Sie ist der parlamentarische Arm der Wutbürger geworden, die sich mehr und mehr in den sozialen Medien organisieren.Bernhard Rohleders Sympathien in diesem Spiel sind ungleich verteilt: Hier die intellektuellen Traditionsmedien, denen er schon lange nicht mehr glaubt. Da die Sozialen Medien, die Ausgeschlossenen ein Forum geben. Und auch wenn die neue politische Nische uns nicht gefalle, so Rohleder, „damit müssen wir umgehen.“ Die vier bisherigen Gewalten, die erste, zweite, dritte, und die vierte, müssten alsbald in einen vernünftigen Dialog mit der fünften Gewalt treten.Die Bestie fünfte GewaltWas der Bitkom-CEO da aufsagte – ein wenig kryptisch und unhinterfragt von Moderator Finger – bedeutet nichts anderes als das: Hey, die Demokratie 1.0 ist dahin, die kommt nicht wieder! Lasst uns nachdenken, wie die Demokratie 2.0 aussehen könnte. Aber das, bitteschön, im vernünftigen Gespräch mit Pegida, AfD und anderen Wutbürgern aus den sozialen Medien. Es lohnt sich, die empirische Basis ihrer Nische genauer anzusehen. Es ist eine wütende fünfte Gewalt, die in ihrer Echokammer von Algorithmen und künstlicher Intelligenz maschinell verstärkt wird. Oft nimmt sie Züge einer Bestie an, etwa wenn sie mit elektronischen Baseballschlägern auf Claudia Roth, Renate Künast oder Angela Merkel eindrischt.Das Podium fand diesen Teil der Medien nicht besonders lustig. Aber echte Abhilfe fand sich eben auch nicht. Domscheit-Berg etwa schlug vor, dass sich Programmierer, Blogger und Journalisten im bevorstehenden Wahlkampf 2017 zusammen tun sollten, um Fake-News zu widerlegen. Und, natürlich, müssten sich vernünftige Leute in den Diskurs einmischen – und auf Twitter und Facebook zur Mäßigung beitragen. Bernhard Rohleder plädierte plötzlich dafür, jene Profession um Hilfe zu bitten, der er gerade die Glaubwürdigkeit abgesprochen hatte. „Wir müssen alle so etwas werden wie kleine Journalisten“, sagte er. „Wir müssen alle lernen, Quellenkritik zu üben, und zwar quer durch alle Bildungsschichten.“Hier zeigte sich die ganze Harmlosigkeit des Mitte-Dialogs. Die Vorschläge des Podiums waren nachgerade naiv, soziale Medien durch Faktenchecker oder durch vernünftige Stimmen zu stoppen. Wie soll man auf Twitter moderieren wenn ein Shitstorm wütet? Ganz grundsätzlich gilt: in jeder industriellen Revolution lässt sich die jeweils höhere Versionsnummer nicht durch Sicherungen der niedrigeren entschärfen. Das wäre gerade so, als wäre man ausgelaugten Tuchmacherinnen in Fabriken mit Fingerhüten zu Hilfe geeilt. Ihr Problem war ja nicht, dass sie sich an den Webstühlen in die Finger stechen konnten, sondern dass sie im Zuge der ersten industriellen Revolution in das enge tayloristische Zeitkonzept einer maschinisierten Fabrik gepresst wurden.Digitale MüllabfuhrDas selbe gilt für die digitale Revolution der politischen Öffentlichkeit. Wie unglaublich personell aufwendig und psychologisch belastend es ist, Facebook zu desinfizieren, zeigt sich zum Beispiel an der digitalen Müllabfuhr, die der Bertelsmann-Konzern für Facebook in Berlin eingerichtet hat. 600 Leute durchkämmen die Stör-Meldungen empörter User. Für einen Hungerlohn von 1.500 Euro fischen sie unter anderem Kinderpornos, Enthauptungen, Sodomie, bestialische Tierquälereien aus dem Meer von Posts. Eine Arbeit, die viele Mitarbeiter offenbar traumatisiert, wie ein Bericht des Magazins der Süddeutschen Zeitung nahelegt. Anekdotisch lässt sich die Unlösbarkeit dieser Aufgabe ohnehin schwer abschätzen. Wie ließe sich der Ausstoß einer Facebook-Auflage von 1,6 Milliarden Nutzern durch manuelles Sortieren, Bewerten und Beantworten einer „Leserbrief“-Redaktion bändigen? Wie soll das gehen?Kurz gesagt, lässt sich die zerstörerische Kraft sozialer Medien mit den Mitteln von Beleidigungsparagrafen, Strafverfolgung oder Zensur nicht kontrollieren. Und zwar weder die schiere Masse der Facebook- und Twitterschwärme noch das Bestienhafte der rechten Echokammern, die sich in den Netzen etabliert haben. Und genau hier liegt die Parallele zwischen der Facebook-Pegida und den Lobbyisten der Digitalisierung, die in Mitte Stress wegen Industrie 4.0 machen. Es ist die gemeinsame Lust an der Disruption. Sie wollen das alte System zerstören, jeder aus anderen Gründen, aber dennoch. Sie unterscheiden sich in der Tonlage nur noch minimal. Die einen sprechen von „traditionellen demokratischen Mechanismen“ und „intellektuellem Dialog“ (Rohleder), die anderen von „Altparteien“, „korrupten Eliten“ und „Lügenpresse“. Beide haben ihre Echokammern, in denen Kritik nicht erwünscht ist. Sie benutzen Begriffe von Totalreform und System, die sich erstaunlich ähnlich sind.In den USA haben die beiden Strömungen bereits zusammen gefunden. Dort berät der Internet-Mogul Peter Thiel den Brutalo-Kapitalisten Donald Trump, dessen Administration gespickt ist mit Anti-Semiten, Tea-Party-Anhängern und politischen Internet-Dreckschleudern wie dem Breitbart-Chef Stephen Bannon.Und in Mitte haben sie ihre Salons, wo die Digitalisierungs-Pegida sich gegenseitig beklatscht.
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