Die neue Linke ist grün

DiEM25 Yanis Varoufakis trifft sich in Rom mit jungen Linken – und appelliert an einen neuen grünen Gesellschaftsvertrag
Blau, aber grün: DiEM25
Blau, aber grün: DiEM25

Bild: Tobias Schwarz/AFP/Getty Images

Am Ende, als Yanis Varoufakis gefragt wird, was denn als nächstes geplant sei, kommt die große Überraschung. Er werde von Rom aus nach London fahren. Um dort Jeremy Corbyn zu unterstützen, den linken Vorsitzenden der Labour-Partei: „Großbritannien muss seine Demokratie erneuern, England muss in der EU bleiben!“ Der Applaus im Römischen Aquarium an der Piazza Manfredo Forti ist berauschend.

Yanis Varoufakis und die von ihm begründete Bewegung ist so pro-europäisch, dass er sogar bereit ist, gewissermaßen Seit an Seit mit Jean-Claude Juncker, Parlamentspräsident Martin Schulz und Finanzminister Wolfgang Schäuble um den Verbleib der Insel in der EU zu kämpfen. Wenn das keine gute Nachricht ist, vom Meeting der linken Demokraten, was dann? Die „Democracy in Europe Movement“ (DiEM) machte nach ihrem Start Anfang Februar in Berlin ihren zweiten Halt in der italienischen Hauptstadt. Es war ein sehr italienisches Treffen, große Verspätung, noch größere Emphase. Und ein sehr demokratisches. Yanis Varoufakis hat offenbar gelernt von der scharfen Kritik, die ihm auch von linker Seite entgegen schallte. Der Vorwurf lautet: dass seine Bewegung eben nicht demokratisch und transparent ist, obwohl sie es sein will.

Der prominente grüne Europaabgeordnete Sven Giegold hatte Varoufakis kürzlich vorgeworfen, dass er den Institutionen der Europäischen Union pauschal jede demokratische Legitimität abspreche. Das gehe zu weit. Giegold wollte auch wissen, was mit einzelnen Vorschlägen zur Reform der EU geworden sei, die er, Giegold, an Varoufakis' DiEM weiter gereicht habe. Varoufakis hat das ziemlich rüde zurückgewiesen. Er hielt dem früheren Attac-Mann und heutigen Grünen-Politiker in süffisantem Ton vor, er habe „zu lange in den scheußlichen neon-beleuchteten Fluren Brüssels verbracht.“ Europa aber müsse von seinen inkompetenten Herrschern befreit werden. Nicht gerade eine Einladung an Giegold, der sicher zu den wichtigsten EU-Kritikern gehört.

Also hatten die Veranstalter in Rom diesmal ein induktives Konferenzformat gewählt. Vormittags diskutierten sechs Arbeitsgruppen und gaben ihre Ergebnisse an die große Runde von einigen prominenten und vielen halb-prominenten Linken am Abend weiter. Dabei ging es um das bedingungslose Grundeinkommen für alle Europäer, ein riesiges paneuropäisches Investitionsprogramm, einen „green new deal“ und natürlich immer wieder, fast drehorgelhaft, um Transparenz und Demokratie. Fast scheint es, als wollte Varoufakis Anleihen bei Gorbatschows Glasnost und Perestroika der 1980er Jahre nehmen.

Zwischendurch äußerten sich Prominente – aber sie waren fast alle nicht anwesend, sondern per Livestream zugeschaltet. Bei Julian Assange war das nicht anders möglich, weil er immer noch in der ecuadorianischen Botschaft in London sitzt. Die US-Publizistin Saskia Sassen und die Linken-Vorsitzende Katja Kipping aber hätte man dennoch gerne im römischen Aquarium gehört. Auch wäre Pablo Iglesias Turrión von der linken spanischen Podemos-Partei wichtiger gewesen als der eher unbekannte Soziologe und Autor Jorge Moruno.

Die Demokratie-Bewegung von Varoufakis ist weniger breit aufgestellt als man erwarten möchte. Oder mag sich nicht jeder linke Spitzenpolitiker mit dem redegewandten, übermächtigen, ungeduldigen Varoufakis einlassen? Bei der Übertragung aus dem römischen Aquarium ist alles auf den ehemaligen griechischen Finanzminister ausgerichtet: Die Bilder einer jubelnden Menge, die ihm auf dem Motorrad huldigt genau wie die Biker-Kolonne, die er anführt. Der schnelle Yanis braust vornweg, alle anderen folgen ihm, das ist die Botschaft. „Ja, Europa wird demokratisiert oder es wird auseinanderfallen“, lautet das übergreifende Leitmotiv, das jeden Flyer ziert und das Varoufakis immer wieder in die Menge ruft. Auch Assange und andere greifen dieses Motiv auf. Europas Institutionen werden im Römischen Aquarium „demokratiefreie Zone“ genannt. Und kein Sven Giegold in der Nähe, der das irgendwie genauer erklären könnte.

Varoufakis benennt sechs „Schlachtfelder“, auf denen ein wahrhaft demokratisches Europa erkämpft werden müsse. Die Hauptkampfzonen dabei sind interessanterweise ein „green new deal“ und „green transition“. Freilich definiert Varoufakis im Auditorium die beiden Begriffe durchaus eigenwillig. Der grüne Gesellschaftsvertrag hat bei ihm zunächst keine grüne, sondern eine rein finanzielle und soziale Dimension. „Der grüne neue Vertrag ist der einzige Weg, damit die Institutionen mit der Krise der Schulden und der Banken, den niedrigen Investitionen und der Armut in Europa fertig werden können“, sagt Varoufakis. Mit dem grünen Vertrag ist ein „grüner Übergang“ verbunden, ein eigener sehr wichtiger Punkt, wie Varoufakis betont. Was versteht er darunter? Dass genau abgewogen werden müsse, in welche Felder man die großen europäischen Investitionen stecke. In grüne Energien und nachhaltige Technologien, so viel ist klar. Aber es brauche einen Selektionsprozess, welche Technologien nun genau nachhaltig sind und daher finanziert werden. Weil es sehr wichtig sei, so Varoufakis, „dass Europa seine technologische Souveränität behält und nicht in der Tasche von Google und Microsoft“ endet.

Das hat, erstens, den Geschmack einer zentralen Investitionssteuerung. Und ist, zweitens, eine durchaus enge Verdichtung von Instrumenten, Feldern und Zielen, die auch nicht viel klarer wird, wenn man das Manifest von DiEm studiert. Dort ist von grünem Wohlstand und und grünem Übergang die Rede – ohne nähere Ausführung.

Die lange linke Nacht der Demokratie in Rom ließ sich von solchen Details nicht stören oder fragte etwa nach, wie das alles genau zu verstehen sei. Das ist auch verständlich. Varoufakis hat, so souverän er mit Vorschlägen und Kritik auch immer umgehen mag, so etwas wie einen europäischen Aufbruch bewirkt. Junge linke Europäer begeistern sich für zivilgesellschaftliche und ökologische Ziele. Dass DiEM nicht ein weitere Partei sein will, sondern eine paneuropäische Bewegung ist gut für Europa – und spart blöde frühe Enttäuschungen. Ob es die Briten für ein Ja zu Europa gewinnen kann, wird man sehen.

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