Die Zukunft könnte zum Beispiel so ausgestellt werden: Aus dem Weltraum stößt ein Flugobjekt herab. Kurz vor der Erdoberfläche malt es in grün glitzernden Lichterscheinungen die Konturen eines Hauses der Zukunft in die Luft. Ach was, ein Haus! Ein Football-Ei mit Griff oder ein verlängertes Rotationsellipsoid. Darin sieht man Installationen der Jahre 2030, 2050 oder aus der St.- Exupery’schen Unendlichkeit. Ein Elektroauto natürlich, das aber nicht klobig ist wie jene Stromdroschken, die man uns als Zukunft verkauft, sondern flach wie eine Rennflunder.
So allerdings sieht nicht etwa das Berliner Museum der Zukunft aus, sondern sein Pendant in Dubai. Dort baut man gleichzeitig zu dem Projekt in der Hauptstadt einen Ort, an dem das Morgen zu besichtigen sein soll. So bombastisch wie in Dubais Hochglanzfilm, das versichert Reinhold Leinfelder, wird sein Haus der Zukunft nicht aussehen. „Die Installationen und Objekte werden nicht einzeln angeordnet, so dass man von Themeninsel zu Themeninsel geht“, sagt der Direktor. Fast hört man Verachtung über den Wüstenstaat bei dem Mann, dessen bayrisch-schwäbisches Idiom jeden hochfahrenden Futurismus sogleich wieder erdet. Sein Haus soll kein Museum sein. Denn jedes Objekt, das man auf- und ausstellt, wäre in der Sekunde seiner Betrachtung bereits Gegenwart und: Geschichte.
„Also, wie sieht die Zukunft nun aus?“ So sehr die Frager darauf brennen, herauszufinden, was denn zu bestaunen sein wird: Leinfelder und alle anderen, die jemals an dem Haus geplant und konzeptioniert haben, sind sehr routiniert darin, alles Konkrete zu abstrahieren. Zu verflüssigen. Es gibt inzwischen ein halbes Dutzend Machbarkeits- und Metastudien zum Haus der Zukunft. Die Frage nach Ausstellungsstücken empfinden da manche fast als Blasphemie.
Liquide muss es sein, sagt einer, der mit der Ausstellung zu tun hat, aber seinen Namen nicht nennen will. Alles, was dort zu sehen oder zu bearbeiten sein wird, ist eine Dauerbaustelle. „Jede Vorausschau ist nur ein Versuch“, sagt der geheimnisvolle Augur, „und das erreicht man unter anderem dadurch, dass jeder Einzelne die Möglichkeit haben wird, sich eine eigene Meinung zu bilden.“ Oder sogar selbst Hand an die Zukunft anzulegen.
Dafür sind unter anderem die Reallabore da. Sie werden im Untergeschoss des Gebäudes zu Hause sein. Diese Labore sind Experimentierräume, weil es nicht die eine Zukunft, sondern viele Zukünfte gebe. Leinfelder stellt sich vor, dass dort Menschen zum Beispiel in Kugelhäusern probewohnen könnten. Oder eine eigene Zeitung – natürlich eine multimedial digitale – herstellen könnten. Citizen Science nennt Leinfelder das. Oder dass eine App-Baustelle entsteht. Sie würde eine Art Plattform für Applikationen entwickeln, auf dass dann jeder Bürger den Prototypen mit seinen eigenen Ideen, Inhalten, Idiosynkrasien füllen könnte. Aber auch das „auf keinen Fall dauerhaft“, betont der Direktor. Alles wirkt aufregend und auch irgendwie verhuscht.
Fest steht indes, dass am Haus der Zukunft gebaut wird. Eine Ortsbalancierung über Stahldrahtmatten hat letzte Zweifel beseitigt. Auf Modellen sieht man ein Pentagon, ein Fünfeck, das mit seinen nach zwei Seiten herausragenden Schaufensterscheiben anmutet wie, man kann es nicht anders sagen, eine Schnabeltasse. Die große Ausstellungshalle ist ein Staatsgeheimnis, gehütet wie ein Schatz.
Auch ein Team gibt es, zehn Leute arbeiten zusammen mit Leinfelder. Gerade haben sie einen jungen Mann eingestellt, der für die Reallabore zuständig ist, und an ihm lässt sich ablesen, dass Leinfelder nicht nur ein Geobiologe, Paläontologe und Anthropozänist ist, sondern auch Dirigent. Er sucht multiprofessionelle Typen, die zugleich etwas sehr Eigenes, ja Einmaliges einbringen sollen. Der Reallaborant etwa hat Computerspiele entwickelt, ist aber auch Volkswirt und Master-Futurist, kein Witz, so was kann man in Berlin studieren: Masterstudiengang Futurologie an der Freien Universität Berlin.
Leinfelder selber ist, wie könnte es anders sein, auch ein special one. Er hat ein Faible für Comics als Ausdrucksform von Wissenschaft. Der Mann hat die besten deutschen Science-Museen geleitet, dem wenige Gehminuten entfernten, sehr berühmten Berliner Museum für Naturkunde hat er zu neuem Glanz verholfen. Unter die glattpolierte Ministerial-Homepage des Hauses der Zukunft hat er einen Blog geschmuggelt, der so erfrischend ist, dass man Angst um den Mann bekommt.
Denn so verrückt, so partizipativ, so liquid der 58-jährige Augsburger auch sein mag, auf jedem seiner Bilder, Installationen und Gedankenblitze wird unweigerlich ein Bundesadler kleben. Das Haus der Zukunft bleibt ein Projekt der Bundesregierung und steht als solches immer unter Orwell’schem Generalverdacht: Will die Regierung amtlich vorgeben, wie die Zukunft auszusehen hat? Ist das Gehirnwäsche, getarnt als pseudo-partizipatives Denkangebot? Wie stark muss dieser Reinhold Leinfelder eigentlich sein, um den Spins der Mächtigen und Beschränkten aus dem Regierungsviertel Paroli bieten zu können? Diesen Dobrindts und Wankas und Nahles, die in ihren Koalitionsrunden manches Mal reinsten Irrsinn auszuhecken imstande sind?
Man stelle sich nur mal vor, was geschieht, wenn eine Kolonne von Regierungsfahrzeugen vor dem Haus der Zukunft zum Stehen kommt. Zufällig. Dann fällt der Blick der darin Sitzenden auf die schrägen Comics, die Leinfelder auf die Bauzäune hat applizieren lassen: den 3-D-Printer, der makellose, aber artifizielle Steaks druckt – zur Reduzierung der viel zu hohen Fleischproduktion. Oder die Maispflanzen aus denen, der Genveränderung sei Dank, Schafsköpfe sprießen.
Illustrationen zu dieser Ausgabe
Die Bilder der Ausgabe sind illustrierte Zukunftsvisionen von Klaus Bürgle aus dem letzten Jahrhundert: „90 Prozent waren Forscherwissen, das andere Fantasie und Konstruktion.“ Mehr über den extraterrestrischen Grafiker erfahren Sie im Beitrag von Christine Käppeler
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