Auf einem Lichtmast vor dem Müllentsorgungszentrum in Münster sitzen zwei Störche. Sie warten, ob vielleicht was für sie abfällt, da unten im Müll. Dabei ist das ziemlich unwahrscheinlich. Die Anlage lässt fast nichts übrig. Alle paar Minuten kippen Laster der „Abfallwirtschaft Münster“ Ladungen in die Vorhalle. Dann schaufelt ein Bagger die Haufen in sogenannte Vorzerkleinerer. Das ist der letzte Vorgang der Mülltrennung, bei dem Menschen beteiligt sind. Vor einiger Zeit haben Mitarbeiter hier mal eine Panzerfaust aus dem Müll gezogen. Waffen, nur das wird noch von Hand ausgelesen.
Den Rest erledigen Förderbänder, Siebe, Magnete, Lichtschranken, Luftdruck-Sortierer und zwei Silos, in denen brennbares Material und organische Reste verschwinden. Durch die Anlage zu gehen ist eine Pein für die Nase, aber ein Erlebnis für Augen und Ohren. Es zischt, pufft und klappert, bunte Lichtstrahlen scannen den Müll. Wie von Geisterhand wird der zähe Mix in Plastik, Papier, Steinchen, Holz, Metall und andere Stoffe aufgefächert.
Der riesige Sortierroboter heißt korrekt „mechanisch-biologische Restabfallbehandlungsanlage“ und ist eine technologische Revolution. Zugleich ist die Anlage aber auch ein Symbol des Stillstands. Denn sie ist bald zehn Jahre alt, die Mülltrennung in Deutschland aber wird nach wie vor per Hand vorgenommen – von den Bürgern. Die Verbraucher trennen Glas, Papier, Verpackungen und organische Abfälle noch selbst.
Deutschland hat nicht nur das weltweit älteste Recyclingsystem, es ist auch besonders kompliziert. Was zum Beispiel in den Gelben Sack darf, ist eine regelrechte Geheimwissenschaft. Wenn ein Plastikkleiderbügel Teil eines Anzugkaufs ist, kommt er in den Gelben Sack. Weil er dann eine Verpackung ist. Hat der Kunde den gleichen Plastikkleiderbügel aber als eigenständiges Produkt erworben, darf er nicht hinein. Denn dann ist er eine „stoffgleiche Nichtverpackung“. Welcher Verbraucher soll das verstehen? Schmeißt ein Kunde den Kleiderbügel aber aus Versehen in den Gelben Sack, dann heißt das „intelligenter Fehlwurf“. Und wird geduldet. Nur eine Nation preußisch penibler Verwalter konnte so ein System entwickeln. Nicht wenige Experten plädieren angesichts der technischen Möglichkeit mittlerweile für den Abschied von der Handsortierung. „Sie können heute Kunststoffe in mehr als zehn Sorten trennen“, lobt etwa der Abfallexperte Klaus Wiemer die maschinelle Trennung.
Deutsche Charakterstudie
Was läuft dann schief in dem Land, das vor fast 25 Jahren den Grünen Punkt erfand? Die Antwort ist mindestens so komplex wie der Inhalt einer Restmülltonne. Das Müllsystem ist am Ende nämlich nicht nur eine Frage von Abfall und seiner Verwertung, sondern eine deutsche Charakterstudie. An der Mülltonne treffen drei deutsche Urtypen zusammen: der sanfte Öko, der penible Beamte und der knallharte Kalkulierer. Sie vertragen sich, so viel vorneweg, nicht sonderlich gut.
Seit 1991 gibt es den Grünen Punkt. Sein Signet besteht aus zwei sich ineinander verschlingenden Pfeilen. Ein Zeichen ökologischer Harmonie, ganz im Sinne der Deutschen, die von Nachhaltigkeit träumen, seit der sächsische Oberberghauptmann Hans Carl von Carlowitz das Prinzip vor 300 Jahren erfand. Der Grüne Punkt ist ein Nachfahre von Carlowitz’ Ideen, und er ist eine internationale Erfolgsgeschichte. Seit 1997 gibt es ihn europaweit.
Geschaffen hat das deutsche Müllwunder Klaus Töpfer, weltweit bekannt geworden als Leiter des UN-Umweltprogramms. Als deutscher Umweltminister unter Helmut Kohl erfand er zuvor den Grünen Punkt. „Wir sind damals im Abfall erstickt. Wir hatten Neapel vor Augen“, erinnert sich Töpfer heute. Niemals hätte er geglaubt, in einem Anlauf die erste Wiederverwertungswirtschaft weltweit zu etablieren, sagt er im Gespräch mit dem Freitag. Die Idee war der Kreislauf. „Die Produzenten übernahmen Verantwortung und beteiligten sich an der Rücknahme der Rohstoffe in ihren Produkten.“
Diese Kreislaufwirtschaft läuft hierzulande so gut wie nirgends in der Welt. Glas und Papier nicht in den Hausmüll zu werfen, haben die Bürger verinnerlicht. Der Gelbe Sack hat sich zu einer Art Fetisch entwickelt. Eine Elektroschrottverordnung gibt es schon lange. Und während etwa in Rumänien 99 Prozent der Abfälle verbuddelt werden, kennt Deutschland für jeden Stoff Recyclingquoten. In Miesbach, Bayern, recycelt man am besten. In Aschaffenburg, ebenfalls Bayern, wird am wenigsten weggeworfen.
Doch irgendwann Ende der 90er verlor die Produktverantwortung ihren Sexappeal. Die Verpackungsberge wuchsen wieder, die Recyclingquoten stagnierten. Der Gelbe Sack entwickelte sich zur Black Box des Müllsystems. Denn ausgerechnet bei dem Stoff, für den die Deutschen das meiste Hirnschmalz aufwenden, um ihn zu sortieren, ist die Recyclingquote geradezu jämmerlich niedrig: bei Verpackungen und Plastik. Nur ein Drittel der Verpackungen aus dem Gelben Sack werden wieder als Sekundärrohstoff auf den Markt gebracht. Der Rest des Plastiks, das die Bürger voller Akribie getrennt haben, wird in Verbrennungsanlagen verfeuert. Verbrennen ist lukrativer als Wiederverwerten.
Zurück im Müllentsorgungszentrum der Stadt Münster. In der Anlage steht der Betriebsleiter und erklärt, wie es dem Sortierkoloss gelingt, Wiederverwertbares vom Rest zu trennen. Hier ein Sieb, da ein Rüttler, dort eine Lichtschranke, dann wieder eine Luftstoßtechnik. Eine Wissenschaft, auf die der Mann aber gar keinen großen Wert mehr legt. Fragt man ihn, ob man das deutsche Müll- und Recyclingsystem lieber privat oder staatlich betreiben sollte, winkt er ab. „Ist doch egal, wer das macht, am Ende geht es eh nur ums Geld.“
In der Tat ist die Recyclingwirtschaft keine romantische Gemeinschaft von Ökologen, sondern ein abfallindustrieller Komplex. „Wir machen nichts, was illegal ist“, lautet der geflügelte Satz von denen, die das Geschäft steuern, den sogenannten Systembetreibern. Heißt im Umkehrschluss: Sonst machen wir fast alles.
Eine Welt ohne Abfall? Das Cradle-to-Cradle-Prinzip des Ökovisionärs Braungart
Der blühende Kirschbaum ist das Lieblingsbeispiel von Michael Braungart. Denn er zeigt: Die Natur spart nicht, sie verschwendet ihre ganze Pracht und verwertet anschließend alles in einem geschlossenen Kreislauf wieder. Genauso müsste auch unsere Wirtschaft funktionieren, argumentiert Braungart. Es gehe nicht darum, die Umwelt zu schonen, indem man weniger, sondern darum, dass man intelligenter produziere. Braungart ist Chemiker, Professor für Verfahrenstechnik an der Universität Rotterdam und ein rotes Tuch für all jene Umweltschützer, die in Konsumverzicht und einer schrumpfenden Wirtschaft die einzige Möglichkeit zur Rettung des Planeten sehen. Zusammen mit dem amerikanischen Designer William McDonough hat er das Cradle-to-Cradle-Prinzip (von der Wiege zur Wiege) entwickelt. Ihre Vision ist es, eine Welt fast ganz ohne menschlichen Müll zu schaffen.
Nach dem Cradle-to-Cradle-Prinzip soll alles, was hergestellt wird, bereits vor der Produktion so geplant werden, dass die Weiterverwendung sämtlicher Materialien nach dem Ende der Nutzung möglich wird. Schadstoffe in den Produkten sollen komplett vermieden werden. Es sei schließlich wenig umweltfreundlich, Papier zwar zu recyceln, es zuvor aber mit giftigen Farben zu bedrucken. Die Gifte mit ihrer schädlichen Wirkung für Mensch und Umwelt blieben dann auch endlos Teil des Recyclingkreislaufs. Als Braungart und McDonough ihre Ideen 2002 in dem Buch Einfach intelligent produzieren erstmals einer größeren Öffentlichkeit vorstellten, war das auch die Aufforderung, in der Umweltdebatte grundsätzlich umzudenken. Statt Menschen ein schlechtes Gewissen zu machen und sie als Umweltschädlinge anzuprangern, sollte man ihnen positive Ziele setzen, fordert Braungart. Eine Wirtschaft, die mit dem Gedanken des vollständigen Recyclings Ernst machte, wäre auch grundlegend anders organisiert als unsere heutige Ökonomie. Die zentrale Idee ist es, für die Nutzung eines Produkts zu bezahlen – und nicht dafür, dass man es anschließend besitzt. „Man kauft dann keine Waschmaschine mehr, sondern nur noch das Recht, 3.000-mal zu waschen. Danach gibt man das Gerät zurück und es wird vollständig wiederverwertet“, sagte Braungart dem Freitag. Dies zwinge Unternehmen allein aus ökonomischem Interesse dazu, das Weiterverwenden der Materialien bereits bei der Planung der Produktion mit einzukalkulieren.
Mit seinem privaten Forschungsinstitut EPEA und in Zusammenarbeit mit verschiedenen Unternehmen hat Braungart eine Reihe von Alltagsgegenständen nach dem Cradle-to-Cradle-Prinzip entwickelt. So hat die Firma Steelcase seit 2004 einen Bürostuhl im Angebot, der sich in wenigen Minuten in seine Einzelteile zerlegen lässt und zu 96 Prozent recycelbar ist. Außerdem gibt es vollständig kompostierbare Kleidung und Sitzbezüge, die sogar essbar sind. 600 Produkte in Deutschland sind bereits nach dem Prinzip hergestellt. Braungarts Kritiker halten ihm aber entgegen, dass Cradle-to-Cradle-Zertifikate von einigen Unternehmen nur zum Greenwashing erworben werden. Außerdem lasse er völlig außer Acht, wie der Umwelt so lange geholfen werden kann, bis seine Vision eines allumfassenden Recyclingkreislaufs verwirklicht ist. Jan Pfaff
Aber wer sind diese Systembetreiber? Zunächst sind sie neben den kommunalen Müllbetrieben und kleinen privaten Entsorgern der dritte Marktteilnehmer. Die Systembetreiber sind das Hirn des Recyclingsystems. Derzeit gibt es neun von ihnen. Sie steuern den Markt. Das bedeutet, sie nehmen erst von Industrie und Handel das Geld dafür ein, dass sie den Abtransport finanzieren können. Dann verhandeln sie mit Stadtwerken und privaten Müllkutschern, damit diese die Säcke und Tonnen beim Bürger abholen. Die Systembetreiber selbst leeren keine einzige Tonne. Sie sind die Manager der Verteilung, die Makler des Mülls, die Dispatcher des dualen Systems.
Früher gab es nur einen einzigen Systembetreiber, das „Duale System Deutschland“ (DSD), geboren zusammen mit dem Grünen Punkt. DSD ist noch heute mit über 50 Prozent Anteil der unumstrittene Marktführer. Das Kartellamt hat 2001 das Monopol des „Dualen Systems“ gebrochen, um Wettbewerb zu ermöglichen. Es wurden Konkurrenten mit klingenden Namen geboren – wie Recycling Kontor, BellandVision, Redual oder Veolia. Aber ihr Wettbewerb hat einen Haken: Er ist bei genauem Hinschauen gar keiner. Die Systembetreiber konkurrieren nämlich nicht wirklich. Sie teilen sich die Stoffmengen, die sie verwerten, nach festen Quoten auf.
Das sieht dann zum Beispiel so aus: Hat ein lokaler Entsorger vor Ort drei Tonnen Tetrapack gesammelt, dann muss er diese auf alle neun Systembetreiber verteilen – „und zwar in homöopathischen Dosierungen“, wie ein Kleinunternehmer klagt. „Da frage ich mich: Wozu beseitigen wir eigentlich das ganze Zeug, um die Umwelt sauber oder um die dualen Systeme am Leben zu halten? Die haben doch bloß Schreibtisch, Computer und Telefon, die können doch kein Gramm Müll selber wegbringen.“
Arme Müllkutscher
Der einzige Wettbewerb, den die Systembetreiber untereinander austragen, besteht in Preisnachlässen für Handel und Industrie – und die sind ruinös. Die Systembetreiber gewährten zum Beispiel großen Handelsunternehmen jahrelang Ausnahmen, sodass diese ihre Verpackungen selbst entsorgen konnten. Dem Grünen Punkt entgingen so jährlich Einnahmen in Höhe von bis zu 100 Millionen Euro. Deswegen musste er vergangenes Jahr sogar vor dem Bankrott gerettet werden. In Eilverhandlungen musste Geld besorgt werden.
Auch die Industrie bekommt Sonderkonditionen. Hier tobt die zweite Rabattschlacht zwischen den Systembetreibern – und zwar um Lizenzen. Die Industrie muss sie für ihre Produkte erwerben, damit sie später jemand einsammelt und wegfährt. Aber die Lizenzen werden immer billiger. Der Wettbewerb unter den Systembetreibern hat etwas Selbstzerstörerisches. Sie akquirieren durch Rabatte Kunden, entziehen aber der Entsorgungswirtschaft auf Dauer die Kapitalbasis. 2,3 Millionen Tonnen an Verpackungen und Plastik schaffen die Entsorger jährlich weg. Aber nur für 900.000 Tonnen haben Industrie und Handel bezahlt.
Die Umsätze aus Lizenzgebühren sind seit 1998 im freien Fall. Auch für die anderen Marktteilnehmer ist das gefährlich. Im Verhältnis zu den anderen Akteuren sind DSD, Interseroh, BellandVision nämlich weiter die Starken: Sie sind es, die Ausschreibungen vornehmen und Bedingungen formulieren. Und sie geben den Preisdruck, den sie über Rabatte bei Industrie und Handel verursacht haben, an die Entsorger weiter. Dort herrscht große Wut.
Die privaten Entsorger haben kaum eine Chance zur Gegenwehr. Um an die Aufträge derer zu kommen, die das Geld für die Entsorgung einsammeln, müssen sie Ausschreibungen überstehen. Was sich wie Wettbewerb anhört, ist aber in Wirklichkeit alles andere als ein transparenter Markt. Die Systembetreiber sind zum Teil Tochterunternehmen von großen Entsorgern, die sich dann bei diesen um Aufträge bewerben. „Ich nehme gern an einer Ausschreibung teil, aber fair muss sie schon sein“, sagt ein Unternehmer mit einer Handvoll Lkw, der den wettbewerbsfähigen Preis, den er in seine Bewerbung schreibt, nur erahnen kann. Sein Konkurrent, der mit einem Systembetreiber verbandelt ist, hat da einen Wissensvorsprung.
Auch Patrick Hasenkamp kann mit den Systembetreibern wenig anfangen. Hasenkamp ist Chef der städtischen Abfallwirtschaft Münster. Er nennt die Systembetreiber schlicht den „Dirty Harry“ des Handels: „Die schaffen für den Handel den Verpackungs- und Plastikabfall beiseite, Hauptsache weg, Hauptsache billig.“ Hasenkamp hat es gewagt, sich 2009 mit Dirty Harry anzulegen. Als das „Duale System Deutschland“ sich eigenmächtig Rabatte bei Papierverpackungen genommen habe, sei er vor Gericht gezogen, erzählt er. Daraufhin stellte der Branchenriese seine Zahlungen an Münsters Stadtwerke einfach ein. Seitdem fehlen den Müllbetrieben jährlich 700.000 Euro. Nicht einmal das Bundesamt für Justiz kann den Goliath unter den Systembetreibern zügeln. Das Amt musste das Unternehmen 2014 zum wiederholten Male zwingen, seinen Bilanzpflichten nachzukommen und die Jahresabschlüsse zu veröffentlichen. Angedrohtes Bußgeld: 26.000 Euro. Für DSD sind das die berühmten Peanuts, das Unternehmen befindet sich in der Hand von Finanzinvestoren.
Die Schwächsten in der Verwertungskette sind die kleinen Müllkutscher. Sie bekommen für ihre Arbeit immer weniger Geld – und immer mehr Auflagen. „Wir sind vertraglich gebunden, drei Monate lang die Säcke abzutransportieren, egal, ob wir dafür Geld bekommen oder nicht“, berichtet ein Kleinunternehmer. Aber wieso spielt er bei dem Spiel weiter mit? „Wenn ich aus dem Geschäft aussteige, muss ich zehn Fahrer entlassen“, sagt der Unternehmer, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. „Ich muss meinen Mitarbeitern in die Augen schauen. Die Systembetreiber schauen nur auf ihre Zahlen.“
Wie die Kesselflicker
Das Land des Recyclingweltmeisters steckt in einer tiefen Sinnkrise. Die kleinen Müllkutscher wollen faire Preise, die Stadtwerke mehr Verantwortung, die Umweltschützer Müllvermeidung. Und die Systembetreiber wollen Profit machen – und überleben. Aber genau das wird wohl nicht ganz einfach werden. Denn die Systembetreiber sind die Einzigen, die immer als Teil des Problems benannt werden, nie als Teil der Lösung. Sie streiten auch untereinander wie die Kesselflicker. Ein Systembetreiber, Remondis, hat schon das Handtuch geworfen. „Innerhalb der Systembetreiber ist das Verhältnis geprägt von gegenseitigem Misstrauen und Zerwürfnissen“, teilte er mit. Seit Ende des Jahres ist Remondis kein Makler des Mülls mehr.
Es gibt sogar eine „Gemeinschaftsinitiative zur Abschaffung der Systembetreiber“, kurz GemIni. Sie besteht aus kommunalen und kleinen privaten Entsorgern. Niemand solle sich Illusionen über das Gewinnstreben der Systembetreiber hingeben, sagt ihr Sprecher, der Rechtsanwalt Hartmut Gaßner: „Bei der Neuordnung der Wertstoffwirtschaft bleibt die Abschaffung der dualen Systeme die wesentliche Forderung.“
Der größte Systembetreiber weist die Kritik von sich. Ja, es habe Probleme gegeben. Aber mit der neuen Verpackungsverordnung steige die Menge des finanzierten Verpackungsabfalls kontinuierlich. Und das „Duale System Deutschland“ weiß einen starken Partner hinter sich, die Wirtschaft. „Nein, wir werden nicht abgeschafft“, sagt der Sprecher des DSD, Norbert Völl. „Der Wirtschaft ist in breiter Front daran gelegen, dass es weiterhin einen Wettbewerb mit unabhängigen dualen Systemen auf dem Wertstoff- und Abfallmarkt gibt.“
Die Politik weiß, dass das System der Müllentsorgung wirtschaftlich nicht mehr funktioniert. Mehrere Bundesregierungen haben mit Novellierungen der Verpackungsverordnung versucht, es zu reformieren. Gelungen ist das nicht. Es kommen immer nur Reförmchen heraus. Allein im vergangenen Jahr gab es zwei Novellen. Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) kündigt daher gebetsmühlenhaft ein Wertstoffgesetz an. Das kündigten ihre Vorgänger aber auch schon an.
Eine Lösung der Müllkrise klingt zunächst erstaunlich simpel: Der sogenannte intelligente Fehlwurf soll künftig eine gute Tat werden. Fehlwürfe füllen heute bereits bis zu 50 Prozent des Gelben Sacks, mit einem Wertstoffgesetz wären sie dann gewissermaßen der Standard. Der Sack würde zu einer Wertstofftonne, die ein Plastikallesschlucker wäre. Niemand müsste sich mehr über Kleiderbügel den Kopf zerbrechen, sondern könnte sie zusammen mit Pralinenschachteln, Bobby-Cars und Plastiktüten einfach in die Wertstofftonne schmeißen. Die ersten Modellversuche gibt es bereits, zum Beispiel in Hamburg und Berlin.
Aber Hendricks muss in ihrem Wertstoffgesetz auch eine Lösung dafür finden, wer die Abfallwirtschaft künftig steuern soll. Das ist der Grundkonflikt, vor dem die Große Koalition steht: Ist bei der Organisation des Müllsortierens ein Markt besser? Oder eine Bürokratie? Hendricks hat sich bereits entschieden. Sie will „eine zentrale Stelle mit hoheitlichen Befugnissen“. Die soll notfalls auch Verstöße ahnden können. Die entscheidende Frage ist aber auch bei ihr noch ungeklärt: Was wird aus den bisherigen Systembetreibern?
Die Grünen haben jüngst ein Konzept vorgelegt, nach dem die komplette Abfallwirtschaft in kommunale Steuerung übergehen soll. Das heißt: Die Systembetreiber sollen verschwinden. Das fordern alle Landesumweltminister der Grünen, die immerhin in acht Bundesländern das Sagen haben. Die Union hat aber bereits signalisiert, dass mit ihr eine Abschaffung der Systembetreiber nicht zu machen ist. „Wir müssen versuchen, mit dem neuen Wertstoffgesetz die Organisationsprobleme zu lösen“, sagte der CDU-Abgeordnete Thomas Gebhart. „Aber der Union geht es darum, das bewährte System der privatwirtschaftlichen Verpackungsentsorgung fortzusetzen.“ Sprich: Die Systembetreiber sollen bleiben. Auch innerhalb der Koalition ist die Frage umstritten. Nach draußen dringt nichts. „Der Kampf um das Wertstoffgesetz findet abgeschottet hinter den Kulissen statt. Das ist unparlamentarisch“, ärgert sich der grüne Abfallexperte aus dem Bundestag Peter Meiwald.
In einem kleinen Laden in Berlin-Kreuzberg kann man unterdessen schon mal in die Zukunft schauen. Sie besteht vor allem aus Glasbehältern. In dem Laden „Original Unverpackt“ gibt es keine Verpackungen mehr. „Einkaufen nach jetzigem Modell ist nicht zukunftsfähig“, sagen die beiden Gründerinnen. Wer bei ihnen einkauft, muss seine Behältnisse selbst mitbringen. Was die Frauen aus Kreuzberg im Kleinen machen, davon träumt Klaus Töpfer im Großen. Töpfers Vision besteht aus einer Industrie, die ihre Produkte nicht verkauft, sondern nur verleiht. Und die Rohstoffe, die darin stecken, wieder zurücknimmt. „Wertstoff, das ist der richtige Name“, sagt er. „Denn damit erhalten wir Anschluss an etwas, das heute sharing economy genannt wird.“ Das Prinzip heißt „Cradle to Cradle“, der deutsche Chemiker Michael Braungart hat es mitentwickelt (siehe Kasten).
Klaus Töpfer würde nie ein böses Wort über die Systembetreiber sagen. In den Streit um das konkrete System will sich der 76-Jährige nicht einmischen. Aber grundsätzlich findet er einen Wettbewerb um Rabatte falsch. Er will einen um die Zukunft. „Wir brauchen Innovationen bei den Anlagen und den Produkten, um den Stoffverbrauch zu senken“, sagt er. „Denn eine Wegwerfgesellschaft ist in einer Welt mit neun Milliarden Menschen nicht denkbar.“
Bis es so weit ist, sitzen die beiden Störche vor der Münsteraner Müllentsorgung aber wohl noch ein Weilchen.
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