Die Frage treibt die Leute um, seit die Menschheit den Griffel in die Hand genommen hat: Schreibt die Jugend immer schlechter? Die BILD hat die Debatte mit einer höchst zweifelhaften Studie eines älteren Herren entfacht. Aber der Befund ist nicht zu leugnen, dass die Zahl der Rechtschreibfehler zunimmt. Das zeigte eine ziemlich seriöser Vergleich von Aufsätzen, die Schüler der Jahrgänge 1972, 2002 und 2012 auf der Basis des identischen – gehörten – Textes verfassten.
Das Ergebnis der Steinig-Studie weist den Weg zu einer Erklärung für den Fehlerteufel. Der so genannte Schriftspracherwerb änderte sich in den 1970ern. Bei der Methode „Lesen durch Schreiben“ kam es zunächst nicht darauf an, Fehler zu vermeiden; die Lehrer sollten aufhören, jeden Fehler sofort anzustreichen. Stattdessen sollten sie bei den Schülern einen Schreibfluß erzeugen. Das hat geklappt. Steinig berichtet beinahe begeistert, wie viel eloquenter die Aufsätze der SchülerInnen aus den 2000er Jahren im Vergleich zu 1972 waren. „Neben berichtenden und erzählenden Texten finden sich vermehrt kommentierende Elemente“, sagte Steinig in einem Interview. „Die Schreiber orientieren sich stärker am Adressaten.“ Sogar die Vielfalt des Wortschatzes hat zugenommen.
Das ist die gute Seite des „Lesens durch Schreiben“, das heute übrigens nicht mehr so lasch angewendet wird. Beim so genannten „freien Schreiben“ finden auch andere Lernformate Eingang, bei denen Lehrer sehr wohl Fehler korrigieren.
Was soll die olle Debatte also!? Das ließe sich mit gutem Recht fragen. Das Problem ist grundsätzlicher Natur. Die Erfahrungen zeigen nämlich, dass freies Schreiben nicht allen Schüler gleichviel nützt. Deutliche Verbesserungen des Ausdrucks finden sich vor allem bei Mittel- und Oberschichtskindern. Hingegen werden Kinder aus prekären Verhältnissen und oft auch Migrantenkinder abgehängt. Kein Wunder: Wie sollen sie sich das Schreiben selbst beibringen? Da muss der Lehrer als Profi des Lernens assistieren – das ist sein Job.
Das zeigt sich inzwischen auch an Grundschulen, in denen das individuelle Lernen auf alle Fächer ausgedehnt wird. Davon profitieren oft Mädchen und smarte Jungs; andere sind damit nicht selten überfordert. Sollte man das individuelle Lernen deswegen abschaffen? Sicher nicht, man sollte es nur reflektiert einsetzen. Pädagoginnen dürfen gerade in Grundschulen nicht auf den Status des Lernbegleiters herabgestuft werden. Projekte – ja! Aber Kulturtechniken wie Lesen, Schreiben, Rechnen und bald auch sicheres Internet brauchen LehrerInnen!
Das gilt ganz besonders für ein neues Problem: der Grundschulverband will das Erlernen der Schreibschrift zugunsten einer neuen Grundschrift abschaffen. Das heißt, das Schreibenlernen soll ganz in die Hand der Schüler gehen: Schule als Autodiaktenzentrum. Das würde eine jüngere Entwicklung verstärken, die mit der explosiven Verbreitung des Hosentascheninternets seit 2009 zu tun hat. Grundschullehrer berichten, dass anstrengende Schönschreibübungen mit Kindern praktisch nicht mehr zu machen sind, die bereits früh an Tablet und Smartphone intuitives Wischen und Surfen gelernt haben. Laut der Studien des Südwestdeutschen Medienverbundes verbreitet sich das intelligente Handy rasend schnell. Die Besitzrate des Smartphones habe sich bei 6- bis 13jährigen innerhalb von zwei Jahren verdreifacht. Bei den 12- bis 19jährigen war zwischen den Jahren 2009 und 2013 der Zuwachs exponentiell.
Wie weiter mit der verbundenen Schreibschrift? Sollen Kinder eine verbundene Handschrift lernen, die es ihnen ermöglicht, verstehbar und gedankenschnell Dinge aufzuschreiben? Oder sollte man statt der Schreibschrift nur noch die Druckschrift lehren? Müsste nicht jeder Schüler im Zeitalter des Tippens einen Schreibmaschinenkurs belegen? Das sind die eigentlich spannenden Fragen. Bei ihnen geht es nicht mehr um Rechtschreibfehler, sondern um die Kulturtechnik des Schreibens als solche.
Kommentare 9
Bei ihnen geht es nicht mehr um Rechtschreibfehler, sondern um die Kulturtechnik des Schreibens als solche.
Und solche Kleinigkeiten wie die Hand/Auge-Koordination, die direkt in die Gehirnleistung einfließt, kann man dann mit Spielen wie Doom erlernen und festigen.
Beginnen möchte ich mit einer weiteren "eigentlich" spannenden Frage:
- Wieso wird Füller weiter als Bildungsexperte angesehen?
Ausgewiesener Kenner wird er hier genannt...
http://www.deutschlandradiokultur.de/schreibkompetenz-von-schuelern-wie-digitale-text-haeppchen.1008.de.html?dram:article_id=362648
Dieser Bildungsexperte behauptet den Rechtschreibverfall als gegeben. Dabei ist die Studie, auf die sich Füller stützt, methodisch höchst fragwürdig:
Mit Brügelmann darf man sagen, dass man da nicht zu vorschnell sein sollte.
http://julim-journal.de/pdf/bruegelmann_rs_steinig_kritik.pdf
(aber siehe unten)
Weiter aber: Herr Grund, der in seiner Studie einen Verfall der Rechtschreibleistungen durch die Rechtschreibreform sieht, diskutiert er nicht. Er diffamiert ihn als "älteren Herr"
"Die Bild-Zeitung hat einen vermeintlichen Bildungsforscher (ein älterer Herr, 76 Jahre alt) aufgetan,"
https://pisaversteher.com/2016/08/10/mehr-fehler-beim-schreiben/
und feiert sich auf Twitter/Soundcloud dafür, dass er die Glaubwürdigkeit des Herrn Grund dadurch in Zweifel zieht, dass er kein Bildungsforscher sei, sondern Germanist.
https://soundcloud.com/user785350198/audio-recording-on-wednesday-2?utm_source=soundcloud&utm_campaign=share&utm_medium=twitter
Füller ist kein Bildungsforscher, kein Bildungsexperte, sondern ein mittelalter Journalist... Was sollte man damit sagen? Nichts, Experte ist doch schließlich unabhängig vom Alter bzw. der fachlichen Herkunft der, der fundiert etwas zur Frage beisteuern kann.
Füller aber nutzt solche Abwertungen um sein vermeintliches Expertentum zu unterstreichen.
Zurecht beklagt Füller fehlende echte Vergleichswerte bei Grund, jedoch... Was hat Füller zu bieten? Erfarungen.
"Die Erfahrungen zeigen nämlich"... Hier wären Studien gefragt, ebenso wie an folgender Stelle, Füller behauptet da: "Das zeigt sich inzwischen auch an Grundschulen"... Wo zeigt sich da was? Auf die stabilen Studien darauf wartet man lange.
Dann springt Füller zu einem seiner Lieblingsthemen (wohlgemerkt im Artikel zur Studie Grunds' zur Rechtschreibreform unter dem Titel "Griffel weg"). Der Grundschrift des Grundschulverbands. Der steht im Übrigen für Rechtschreibunterrichtskonzepte, wie sie nun (neuerdings*) von Füller favorisiert werden und für eine verbundene Handschrift (eben der Grundschrift, auch dazu gab es was: http://www.grundschulverband.de/fileadmin/bilder/projekte/Grundschrift/Stellungnahme_GSV.pdf).
Alles gut, sollte man meinen, aber Füller weiß aus seinen Kaffeesatzlesungen ja, dass das Smartphone daran schuld sei...ja woran, ach ja am Rechtschreibverfall. (Ah, nun erklärt sich nach vier Fünfteln des Artikels und keinem inhaltlichen Bezug auch der Artikel, wenn man Pisaversteher und Twitter mitgelesen hat)
Das meint Füller (twitter):
"geht nicht um Rechtschreibreform der 1990er, sondern um tsunamiartige Verbreitung von internetfähigen Smartphones".
Denkbar ist der Rechtschreibverfall. Wer dazu verlässliche Studien anstellen wollte (ausgehend von heute), müsste sich ein geeignetes Design überlegen (Bloß wie Steinig dieselben Aufgaben stellen, reicht nicht aus, wenn sich Schulformen verändern und deren Klientel, gesellschaftliche Bedeutungen des untersuchten Objekts, Wortschätze usw.).
Spannende Fragen wären:
Wie sähe die Rechtschreibleistung heute aus,
- ...wenn es immer noch im selben Umfang Rechtschreibunterricht gäbe (die Stundentafeln und auch die Anteile im Fach Deutsch selbst haben sich verändert).
- ...wenn die gesellschaftliche Bedeutung von Rechtschreibung und die Bedeutung beispielsweise bei Bewerbungen immer noch dieselbe wäre.
- ...wenn Kinder heute weiterhin umfangreich gelernte Dikate schrieben mit den Kosten der Risikos Fehler zu machen und danach der Reduktion der Vielfalt und Breite.
Warum klagt man über den (möglicherweise vorhandenen) Rechtschreibverfall, wenn man gleichzeitig die Reduktion des Rechtschreibunterrichts fordert? Schule soll viel mehr leisten und leistet auch viel mehr (Füller ergänzt mal eben eine weitere Kulturtechnik). Dass nicht alles dann auf demselben Niveau stattfinden kann bzw. es Gewinne wie Verluste gibt... Wem sollte das nicht klar sein?
Den Griffel kennt mittlerweile kaum noch wer, ich plädiere deshalb auf Füller weg.
Das hat primär weder etwas mit Spielen noch mit Smartphones zu tun.
Handschriftliches ist seit der Computerisierung des Alltags schlicht nicht mehr gängig, abgesehen von der Unterschrift, die man öfters mal zu leisten hat. Während einem die Unterschrift noch flüssig von der Hand geht, wird es bei längeren geschriebenen Texten dann schon holprig. Ist mir an mir selbst jedenfalls schon vor 20 Jahren aufgefallen, und das Schriftbild wird mit der Zeit immer schlimmer.
Die IP-Adresse des "immerwiederfreitags"-Autoren ist seit seinen Interventionen zur Grundschrift auf Wikipedia bekannt: Brügelmanns Assi meldet sIch zu Wort, wie immer ohne Namen, aber dafür umso witziger. ;-) Ein Journalist ist kein Bildungsforscher, das ist nun mal so. Aber ein Journalist hat einen Namen, Hansens Heckenschütze nicht.
Ein Germanist ist kein Bildungsforscher, das ist nun mal so. Welchen edlen Rang hat denn ein Bildungsforscher? Und welche Profession hat ein Bildungsforscher (in diesem interdisziplinären Feld)
Aber ein Germanist darf Argumente vorbringen...
Darauf verzichtet Füller weiter und darf es...
Wer ist Brügelmanns Assi und wer ist Hansens Heckenschütze?
Es gibt mein blog dazu.
den Aufriss habe sicher nicht nur ich nicht verstanden, deshalb war es auch folgerichtig, den "Beitrag" zu löschen.
Wenn schon die Beiden nichts dazu zu sagen haben, wen sollten dann Ihre "Interpretationen" interessieren?
Spannende Fragen wären:
Wie sähe die Rechtschreibleistung heute aus,
- ...wenn es immer noch im selben Umfang Rechtschreibunterricht gäbe (die Stundentafeln und auch die Anteile im Fach Deutsch selbst haben sich verändert).
- ...wenn die gesellschaftliche Bedeutung von Rechtschreibung und die Bedeutung beispielsweise bei Bewerbungen immer noch dieselbe wäre.
- ...wenn Kinder heute weiterhin umfangreich gelernte Dikate schrieben mit den Kosten der Risikos Fehler zu machen und danach der Reduktion der Vielfalt und Breite.
Diese Fragen zu bearbeiten wäre wichtig. Ich nehme das Bundesland RLP, weil dort meine Kinder schulisch sozialisiert worden sind. Die Bedeutung der Rechtschreibung wurde von der Landesregierung deutlich zurückgenommen. Im Grundschulbereich wurde die Leistungsüberprüfung von zehn Diktaten auf drei pro Schuljahr reduziert. Allerdings bringt eine Landesregierung eine Reform nicht ohne Experten und nicht ohne die Rücksprache mit den Lehrerverbänden auf den Weg. Das heißt: Ein breiterer Konsens für eine solche Entscheidung wird schon angestrebt.
Diktate sind heute andere als vor der Reform. Diktieren eines Textes steht nicht unbedingt im Zentrum der Überprüfung. Da können auch Abschreibteile oder Grammatikteile, die die Rechtschreibung berühren, dabei sein.
Eine Reduktion der Bedeutung der Rechtschreibung durch den Gesetzgeber wirkt natürlich auch auf die Lehrer. Da die Landesregierung in der Hierarchie ganz oben steht, haben die Nachgeordnenten aus den Vorgaben Konsequenzen zu ziehen, auch wenn sie im nicht überschaubaren Bereich widerwillig gezogen worden sein sollten. Sie müssen der Rechtschreibung weniger Bedeutung beimessen, auch wenn die Vorgabe zu ihrem eigenen pädagogischen Ethos im Widerspruch steht. Diesen politischen Kontext und die daraus folgenden Auswirkungen nicht in den Blick zu nehmen, wird der Diagnose, dass das Daddeln auf dem Smartphone ursächlich für die miserablen Rechtschreibleistungen sei, nicht gerecht.