Grüner König Kretsch

Länderrat Auf ihrem kleinen Parteitag bejubeln die Grünen den Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg. Nur einer widerspricht – von ganz hinten links
Sind die Grünen Kretschmann?
Sind die Grünen Kretschmann?

Bild: Alexander Hassenstein/Getty Images

Widerspruch kam eigentlich nur von einem. Jürgen Trittin hob immer wieder an beim Kleinen Parteitag der Grünen in Berlin, um zu grummeln und dies und jenes zu kommentieren. Nur saß Trittin eben nicht wie gewohnt ganz vorne, sondern ganz hinten links. Auf den freien Stühlen konnten ihn aber nur Gäste des Parteitags hören. Kein Delegierter vernahm, was der große tragische Wahlverlierer von 2013 zu dem übergroßen magischen Wahlgewinner von 2016 zu sagen hatte: Winfried Kretschmann war der sogar mit standing ovations umjubelte Star. Nachdem der alte und mutmaßlich neue Ministerpräsident Baden-Württembergs seiner Partei kritisch ins Gewissen geredet hatte, wagte niemand, vom Pult aus zu widersprechen. Im Gegenteil. „Wir sind Kretschmann“, sagte der grüne Europa-Abgeordnete Reinhold Bütikofer, „aber wir sind noch nicht genug Kretschmann“.

Der Parteitag der Grünen in den Tanzhallen der Berliner Uferstudios war die erste öffentliche Analyse und Auseinandersetzung um die vermischten Wahlergebnisse vom März. Kretschmanns Baden-Württemberger Grüne holten da mit 30,3 Prozent die Mehrheit – und in Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz kam die Ökopartei so gerade über die 5-Prozent-Hürde. Was am Samstag zu beobachten war, stellte eine kleine Revolution dar. Kretschmann etwa war beim Hamburger Parteitag Ende 2014 von linken Grünen und Grüner Jugend noch wie ein Verräter beschimpft worden, weil er im Bundesrat geholfen hatte, diverse Balkanländer zu sicheren Drittstaaten zu erklären. In Berlin nun ging es knapp eineinhalb Jahre später eigentlich nur noch um die Frage, ob man Kretschmann kapieren oder vielleicht sogar kopieren sollte.

Aber weder das eine noch das andere wird wohl passieren. Kopieren werden die Parteilinken Kretschmann auf keinen Fall. Die herausragenden Vertreter des linken Flügels gingen gar nicht erst an die Mikrofone. Eine taktische Maßnahme. Am Samstag war der Tag der Krönung von König Kretsch. Wer wollte in den Jubel Kontrapunkte setzen? Aber auch mit dem Kapieren ist es noch nicht so weit her. Das zeigte sich, als der Ministerpräsident in einer kurzen, aber analytisch starken Rede seiner Partei die Leviten gelesen hatte.

Das Land sei viel ökologischer, sozialer und weltoffener als die CDU. Kretschmann meinte damit zwar zunächst nur Baden-Württemberg, das sich an der CDU vorbei entwickelt habe. Aber tatsächlich zielte er auf das ganze Land – und auf seine Partei. Denn auch die Grünen selbst hätten nicht kapiert, dass alle wichtigen Themen, um die es gerade geht, jene sind, um die die Partei so lange gekämpft hat. Ein demokratisches Europa. Eine ökologische Wirtschaft. Den Ausstieg aus Kohle- und Kernenergie. Eine menschliche Flüchtlings- und Asylpolitik. Das seien alles grüne Themen – aber die Grünen nähmen sie gar nicht richtig an.

Das Land ist weiter als die CDU und die SPD“, fasste Robert Habeck aus Schleswig-Holstein zusammen, „aber dann müssen wir auch sagen: Wählt die Politiker, die weiter sind.“ Der schleswig-holsteinische Grüne Spitzenmann und stellvertretende Ministerpräsident Habeck meinte damit: Die Grünen. Und sich selbst, denn er will 2017 Spitzenkandidat der Grünen werden.

Der Parteitag war nämlich zugleich ein Schaukampf der Spitzenleute für das kommende Bundestagswahljahr. Da werden sich um den zweiten, den Männerplatz bei den Grünen Robert Habeck, vermutlich Parteichef Cem Özdemir und Fraktionschef Toni Hofreiter bewerben. Vergleicht man ihre Reden, so stand es hinterher 1:1:0. Cem Özdemir und Robert Habeck lieferten sich ein schönes Duell, beide packend. Da hörten die knapp Hundert Delegierten aufmerksam zu. Habeck analytisch vielleicht etwas stärker, Özdemir der bessere Redner.

Hofreiter machte auch Punkte, aber an der Saalaufmerksamkeit ließ sich bald ablesen – es fällt nicht immer leicht, dem klugen, aber holprigen Fraktionschef zu folgen. Freilich konnte man schon an der Parteitagsregie erkennen, wie die innerparteilichen Sympathien verteilt werden. Özdemir, immerhin Co-Parteichef, musste eine offiziell so nicht deklarierte „politische Rede“ eingeräumt werden, in diesem Fall als „Einleitung der Debatte um die Wahlergebnisse“, damit er größer zu Wort kommen konnte. Trittin moserte darüber sogleich von links hinten. Und Robert Habeck wurde gleich zu Beginn eine Minute abgezogen, hinterher kommentierte ihn die Parteitagsregie auch noch kritisch. Dafür bekam Hofreiter viel Höflichkeitapplaus. In mehreren Interviews präsentierten sich die wahrscheinlichen Spitzenmänner schon vor dem Parteitag in der taz (Habeck), in der Rheinischen Post (Hofreiter) und in der Heilbronner Stimme (Özdemir).

Als Claudia Roth zu ihrer Rede Richtung Podium aufbrechen wollte, mussten die Delegierten warten. Sie hatte sich im Stuhl ihre Nebenmannes Reinhard Bütikofer verfangen. „Ich hänge so an Reinhard“, sagte sie dann vom Pult über einen ihrer politischen Gegner in der Partei. Das klang sehr freundlich und entspannt. Was der post-baden-württembergische Harmonieanfall wirklich wert ist, wird man merken, wenn Jürgen Trittin und die Linke die Stimme erheben. Dann vielleicht wieder von links vorne.

Der digitale Freitag

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Geschrieben von

Christian Füller

http://christianfueller.com

Christian Füller

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