Die deutsche Linke kommt einem gerade vor wie das Gretel im Wald. Sie pfeift, weil sie Angst vor den braunen Geistern hat, immer lauter und lauter. Katja Kipping und Bernd Riexinger, die beiden ObergenossInnen, haben die Strategie vorgeschlagen, noch kämpferischer gegen rechts zu sein (Wir sind das Bollwerk) und noch lauter gegen soziale Ungerechtigkeit (Revolution sei die Parole).
Mag sein, dass die Linke sich mit alten Kampfliedern selbst Mut ansingen kann. Als Mittel gegen die Wähler rechtspopulistischer Parteien dürften Reime auf Revolution, Klassenkampf oder Umverteilung wirkungslos oder, schlimmer, sogar kontraproduktiv sein. Die flüchtigen Wähler gehören zum Stammpersonal von SPD und Linkspartei. Sie hören die alte Leier seit langer langer Zeit R
wirkungslos oder, schlimmer, sogar kontraproduktiv sein. Die flüchtigen Wähler gehören zum Stammpersonal von SPD und Linkspartei. Sie hören die alte Leier seit langer langer Zeit – warum also sollten solche Parolen plötzlich in der großen Krise der linken Parteien helfen?Ein Blick in die politische Wahlsoziologie der eben absolvierten ersten Runde der österreichischen Präsidentenwahl könnte für die Linke lehrreich sein. Die Alpenrepublik hat einen gewissen Vorsprung vor der Bundesrepublik, was die Zerfledderung des Parteiensystems anlangt. Und sie hat annähernd vergleichbar gute Wirtschaftsdaten wie der große Nachbar. Im unglücklichen Österreich hat der FPÖ-Kandidat deutlich den ersten Wahlgang gewonnen. Über ein Drittel der Wähler machten bei dem Rechtspopulisten das Kreuzchen – und damit deutlich mehr als bei den Konservativen ÖVP und der SPÖ zusammen. Gerade bei den Sozialdemokraten ist laut der Wahlanalysen eine Massenflucht ihrer Stammwählerschaft zu den Freiheitlichen genannten Rechtsauslegern zu beobachten. 72 Prozent der Arbeiter haben FPÖ gewählt – aber nur 10 Prozent die SPÖ.Diese Zahlen sind für die österreichischen Genossen eine Bankrotterklärung. Sie schauen seit 30 Jahren dem Aufkommen einer immer weiter nach rechts schwenkenden FPÖ unter Jörg Haider zu, wie ihr die Kernwählerschaft wegschmilzt. Für die deutschen Linke-Genossen aber ist die Wiener Wähleranalyse eine Ohrfeige. Der tiefere Teil des Grabens nämlich verläuft nicht entlang sozialer Grenzen, sondern macht sich am formellen Bildungsniveau fest. Die wenig Gebildeten wählen zu 40 bis 50 Prozent die FPÖ, die Gymnasiasten und Hochschulabsolventen zu 35 bis 40 Prozent die Grünen. Mit anderen Worten: Die Linke punktet in einer erregten Republik substanziell bei keiner der beiden Bildungsschichten mehr. Sie sitzt politisch in der Bildungsfalle.Wenn das eine grundsätzlich gültige Vorschau auf die deutsche Wahlsoziologie ist, dann ist das Strategiepapier von Kipping und Riexinger wenig Wert. Genau besehen würde es den Rechtsruck sogar weiter verstärken. Erstens, weil man einer abwandernden Hauptschülerschaft ihr trotziges Wahlverhalten sicherlich nicht weg-erklären kann. Und zweitens, weil Parolen wie „Klassenkampf“ oder „Revolution“ den gebildeten Teil der Wählerschaft weder intellektuell überzeugen noch sozial beeindrucken können. Die Linke begibt sich mit ihrer abgehobenen Sprache und der immanenten Verachtung ihrer abgewanderten Wähler in eine gefährlich arrogante Position. Sie erklärt ihre Wahlverluste zu einem intellektuellen Missverständnis. AfD-Wähler verstehen demnach nicht, welchen Quatsch sie wählen. Und die Linke tut das ganz explizit. Sie erkennt in ihrem Strategiepapier, „dass die AfD in Sachsen-Anhalt wie Baden-Württemberg stärkste Partei bei den Erwerbslosen und bei den Arbeiterinnen und Arbeitern geworden ist.“ Diese Menschen seien, so heißt es darin, „nicht alle rassistisch oder nationalistisch“. Aber kümmern will man sich um sie keinesfalls. Ja, diese Frage stelle sich gar nicht: „Dann würden wir nicht nur die vielen Menschen, die sich in der Flüchtlingshilfe engagieren, wieder verlieren, wir würden auch unsere Grundwerte der Menschenrechte und Demokratie verraten“.Das klingt verdächtig nach der Brecht´schen Weisheit, dass die Regierenden sich gern ein neues, klügeres Volk wählen würden. Blöderweise wählt aber das Volk. Und es macht grad, was es will. Da mag das rote Gretel noch so laut Klassenkampf plärren.NACHTRAGSonja Giese, DIE LINKE, bittet um Richtigstellung:Ihr Autor Herr Füller schreibt in seinem Beitrag, DIE LINKE wolle sich nicht mit AfD Wählern abgeben. Es ist genau umgekehrt. In dem Strategiepier von Katja Kipping und Bernd Riexinger heißt es:(….) „Das Alarmsignal des Wahlsonntags ist, dass die AfD in Sachsen-Anhalt wie Baden-Württemberg stärkste Partei bei den Erwerbslosen und bei den Arbeiterinnen und Arbeitern geworden ist, und auch viele gewerkschaftlich orientierte Beschäftigte AfD gewählt haben. Diese Menschen sind nicht alle rassistisch oder nationalistisch – aber sie stärken eine rassistische und rechtspopulistische Partei ... Rico Gebhardt hat die zentrale Herausforderung auf den Punkt gebracht: "Den größten Beitrag, den wir als Linke gegenwärtig gegen den Rechtstrend leisten können, ist, wenn wir die Arbeiterschaft und die Arbeitslosen zurückgewinnen. Das ist eine soziale Herausforderung mit hohem antifaschistischen Effekt!" (…)Und weiter: (…) „wir geben weder unsere Positionen auf noch die Menschen.“ (…)