Es soll eine Jahrhundertreform werden, und die Bundesregierung hat sie nichts Geringerem als der Jugendlichkeit verschrieben: Das neue Dienstrecht für Professoren. 1810 schickte Wilhelm von Humboldt die "Gelehrten" der Akademien in die neu gegründete Berliner Universität, damit sie dort gemeinsam mit den Studenten Wissenschaft als Bildung treiben. Seitdem wurde den Professoren kein so fundamentaler Paradigmenwechsel mehr verschrieben wie dieser.
Nach dem Entwurf für eine neues Professorendienstrecht, den Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) Ende Mai dem Kabinett vorlegt, soll nicht mehr der in Ehren ergraute Habilitierte das Leitbild sein, sondern der Juniorprofessor. Der wird im Idealfall mit 30 Jahren als Promovierter den ersten Lehrstuhl erklimmen - und so das Altersgefüge der ganzen Uni drücken. Das ist der rosige Plan gegen den kaum jemand prinzipielle Einwendungen vorbringt - abgesehen vom Großteil der berufenen Professoren. Die stellen sich quer; aber die sind eben auch alt.
Die historische Verjüngungskur für die Geisteselite hat aber einen kaum wahrnehmbaren Webfehler. In einigen Regionen des Landes wird die Reform das glatte Gegenteil von dem bewirken, was sie vorgeblich will. Nicht allein im Osten, dort aber mit ziemlicher Sicherheit, wird sie die Jugend nicht etwa anziehen, sondern verschrecken. Das hat mit dem Wettbewerb zu tun - der eigentlichen Idee der Dienstrechtsreform - und der Tatsache, dass es in manchen Politikfeldern nicht sinnvoll, ja womöglich schädlich ist, ein Gesetz für das ganze Land zu verabschieden.
Für die unterschiedlichen Lebensverhältnisse in Ost und West ist das Gesetz blind. Eine Sisyphus-Aufgabe für den Gesetzgeber. Zum einen. Zum anderen die Verwässerung eines demokratischen Grundsatzes: Die Freiheit und Gleichheit aller vor dem Gesetz.
Schuld daran sind im Falle der Dienstrechtsreform scheinbar lächerliche zwei Prozent. Um diesen Betrag sollen die Bundesländer jährlich ihre Professorenbudgets ausweiten dürfen. Damit sie ihre wichtigsten Beamten nicht nur angemessen, sondern auch leistungsstimulierend bezahlen können. Die neue Gehaltsformel lautet: Mindestbesoldung plus Leistungsprämie. Das Grundgehalt liegt zwischen 7.000 und 8.500 Mark, das Plus beträgt zwischen 2.000 und 3.100 Mark, in Einzelfällen gar 10.000 Mark. Das soll Wettbewerb auslösen - zwischen Professoren und zwischen Ländern. Wettbewerb unter Ländern funktioniert jedoch nur, wenn sich alle auf einem annähernd gleichen Niveau der Konkurrenz aussetzen können. Das ist nicht der Fall, schon gar nicht in der Wissenschaft.
Ein Land wie Bayern etwa startet auf einer doppelt guten Ausgangsbasis: Seine Professoren sind heute - gemessen an Alter und Dotierung - sehr gut bezahlt. Wenn also der Generationswechsel einsetzt, kann Wissenschaftsminister Hans Zehetmair (CSU) auf ein großes Budget zugreifen, um die Leistungsprämien zu zahlen. Dank des robusten bayerischen Etats, wird es ihm ohnehin keine Mühe bereiten, den jährlich zweiprozentigen Zuwachs für gute Wissenschaftler so auszuloben, dass diese sich im Süden ansiedeln.
Ganz anders sieht die soziale Realität, zum Beispiel, in Sachsen-Anhalt aus. Das kleine, bitterarme Land hat keinen der bayerischen Vorteile zu bieten, dafür einen handfesten Nachteil: Im Osten wird nicht der Westtarif bezahlt, sondern zehn Prozent weniger. Allein diese Lücke in zehn Jahren zu schließen, ist schwer. Mit den neuen Leistungsprämien wird es unmöglich. "Unsere Ausgaben allein für Professoren würden, vorsichtig geschätzt, um ein Viertel anwachsen", rechnet der Magdeburger Wissenschaftsstaatssekretär Wolfgang Eichler (SPD) vor. Wir könnten dann, fügt er lakonisch an, "nur noch die Professoren bezahlen, sonst gar nichts mehr - keine Bleistifte, keine Mieten, von teuren Laborgeräten ganz zu schweigen."
Doch noch ehe das neue Dienstrecht da ist, wirft der bayerische Zehetmair den Vorschlag in die Diskussion, das Mindestgehalt für die neuen W3-Professoren von 8.500 auf 10.000 Mark anzuheben. Dagegen muss Wolfgang Eichler schon Mut sammeln, um zu sagen: "Wir müssten eigentlich, um aus dem Knick zu kommen, viel mehr für Wissenschaft und Bildung insgesamt tun." Nicht nur für die Professoren.
Mit dem Knick meint Eichler die Situation in seinem Land: Immer mehr Menschen kehren Sachsen-Anhalt den Rücken - vor allem die Jungen. Zwar ist es nicht so schlimm wie damals, im Ausreis(s)er-Sommer ´89. Aber etwas anderes erinnert an diese Zeit: Die Kinder, genauer, die Kinder, die nicht ankommen in den Hochschulen, weil sie nicht geboren wurden, als ein säkularer Knick die DDR-Geburtenrate heimsuchte.
In den trockenen Worten der Bürokratie: "Gründe dafür, dass sich die Prognosen des Jahres 1992 im Hinblick auf die Studienanfänger und Studierende nicht erfüllt haben, sind neben der demografischen Entwicklung Sachsen-Anhalts eine geringere Studierwilligkeit als angenommen und ein erheblicher Wanderungsverlust." So steht es im Bericht einer Wissenschaftsstrukturkommission. Auch in Schwerin, Potsdam, Dresden und Erfurt wird nach unten korrigiert: Studienanfänger, Studierende, Professoren, Ausbaupläne...
Cornelius Weiss kennt die Zahlen alle, der SPD-Landtagsabgeordnete war selbst Mitglied der Magdeburger Kommission. Aber er zieht ganz andere Schlüsse daraus, kämpferische. "Wir müssen genau den umgekehrten Weg gehen: aufbauen und nicht abbauen", fordert er. Und er, der den sächsischen Wissenschaftsminister Hans-Joachim Meyer (CDU) vor wenigen Monaten noch hart kritisiert hatte, zitiert nun zu gerne dessen Sinneswandel: Wir können doch nicht zuschauen, wie uns die Kinder davon laufen.
Weiss, der lange Rektor der Uni Leipzig war, befürwortet die Ziele der Reform, trotz der Zwickmühle, in die sie den Osten zu manövrieren droht. "Die Bundesgesetzgebung", stellt er fest, "berücksichtigt eben in vielen Fällen ostdeutsche Belange einfach nicht." Ein Ausweg? Kein neues Geld. Weiss fordert, den Schwerpunkt der Investitionszuschüsse für den Osten zu verlagern - auf Köpfe und nicht auf Beton und Straßen.
Dabei stellt Weiss die Reform im Grunde auf den Kopf: Ein Uni ist so jung und vital wie seinen jüngsten Studenten, nicht wie seine jüngsten Professoren. "Wir müssen Sachsen für junge Leute attraktiv machen." Das passt ganz gut zu Humboldt. Dem war das Gespräch mit den Studierenden das wichtigste: "Der Gang der Wissenschaft ist offenbar auf einer Universität, wo sie immerfort in einer großen Menge und zwar kräftiger, rüstiger und jugendlicher Köpfe herumgewälzt wird, rascher und lebendiger." Das klingt sympathischer als Leistungsstimulus und Wettbewerb. Aber ob es reicht als Ansporn für die Wissenschaft im Osten der Republik?
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.