Eigentlich konnten alle Bescheid wissen. Donald Trump ist nicht erst im Wahlkampf gegen Hillary Clinton zum Sexisten mutiert. Er war es immer, ein Flut von Radio- und Videoaufnahmen belegen das. Aber es brauchte den Auftritt von Michelle Obama, um in allen Einzelheiten deutlich zu machen, dass Trump jetzt eine Art Putsch unternahm. Er nutzte – ob gewollt oder nicht – die weltweite Aufmerksamkeit auf die US-Wahlen, um einen schmierigen Alt-Herren-Sexismus auf neuer Ebene zu reanimieren. „Eine mächtige Person spricht frei und öffentlich über sein sexuell übergriffiges Verhalten“, sagte Obama in einer emphatischen wie intellektuellen Rede. „Und wir dachten das ist graue Vorzeit, aber nein, es ist 2016.“ Geäußert von einem Mann, der Präsident werden will.
Die erste Frau im Staate entfaltete, dass Trumps sexueller Übergriff mit seiner Kandidatur ein politischer wurde. Es ist das kleine Einmaleins des Feminismus: Die Macht des Mannes, über Körper und Sexualität der Frau zu verfügen, mit Worten wie Taten. Auf großer Bühne bewertete der Möchtegern-Präsident das Aussehen von Frauen, verglich sie mit Tieren, erklärte ihre Scharfsinnigkeit – wie im Fall von Megyn Kelly, die ihn als Moderatorin zerlegt hatte – als Ausdruck ihrer Periode. Jedermensch konnte wissen, was es bedeutete, als Trump im TV-Duell nur sehr knapp und im Nebensatz die Frage verneinte, ob er auch physisch übergriffig war. Tatsächlich melden sich nun in Serie Frauen, die er begrapschte oder denen er seine Zunge in den Hals steckte, sobald seine schwangere Frau Melania aus dem Zimmer war.
Die bittere Ironie des amerikanischen Wahlschlacht, bei der Körper und Sex zunehmend in den Mittelpunkt rücken, ist dass es nur eine Person gäbe, die die Kampagne des Grapschers Trump retten könnte: Hillary Clinton. Wenn jemand weiß, wie man ein sexuelles Raubtier ins Weiße Haus bringt oder es dort hält, dann sie. Denn ihr Mann Bill hat im Oral Office nicht nur eine 22-jährige Praktikantin vor sich niederknien lassen. Die Serie von Übergriffen Bill Clintons ist eher länger als die Donald Trumps. Hillary Clinton hat unter der Promiskuität ihres Mannes nicht nur gelitten. Sie hat sie auch gestützt. Indem sie etwas tat, was wenig mit weiblicher Solidarität, aber viel mit Komplizenschaft zu tun hat. Auch sie hat Frauen herabgewürdigt, beschimpft und bekämpft – um ihren Bill im Präsidentenamt zu halten.
Dazu hat Michelle Obama nichts gesagt. Schade. Es hätte ihrer flammenden Rede gut gestanden.
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