Microsoft huldigt Orbán

Digitale Arroganz Bei einer Konferenz in Ungarn stellt der Konzern eine neue Lehrer-Plattform vor. Und zeigt, wozu er Freiheit braucht: fürs Marketing
Ausgabe 10/2016
Proteste in der ungarischen Hauptstadt gegen Viktor Orbáns Bildungspolitik
Proteste in der ungarischen Hauptstadt gegen Viktor Orbáns Bildungspolitik

Foto: Attila Kisbenedek/AFP/Getty Images

In Budapest gingen Mitte Februar zehntausende Lehrer auf die Straße. Sie demonstrierten gegen die autoritäre Schulpolitik der Regierung Viktor Orbán. Unter dem nationalistischen Regierungschef wurden die kommunalen Schulen verstaatlicht und unter Kuratel einer neu gegründeten Regulierungsbehörde gestellt. Sie zensierte Schulbücher und schrieb die Lehrpläne um. Lehrer, die sich dem Diktat widersetzten, wurden entlassen. Orbán will seine nationale Sauce direkt in die Köpfe der Schüler spülen.

Seit Mittwoch treffen sich in Ungarns Hauptstadt erneut Lehrer – auf Einladung von Microsoft. Die Kollegen sollen sich austauschen darüber, wie wunderbar das Lernen mit Microsofts neuer Lehrer-Plattform klappt. Ein Teil der Konferenz steht unter dem Motto #hacktheclassroom – das heißt so viel wie: hackt, knackt, brecht das Klassenzimmer auf.

#hacktheclassroom mag unter anderen Umständen ein spannendes Motiv von Bildungsreform sein – in Budapest grenzt es an Zynismus. Während drinnen im feinen Hotel Lehrer von überallher die Freiheit des Lernens feiern, wird diese Freiheit draußen in den 5.000 Schulen Ungarns rigide unterdrückt. Viktor Orbán nämlich hat gleich das ganze ungarische Schulsystem gehackt. Er lässt die Lehrer nach der Pfeife des Cuno-Klebelsberg-Institutes tanzen, benannt nach einem Antisemiten und Erfinder der Überlegenheit der ungarischen Kulturnation.

Wie üblich unter digitalen Lehrern wird die traditionelle Schule als ein Hort der analogen Idioten abgebildet, die auf Schulbüchern aus Holz die Zukunft verschlafen. Für ein wahrlich freies Lernen brauche es Rechner, Schwarmintelligenz und die berühmten 4K: Kollaboration, Kreativität, Kommunikation – und kritisches Denken. Wie passt es zusammen, dass im Hotel Kritik bejubelt und vor der Tür von Schulinspektoren unterdrückt wird? Erklären sich die Welt-Pädagogen solidarisch mit ihren ungarischen Kollegen?

Auf diese Fragen bekommt man keine Antworten von Microsoft. Die Lehrerkonferenz sei eine interne Veranstaltung, ließ die deutsche Zentrale mitteilen. Das Programm eines freien Lehrerkongresses hielt Microsoft zunächstist: geheim.

Microsoft huldigt also Orbán nicht nur – es passt sich ihm an. Der Konzern zeigt, wozu er Freiheit braucht: fürs Marketing.

Update 1: Am Dienstagabend, nach Redaktionsschluss der Print-Ausgabe, antwortete Microsoft doch noch auf die Anfrage und teilte dabei immerhin den Link zum Programm des Kongresses mit.

Update 2: Wie Microsoft einmal Fragen (nicht) beantwortete, lesen Sie bitte hier

Der Freitag hat versucht, von Microsoft zu erfahren, wie das Unternehmen zur bedrückenden Situation der ungarischen Lehrer steht. Am Ende steht die Erkenntnis: "Don't ask Microsoft". Das Protokoll der Recherche

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Christian Füller

http://christianfueller.com

Christian Füller

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