Das Volk wollte nicht mehr. Es stand auf gegen die neue Schule. Es tat seinen Unwillen kund, sich eine Schule oktroyieren zu lassen. Die Regierung beugte sich dem Plebiszit – und blies die Schulreform ab.
Nicht von Hamburg ist die Rede, sondern von der Koop-Schule in Nordrhein-Westfalen, die 1978 durch ein Volksbegehren gestoppt wurde. Dreieinhalb Millionen Bürger sagten damals "Nein". In Hamburg waren es nun 276.304 Bürger. Die Zahl lässt eine Exklusivität erahnen, die dem Begriff Volksentscheid vielleicht nicht gerecht wird.
Tatsächlich hat das Hamburger Plebiszit wenig mit Volk, aber viel mit dem Putsch einer bürgerlichen Elite zu tun. Die Initiative „Wir wollen lernen“ hat eine relevante Minderheit der Stadt ihrer Rechte beraubt. Mit dem urdemokratischen Mittel der Volksabstimmung zwar – aber jeder inhaltlichen Bedeutung von Demokratie Hohn sprechend.
Das sind keine Vorurteile gegen einen „Gucci-Protest“, sondern Ergebnisse einer statistischen Auswertung des Wahlverhaltens am Sonntag. Das Berliner Wissenschaftszentrum für Sozialforschung hat im Detail aufgezeigt, wie die Hamburger Oberschicht den Unterschichtskindern jene Schule kaputtgestimmt hat, die sie vor negativen differenziellen Lernmilieus hätte bewahren sollen. Aber, Vorsicht, schuld sind daran nicht die krawattierten Bürgerbegehrer vom Jungfernstieg, sondern die Hartz-IV-Bezieher aus den Hamburger Sozialghettos. Sie haben die Stimme für ihre Kinder weggeworfen.
Hamburg ist demokratietheoretisch in die Falle getappt. Eine relative Mehrheit wendet das Mittel des Volksentscheids gegen den einstimmigen Beschluss der Hamburger Bürgerschaft: Volk gegen Volksvertretung. Genauer: Obere Mittelschicht gegen die politische Repräsentanz aller Bürgerschaftsparteien.
Hamburgs Sozialmilieus, die schon einige politische Querschläger hervorbrachten, veranstalteten eine Art kalten Krieg gegen die Demokratie. Niemals war der Protest derart grobschlächtig gegen den materiellen Sinn der republikanischen Verfassung gerichtet: Die sechsjährige Grundschule wäre ein erster Schritt zu einer überfälligen Demokratisierung der deutschen Schule gewesen. Die Ausleseverfahren nach vier Jahren Grundschule sind eindeutig sozial und nicht durch Leistung bestimmt. Dazu gibt es mehr Seiten valider Studien, als sich „Wir wollen lernen“-Wähler finden.
Parlament und Regierung beschließen, lasst uns endlich die Schule demokratischer machen – da dekretiert eine Bürgerschicht barsch: Nein, die Schwachen behindern unsere Kinder! Wir wollen ohne Schmuddelkinder lernen!
Und alle machen mit. Hamburgs Superblätter Spiegel und Zeit stellten feingetunte Goldwaagen auf, um nachmessen zu können, welches Kind in welcher Schulform denn nun mehr lernt. Sie fragten dabei ganz ernsthaft, ob es gerecht sei, dass ein Arztkind in der Primarschule ein Pisapünktchen weniger hinzulerne als in der sechsten Klasse eines Gymnasiums.
Was, bitte, hat es mit Gerechtigkeit zu tun, einem Akademikerkind Anrecht auf mehr Bildung zuzubilligen als einem Arbeiterkind? Alle zehnjährigen Menschen haben das Recht auf gleichen Zugang zu Bildungsgütern – ohne Ansehen ihrer Abstammung. Gegen diesen elementaren Grundsatz verstößt das deutsche Schulsystem. Um das einzusehen, braucht man übrigens keine Pisastudie zu lesen.
Das deutsche Schulsystem weist eine verheerende Bilanz auf. In der Hauptschule sind mancherorts neun von zehn Kinder eingeschlossen, die mit 15 Jahren praktisch nicht lesen können. Der Staat bekräftigt die Ungleichheit seiner Bürger durch ein absurd selektives Schulsystem. Aber warum bleibt der Aufstand der Gesellschaft dagegen aus? Weil es in Deutschland kein Bewusstsein für eine demokratische Schule gibt. Das preußische Schulwesen, scharf gegliedertes Vorbild für alle deutschen Länder, ist nie wirklich revolutioniert worden. Alle Versuche, die Gliederung 1809 (Wilhelm von Humboldt), 1848 (Paulskirche), 1880 (Gymnasialstreit), 1919 (Einführung der gemeinsamen Grundschule), 1949 (alliierte Truppen) oder in den 1970ern („Mehr Demokratie wagen“) abzuschaffen, endeten in hässlichen Schulkriegen. Das deutsche Volk will keine demokratische Schule, denn es findet ironischerweise genau diese Schule ungerecht. Es gilt in Deutschland: Wenn alle in ein und dieselbe Schule gingen, so wäre das Gleichmacherei – und Unrecht.
Im 19. Jahrhundert hat der Staat einen Pakt mit dem aufbegehrenden Bürgertum geschlossen: Wenn ihr keine Revolution macht, dann schenke ich euch eine Schule, die ausschließlich eure Kinder zum Studium führt – das Gymnasium. Wenn der Staat diesen Pakt aufkündigt, wenn er den privilegierten Zugang zum Gymnasium angreift, dann macht das Bürgertum Revolution.
Diesem Land fehlt ein schulpolitischer Neuanfang. Das Hamburger Schulplebiszit hat nicht nur die Selbstblockade des Schulsystems durch den Auftritt eines neuen Neinsagers verstärkt. Dort haben auch beinahe alle sozialen und institutionellen Akteure der Demokratie versagt: Die Elite, der Pöbel, die Leitmedien und der Regierende. Aber sie alle feiern es als einen Sieg der Demokratie. Denn es war ja eine „Volks“-Abstimmung.
Christian Füller ist Bildungsexperte und Publizist
Kommentare 30
EIne eher "historische" Anmerkung: Auch "Stop Koop" 1978 war eine Kampagne der Eliten (wesentlich getragen von der nordrhein-westfälischen CDU), eine der ersten Kampagnen möglicherweise, mit der die Konservativen nach einer Phase halbherziger und inkonsequenter sozialdemokratischer Bildungspolitik kulturell wieder in die Offensive gelangten.
"Was, bitte, hat es mit Gerechtigkeit zu tun, einem Akademikerkind Anrecht auf mehr Bildung zuzubilligen als einem Arbeiterkind? Alle zehnjährigen Menschen haben das Recht auf gleichen Zugang zu Bildungsgütern – ohne Ansehen ihrer Abstammung. Gegen diesen elementaren Grundsatz verstößt das deutsche Schulsystem. Um das einzusehen, braucht man übrigens keine Pisastudie zu lesen."
Großartig und längst überfällig! Vielen Dank!
Nun, die Angts der Eliten, dass sich der gewinnbringende status quo, perpetuiert eben durch dieses selektive Schulsystem, aufgebrochen wird offenbart die Motive hinter u.a. "Wir-wollen-lernen".
Vom Teil der wohlhabenden Merheitsgesellschaft durch mehr Konkurrenz in die weniger privilegierten Positionen der sozialen Pyramide abzufallen, ist denke ich ganz wesentlich. Ferner sei anzumerken, dass die Deutschen generell ja nun keine Meister der Reformen sind.
"Missverständnis „Chancengleichheit“
„…. Was würde sich eigentlich ändern, wenn es mit schulischer oder vorschulischer Anstrengung gelingen würde, alle Unterschiede in den geistigen Voraussetzungen zu nivellieren, mit denen Kinder sich dem Leistungstest zu stellen haben?
Was wäre gewonnen, wenn sich Kinder mit identischer kognitiver Ausstattung dem chancengleichen Verfahren unterziehen würden?
Ein wunderschöner, sozial gerechter Sortierungsvorgang wäre gewonnen! Ein Leistungstest, in welchem nichts als schulische Anstrengung zählen würde, nicht „verzerrt“ durch Herkunftsunterschiede! Ein Test, in dem die Schüler aber nach wie vor das Interesse am Lernen der aufgenötigten Konkurrenz unterordnen müssen; in dem ihnen weiterhin die Gleichgültigkeit gegenüber jedem Wissen zur zweiten Natur zu werden hat, bei dem es auch fürderhin drauf ankommt, mit allen Mitteln Sieger zu werden, sich also daran zu beteiligen, andere zu Verlierern zu machen und in dem Angst und Mobbing regieren.
Ein Sortierungsresultat wäre gewonnen, welches Sieger und Verlierer wie ehedem auf die identische Hierarchie von klassenmäßig geordneten Berufen verteilen würde; nur mit dem Unterschied, dass jetzt vielleicht mehr Akademikerkinder am Band landen und mehr Arbeiterkinder in die politische und ökonomische Elite aufsteigen würden.
Aber was ist von einer Kritik zu halten, welcher der Gegensatz der sozialen Klassen im Kapitalismus allein als die Summe von Unterschieden aufstößt, mit denen sich Kinder in die Schulkonkurrenz begeben, und die allein an mahnt, den schulischen Beitrag zur Reproduktion der kapitalistischen Klassengesellschaft „sozial gerechter“ zu organisieren!...“
Freerk Huisken in: Auswege. Perspektiven für den Erziehungsalltag. Gegenrede 6.
Der ganze Beitrag hier:
www.magazin-auswege.de/2010/02/missverstaendnis-chancengleichheit/
Eine luzider Artikel, Christian Füller, vor allem auch wegen der historischen Herleitung. Selbst bei einem Reförmchen, das nur einen Mikroschritt in Richtung mehr formaler als inhaltlicher Gleichheit bedeutet hätte, befestigen die Bourgeois ihre Bildungsbarrikaden. Und schaden dabei langfristig nur sich selber.
Es ist schon zum Verzweifeln. Es kämpfen Seite an Seite und Hand in Hand die hanseatischen Gymnasialideologen und - wie das Exzerpt von Phineas Freak zeigt - die unbestechlichen Dogmatiker à la Freerk Huisken, der fast freudig konstatiert, dass die Schulreform die Klassenherrschaft stabilisiert, weil sie eine "gerechtere" Sortierung durch die böswilligen Lehrer ermögliche.
Also lassen wir's beim Alten. Das hilft zwar den Unterdrückten und den "geknechteten Wesen" noch weniger, hat aber den Vorteil die Verhältnisse klarer abzubilden. En attendant la révolution.
Nicht Nivellierung der geistigen Unterschiede ist das Ziel, sondern, das Ziel auf Sicht ist die Beseitigung der Abhängigkeit sozialer Herkunft von Bildungschancen.
Die gewisse sozialdarwinistische Pointe ist sicherlich da, doch gehören soziale Unterschiede zu jeder Gesellschaft.
Sie sollen nur bitte nicht auf Grund von bedrucktem Papier oder einem großen Netzwerk zu Stande kommen.
Es sei angemerkt, dass das Utopia einer klassenlosen Gesellschaft auch für mich sehr attraktiv ist, es scheitert aber an der Realität.
Danke Herr Füller..das erste Mal, dass mir ein Artikel von Ihnen gefällt...Beim Them Studiengebühren gehen Sie da ja eher andere Wege.
Was in Hamburg geschehen ist, ist für mich noch immer unbegreiflich. Vielleicht sollte man doch endlich mal sowas wie eine Wahlpflicht einführen, dann können die feinen Schnösel nicht heimlich allein abstimmen und so ein jahrhunderte altes, überkommenes Schulwesen konservieren. Alleine schon den ihre Argumente lassen mir einen kalten Schauer über die Haut fahren...Grauenhaft!
Wer einer Sache auf den Grund geht und die auch dafür angeführten Begründungen und Argumente zu Ende denkt und deren ungemütlichen Konsequenzen exemplarisch vorführt, fängt sich erstmal den „Dogmatiker“ ein.
Ob Du den durch die Verhinderung der Reform angeblich verursachten Schaden der Bourgeoisie für erwähnenswert hältst und Dir der Hamburger Bourgeois deswegen so leid tut, weil der hier das, wegen seines ideologisch legitimatorischen Gehaltes, überaus nützliche Selektionsverfahren für eine Klassengesellschaft selbst an die Wand fährt?
Oder ist das nur die übliche Heuchelei des ganz normalen bürgerlichen Anstandes, das eigene Interesse (oder das was man dafür hält) in den wirklichen oder angeblichen Nutzen Derjenigen zu verlegen, von denen man etwas will?
Wo lässt sich aus den paar Klarstellungen von Huisken herauslesen, „alles beim Alten“ zu lassen – weil er die Resultate aufzeigt, die eine konsequente Verwirklichung bürgerlicher (Aus)Bildungsideale durch eine 100% gerechte Leistungskonkurrenz mit den betroffenen (jungen) Menschen anstellen würde?
Mit dem sagenhaften Ergebnis, „dass jetzt vielleicht mehr Akademikerkinder am Band landen und mehr Arbeiterkinder in die politische und ökonomische Elite aufsteigen“ werden.
Zum Verzweifeln ist da eher die konsequente Weigerung von Menschen hiesige Bildungswecke einmal wirklich zur Kenntnis zu nehmen und zu begreifen.
Stattdessen immer wieder diese elendige und unterwürfige Gerechtigkeitsforderung.
Ich gebe Dir in einem recht. "Aus den paar Klarstellungen" Huiskens lese ich nicht allein heraus, dass er alles beim Alten lassen will. Allerdings kenne ich Huiskens Veröffentlichungen ad nauseam - seien es die zweibändige "Erziehung im Kapitalismus", die Büchlein zu Erfurt, Pisa oder die "Unregierbarkeit des Schulvolks". Die Botschaft ist so unhistorisch wie simpel: im Bildungssystem wird "sortiert", und die Bildungsvermittler in Hochschulen und Schulen sind "Kindersortierer" - basta! Herr Prof. Dr. Huisken natürlich ausgenommen. Und das alles mit einer gewissen - na sagen wir höflich - Schwatzhaftigkeit und Redundanz präsentiert. Ein Beispiel bezüglich der Amokschützen gefällig?
"Nein, die Damen und Herren Kindersortierer haben nichts falsch gemacht. Ich muss sie vor diesem Vorwurf in Schutz nehmen. Es ist schlimmer. Sie haben alles korrekt gemacht - wie es sich für ihr Amt gehört. Allein der Job, besser: der Zweck ihres Jobs ist der Fehler!" (Unregierbarkeit) usw. usw. 'nen bisschen undialektisch - oder?
Tut mir leid, die Frage zu stellen, die ich ziemlich unfair finde, aber mir hier geboten zu sein scheint: Sehe ich das richtig, dass Du wie Huisken gegen kapitalistische, also systemstabilisierende Reformen bist, auch wenn diese den Schülern, die bisher in Hauptschulen und damit auf Abstellgleis gesteckt wurden, vielleicht ein wenig mehr Lebensqualität bringen würden? Oder willst Du bis zur Revolution warten?
Ich kann ihnen nur Recht geben: Es muss heißen Revolution durch Evolution und nicht Fatalismus bis zur Revolution...sonst werden Linke niemals ernst genommen.
...Deine Replik ist so unredlich wie komplett ignorant.
Falls das alles sein sollte, was Du aus den von Huisken gelesenen Veröffentlichungen ziehen konntest - hast Du ein ernsthaftes Problem mit dem gedanklichen Nachvollzug vom aufgeschriebenen Zeugs.
Da Du nicht einmal WILLENS bist auf das bisschen oben Zitierte einzugehen, ist es auch nicht verwunderlich, dieses bornierte Verfahren geistiger Immunisierung gegenüber Huisken oder überhaupt universeller Kritik an Bildungszwecken und IHRER Pädagogik anzuwenden.
Deine Fragen am Schluß entspringen dann auch genau dieser gezielten Kritikresistenz und dem eigenen gläubigen Bildungsidealismus, den einen oder anderen jungen Menschen vor dem "Abstellgleis" zu bewahren.
Dieses "Abstellgleis" ist allerdings eine hisiege Konstante in unseren schönen gesellschaftlichen Gefüge und die durch konjunkturelle Schwankungen dort landende variierende Anzahl von Menschen wird mit Reform oder ohne nahezu gleichbleiben (wohl unabhängig davon extrem wachsen, denn bekanntlicherweise hat eine allumfassende "Bildung" nicht die Eigenschaft einen gut dotierten "Arbeitsplatz in die Welt zu setzen).
Aber mit Deiner Hilfe und zukünftiger Reformen werden wir vielleicht erleben dürfen „dass jetzt vielleicht mehr Akademikerkinder am Band landen und mehr Arbeiterkinder in die politische und ökonomische Elite aufsteigen“ werden.
Na dann.
Das sog. Hamburger Bürgertum hat es geschafft, seinen Bildungsbesitzstand zu wahren. Richtig, Die Hartz IV-Bezieher aus den Hamburger Sozialghettos haben ihre Stimme weggeworfen. Aber ihre Kinder werden jetzt noch ein paar mehr Feuerzeuge aufheben. Den Bildungsbesitzstand werden die Hamburger durch einen sog. "Volksentscheid" verteidigen können, aber ihre materiellen Statussymbole werden sie auf Dauer nur verteidigen können, wenn sie Mauern errichten.
Na, wenn das keine Argumente sind! Ich fühle mich ertappt. Als Student habe ich übrigens ähnlich wie Du und Dein Meister argumentiert - unredlich und die Ebenen durcheinander bringend. Ich hatte den alten Engels noch nicht gelesen, der sich über die Entweder-oder-Attitude lustig macht: "Eure Rede sei ja, ja oder nein, nein!"
Nur - die Antwort auf meine Frage hätte ich schon gern. Du diagnostizierst zwar meinen Bildungsidealismus, antwortest aber nicht ad rem. Und ergänzend bitte auch: Warum möchtest Du anderen Menschen Bildung vorenthalten? Petitbourgeoise Abstiegsängste? Oder akuter Huiskenismus? Oder beides?
Der Kernsatz für mich ist dieses Fragment vom Satz.
"...sondern die Hartz-IV-Bezieher aus den Hamburger Sozialghettos. Sie haben die Stimme für ihre Kinder weggeworfen."
Womit dann auch die Schlussfolgerung an sich ein andere wäre. Statt "Diesem Land fehlt ein schulpolitischer Neuanfang." müßte es den Brandtschen Rückgriff geben von "Mehr Demokratie wagen." zu einem "demokratischen Neuanfang kommen".
An der Stelle sind an sich alle relevanten Gruppen von Gewerkschaften über Kirchen bis Parteien und alles was dazwischen gibt dazu aufgefordert jenen Bewohnern von "Sozialghettos" wieder dazu zu bewegen, dass sie ihre eigene "Stimme" nicht wegwerfen. Weder für ihre Kinder noch für sich. Dazu bedarf es auch glaubwürdiger Interessenvertreter. Daran haperts es - daran ist zu arbeiten. Lautstark. Offensiv. Hier sind massiv Gewerkschaften und die SPD gefragt. Radikale - also - kompromisslose - Mobilisierung zur Wahrnehmung der eigenen demokratischer Rechte.
Das steht eigentlich sehr grundsätzlich an und wird sich automatisch auch auf das Schulsystem ausweiten.
Einerseits trifft Füllers polemische Analyse den Kern: "Tatsächlich hat das Hamburger Plebiszit wenig mit Volk, aber viel mit dem Putsch einer bürgerlichen Elite zu tun." Das erfolgreiche Plebiszit wird Folgen über Hamburg hinaus haben, denn so bald wird keine schwarzgrüne oder rot(rot)grüne Landesregierung noch einmal versuchen, dem grundständigen Gymnasium ( ab Klasse 5 ) ans Leder zu gehen.
Andererseits ist zu fragen, ob es richtig ist, in der 6jährigen Grundschule das Schlüsselproblem unseres Schulsystems zu sehen, an dem sich seine Modernität und die Offenheit unserer Gesellschaft entscheiden. Jedenfalls gibt es seit den 90er Jahren internationale Untersuchungen, die zu belegen scheinen:
"Der Einfluss des Lehrers und seine gesammelten pädagogischen fachwissenschaftlichen und fachdidaktischen Fähigkeiten erklärt drei- bis viermal so viel Varianz in der Leistung, dem Wohlbefinden der Schüler und Schülerinnen, ihrer Gewalttätigkeit, ihrer Fremdenfeindlichkeit etc. als irgendeine organisatorische Maßnahme. Organisatorische Maßnahmen gehören eindeutig zu den weniger wichtigen und wirksamen Variablen. Die relevanten Maßnahmen sind neben der Qualität des unterrichtenden Personals die Intelligenzvoraussetzungen unserer Schüler, die Unterstützung der Schule durch die Eltern sowie deren Bildung und ihre Kultur." ( Jürgen Dollase in
bildungsklick.de/a/56023/die-lehrerausbildung-ist-in-einem-dekadenten-zustand/ ).
Wenn dies so ist, wäre in Hamburg nicht alles verloren:
"... mindestens genauso wichtig wie die Primarschule ist es, dass in der Sekundarstufe der Wirrwarr und das Chaos unterschiedlichster Schulformen aufgelöst werden. In Hamburg haben wir sechs Schulformen nebeneinander - die Hauptschule, die integrierte Haupt- und Realschule, die Realschule, die kooperative Gesamtschule, die integrierte Gesamtschule und das Gymnasium – wie sollen Eltern sich da zurechtfinden? Das wird jetzt abgelöst durch das Zweiwegemodell bis zum Abitur, nämlich eine Stadtteilschule, die nach 13 Jahren zum Abitur führt und das Gymnasium, das nach 12 Jahren zum Abitur führt. Das wird von niemandem in der Stadt infrage gestellt, weder von der Wirtschaft noch von den Gewerkschaften...".( Peter Daschner in bildungsklick.de/a/74430/die-hamburger-schulreform-wird-ein-erfolgsmodell/ )
Ganz schweres Geschütz wird hier aufgefahren, weil der große Lümmel nicht so will wie Herr Füller, die Politiker und die ganze Wissenschaft. Ball falch halten, Christian, davon geht die Welt nicht unter, man kann den armen Kindern auch auf anderem Wege Zugang zu den Bildungsinhalten deiner Schicht geben. Ich schlage als erstes vor, dass man die Hauptschullehrinnen und Hauptschullehrer und die Grundschullehreinnen genau so bezahlt wie Studienräte, dann die Klassengröße wirksam beschränkt und speziell für Migrantenminder geschulte Deutschlehrer ranschafft.....
Scheibenhonig, Jetzt wird man mir aus Mirgantenminder einen Freudschen drehen. Ich meine die Minds der M.
..."als Student so ähnlich argumentiert".
Ach was!
Und heute wird überhaupt nicht mehr argumentiert.
Ach nee!
Die Fragen klären sich alle in dem bisher Gesagten.
Deine ergänzenden Fragen sind nur blöde Anmache.
Den GRÜNEN und allen, die in Hamburg so wütend über den Volksentscheid sind, möchte ich empfehlen ihre Kinder auf die Hauptschule zu schicken. Da können sie für Chancengerchtigkeit sorgen, indem sie die Migrantenkinder erziehen, ihnen Deutsch beibringen usw.
Ich gebe Ihnen recht, mein Herr,Sie belegen, dass die Bildungsreformen tatsächlich nicht immer Erfolg haben.
Ich habe Verständnisprobleme beim Lesen dieses "luziden" Artikels.
Wenn es zwischen prospektiven Gymnasiasten und Nicht-Gymnasiasten in der 4. Grundschulklasse keine Leistungsunterschiede gibt, warum profitieren dann die potentiellen Nicht-Gymnasiasten von den potenitellen Gymnasiasten ? Wenn es nicht schlimm ist, "ein Pisa-Pünktchen" weniger zu lernen, warum ist es dann so wichtig, "ein Pisa-Pünktchen" mehr zu lernen ?
Wenn das Weltbild schon nicht ab und zu mit der Realität abgeglichen wird, sollte es doch wenigstens in sich konsistent sein.
Interessant ist, das die bürgerliche Elite ihren Kindern eine bessere Ausbildung gibt damit diese dann die immer größer werdende Zahl an HartzIV-, Sozialhilfeempfänger etc. zu unterstützen, sprich bezahlen.
Christian Füller bezeichnet den demokratischen Volksentscheid über das Hamburger Schulsystem als "Putsch der Eliten". Meines Erachtens bringt diese Formulierung eine unglaubliche Verachtung gegenüber dem Volkswillen zum Ausdruck. Wenn im kleinen Hamburg 276.000 Menschen (bei lediglich 1,3 Millionen Wahlberechtigten!) gegen die Verlängerung der Grundschule stimmen, kann man doch nicht von einem "Putsch der Eliten" sprechen. Ebenso absurd ist die Behauptung, den Bürgern fehle der Wille zu einer "demokratischen Schule". Ist nur die Einheitsschule demokratisch, auch wenn die große Mehrheit diese gerade nicht will? Herr Füller findet es weiterhin lächerlich, dass kritisch beleuchtet wird, ob die Einheitsschule oder das Gymnasium zu besseren Ergebnissen führt. Das ist jedoch genau die entscheidende Frage. Man kann doch nicht ernsthaft erwarten, dass sich Menschen für eine Reform begeistern, wenn nicht sicher ist, dass die Alternative zumindest keine Verschlechterung bringt. Besonders merkwürdig ist die Kritik, dass der Volksentscheid gegen den einstimmigen Beschluss des Hamburger Parlaments Erfolg hatte. Entscheidend in der Demokratie ist doch nicht, was sogenannte Volksvertreter für richtig halten, sondern was der Souverän, das Volk, für richtig hält. Wenn man demokratische Mehrheitsentscheidungen nicht respektieren möchte, dann gibt es nur folgende Konsequenz: "Das Volk hat das Vertrauen der Regierung verscherzt. Wäre es da nicht doch einfacher, die Regierung löste das Volk auf und wählte ein anderes?" (Bertolt Brecht)
Albrecht Hager
Danke für den Beitrag. Das leider schon befürchtete Ergebnis ist nun eingetreten. Und auf jedem Wahlplakat prankt jetzt ein "Danke" von Kinderhand gemalt. Diese Initiative "Volksinitiative" zu nennen, ist gelinde gesagt, eine Frechheit. Die von RA Scheuerl engagierte PR-Agentur hat zumindest ganze Arbeit geleistet. Auch interessant, dass die Homepage der "Volksinitiative" die "Initiative für neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) als hilfreiche Informationsquelle angepreist.
Ich hatte vor einigen Monaten einen zum Thema passenden Blogeintrag geschrieben, der sich -sagen wir mal- um das etwas eigenwillige Demokratie-Gebaren der "Volksinitiative" befasst.....
www.freitag.de/community/blogs/doris-brandt/spiel-nicht-mit-den-schmuddelkindern---volksinitiative-ohne-volk
Ist es demokratisch, für "Wir wollen lernen" arbeitende Studenten pro gesammelte Unterschrift für die "Volksinitiative" zu vergüten?
Interressant finde ich ich gerade bei dieser Streitfrage, wie deutlich sich zwei Hälften gegenseitig tod kommunizieren: Die Einen (nennen wir sie mal "Wir-haben-es-geschafft-Bürger) und die anderen (nennen wir sie mal linke Gutmenschen) haben eines dabei nicht bedacht. Es hilft niemandern mehr. Natürtlich könnt ihr eure Reden schwingen mit allerhand tollen Fremdwörtern schmücken, um auf eure akademische Ausbildung hinzuweisen, aber das hilft nicht den Kindern.
In meinen Augen haben alle Erwachsenen versagt, weil es geht um unser Schulsystem und nicht um Klassengesellschaften.
Das Schulsystem ist seit Jahrzehnten krank und niemand geht dafür auf die Strasse...frei nach dem Motto: "Ich hab es ja auch geschafft. Warum sollten die Kids von heute es nicht auch schaffen? Die müssen sich halt mehr anstrengen.
Schon der Versuch das Abitur zu verkürzen hätte doch allen zeigen müssen, wo der Weg hin geht. Es geht doch schon lange nicht mehr um Schule oder um die Kinder, die sie besuchen müssen. Es geht darum noch schneller und effizienter neue Steuerzahler zu erhalten.
Dass das Hamburger Bürgertum seine Besitzstandswahrung durchgezogen hat ohne Rücksicht auf Verluste, das mag einem übel aufstoßen. Aber im Grunde bin ich dankbar, denn nun hat diese Schicht mal endlich in der Öffentlichkeit ihr ugly face gezeigt. Die Konservativen sind doch schon immer Besitzstandsbewahrer gewesen. Das wird sich nicht ändern. Aber wenn der kleine "Jan-Hendrik dann eines Tages derbe in die Fresse kriegt vom bösen "Hasan", dann wird sich Mami im Strassencafe in HH-Eppendorf vielleicht mal fragen, warum diese Kids so agressiv sind und nicht wie ihr Jan-Hendrik so lieb und angepasst. Denn Hassan und der Hartz Vier-Junge Sven hatten von Anfang keine Chance und das wissen sie.
Es geht meiner Meinung danach, dass in diesem Land viele Menschen leben, die ein Problem mit Migranten und Sozialschwachen haben. Wir sind ein großes Volk von Spendern zur Winterzeit in den Fernseh-Spendengalas...aber hier im eigenen Land warten wir ab, bis die Schwachen eines Tages die Reichen überrennen werden. Und das wird passieren.
Übrigens bezeichnend finde ich auch, dass die meiste Eltern der Migrantenkinder gar nicht mit abstimmen durfte.
"Ohh Schland, du so gutes und faires Land. Hier du brauchen dir keine Gedanken machen um Zukunft in diese Land, wird für dich mitentschieden von wenige, kluge Menschen, die Macht haben! Ohh Schland"
Der Artikel trifft den Nagel auf den Kopf. Ein weiteres Armutszeugnis ist es, dass, neben dem verfassungsgemäßen Missbrauch demokratischer Mittel, die Mehrheit der Leute um die es bei diesem Bürgerentscheid ging von vornherein von der Teilnahme an diesem ausgeschlossen waren - aus einem einfachen Grund: sie können kein Deutsch. Die Hamburger Eliten haben nun dafür gesorgt, dass dies auf unabsehbare Zeit auch so bleibt. Unfassbar.
Hm, Herr Füller, da hat man schon das ganze neolibbe Konzept in der Tasche, das die Mittelschichten, die oberen besonders, so leicht wuppen würden, kommt's ihren Interessen, ihren höheren doch so besonders entgegen, und nun das!
Wie wäre es damit, die Grüne Ecke der Politik würde mal in Klausur gehen und so insgeheim für sich die Frage aufwerfen, ob ihr schönes neolibbes Konzept von denen, die es aufschreiben, nur für das Volk und die anderen Beschäftigten gemeint ist, nicht jedoch für sie selbst und ihren Anhang?
Und sie deshalb ständig auf die falsche Trommel geklopft haben? Sie müssen dann ja auch nicht weiter erzählen, was sie ihnen dann in der Klausur so alles aufgefallen ist, sonst noch... Dieses hier reichte ja schon.
Herr Füller hat sich njicht damit befasst, wo überall die Primarschule abgelehnt wurde. In allen Stadtteilen und insbesondere auch in den Arbeiter- und Migrantenwohngegenden.
Was treibt Herrn Füller zu diesen Hasstiraden auf das - positiv verstanden - Bildungsbürgertum? Bei "Hart aber fair" musste er kleinlaut eingestehen, dass er selbst den Stadtteil gewechselt hat, um seine Kinder in Schulen mit niedrigem Migrantenanteil einschulen zu können: www.youtube.com/watch?v=fVnh-6pySWM=related (ab Filmminute 01:56) . Wie glaubwürdig ist das?
Gerade Familien aus einfachen Verhältnissen haben mit dem Gymnasium ab Klasse 5 optimale Förderchancen für ihr Kind - kostenlos (ohne Privatschule)! Wieso meint Herr Füller, die Ablehnung der Primarschulen hätte etwas mit "Eliten"-Dünkel zu tun?
1) Erstens habe ich das bei "Hart aber fair" nicht etwa kleinlaut zugegeben, sondern im Vorgespräch mit Frank Plasberg das Thema selbst aufgebracht. Ich stehe dazu, sonst hätte ich es nicht vor 2,4 Millionen Zuschauern im TV diskutiert, Sie Superenthüller.
2) Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass SIE die Auflösung und Verbesserung von Ghettoschulen POLITISCH verhindern, und ich dann meine Kinder in 100prozentige Zuwandererklassen schicken soll! Gehts noch? Mein Satz lautet: "Ich möchte nicht, dass mein Kind der einzige native speaker in seiner Klasse ist". Zu diesem Satz stehe so uneingeschränkt wie dazu, dass wir die Unterschichtsfabriken unter unseren Schulen endlich auflösen müssen.
3) Ich bin übrigens nicht deswegen aus dem Wedding weggezogen, sondern aus privaten Gründen, die nichts mit Schule, Migration oder Bildungsarmut zu tun haben.
1: In den hamburgischen Kleine-Leute-Gegenden sind die kleinen Leute nicht zur Abstimmung gegangen. Da kann man viel drüber spekulieren, warum nicht. Aber das womöglich gar 50% der Abstimmungsberechtigten gegen die Primarschule gewesen seien, das ist wohl eine kühne Behauptung.
2: Ich find immer, man sollte mit persönlichen Anwürfen denn doch sehr zurückhaltend sein. Was Füller privat und persönlich macht, gehört hier nicht her. Nur, was er schreibt, sollte hier von Interesse sein. Nicht, dass ich alles schätzte, was er schreibt, da ist kann auch recht kenntnisarmes Zeugs bei, wie hier www.freitag.de/positionen/0935-landtagswahl-bildung-bildungswesen, aber auch da sollte man sich auf den Text beschränken.