Das konnten die Professoren ja nicht ahnen. Während eine Handvoll renommierter Juristen im Anhörungssaal des Bundestages ständig das V-Wort bemühte (V wie verfassungswidrig!), versteckte die Regierung ihren Entwurf zum Staatstrojaner als unscheinbare Änderung in einem anderen Gesetz. So passierte, was nicht hätte geschehen dürfen: Das Spähwerkzeug für Smartphones, das mancher als den weitgehendsten Eingriff in die Grundrechte in der Geschichte der Bundesrepublik bezeichnet, wurde fast geräuschlos verabschiedet. Aber das vergleichsweise harmlose und von vielen als Pilot gegen Hassrede und Volksverhetzung angesehene Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) verursachte eine kakofonische, ja hysterische Debatte.
Bei Angela Merkel wird gern die asymmetrische Demobilisierung kritisiert. Die Jura-Professoren, die gegen das NetzDG anrannten, fielen indes auf eine asymmetrische Mobilisierung herein. Heiko Maas stachelte sie mit seinem NetzDG zu lautem Protest an – und sein Kollege Thomas de Maizière winkte dahinter den Staatstrojaner durch. Die Professoren beschwerten sich darüber, dass Maas die Meinungsfreiheit (Artikel 5) einschränke, weil er von Facebook und anderen sozialen Netzwerken fordert, dass die Konzerne Hassreden binnen 24 Stunden aus den Kommentarspalten entfernen.
Dabei zielt Maas in erster Linie auf Artikel 1 des Grundgesetzes – die Menschenwürde. Er will, dass auch in Nutzerprofilen und Kommentarspalten, die Facebook zur Verfügung stellt, die Menschenwürde erhalten bleibt. Was in vielen Fällen nicht klappt. Es dauert lange, bis die Moderatoren von Facebook, Twitter oder Youtube Beschimpfungen, Beleidigungen und Volksverhetzungen löschen. Keine Online-Plattform eines Zeitungsverlags, kein Redakteur und auch kein Blogger könnte es sich leisten, auf seinen Seiten stehen zu lassen, was bei Facebook quasi zum Alltag gehört.
Die Moderatoren des Zuckerberg-Imperiums haben indes ein sehr feines Gespür, wann sie reinigend eingreifen. Als Jugendschutznet dem Konzern 540 schwere Volksverhetzungen in Facebook-Posts jeweils anonym meldete, löschte Facebook nur 39 Prozent davon. Als Jugendschutznet dieselben schweren Verstöße als Jugendschutz-Organisation meldete, löschten Facebooks Tatortreiniger 90 Prozent der Hassreden.
Facebook wird künftig wohl anders mit Hasspostings umgehen müssen. Zwar zwangen die Netzlobbyisten in der CDU- und SPD-Fraktion Heiko Maas dazu, seinen Entwurf zu entschärfen (Facebook soll sich zum Beispiel 48 Stunden Zeit lassen können, um Hassreden zu löschen), aber die Arbeitsgrundlage des Konzerns hat sich geändert. Künftig muss es in Deutschland auch bei Facebook einen Beauftragten geben, der mit seinem Namen dafür steht, dass die Reinigungsarbeit auch funktioniert. Blogger kennen diese Anforderung schon lange. Gut, dass sie endlich auch für die mächtigste meinungsmachende Maschine des Planeten gilt.
Anmerkung: in einer früheren Version war von 574 Volksverhetzungen die Rede
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