Zum Beispiel Mustafa. Der Junge ist zwölf Jahre alt, und wenn er redet, muss man sehr gut aufpassen. Denn er ist schnell. Für Integration sei die Schule hier die richtige, fachsimpelt der Knirps. Klar möchte man gleich bei den deutschen Schülern mitmachen. Aber erst brauche man ein bisschen Deutsch. Inzwischen ist er aus der Einsteigerklasse raus und in seiner Regelklasse angekommen. Jetzt kann Mustafa Gas geben. Was er mal werden will? „Professor, das wäre cool.“
Wenn die Leiterin der Gesamtschule Saarn in Mülheim Mustafa sieht, dann glänzen ihre Augen. Für Gerhild Brinkmann ist er ein Beweis dafür, wie mühelos aus einem chancenlosen Flüchtlingsjungen ein Bildungsaufsteiger mit höchsten Ansprüchen werden kann. Vor zwei Jahren kam er aus Syrien, inzwischen kann Mustafa Deutsch, in Windeseile hat er es gelernt.
Die Schulen in Deutschland waren im vergangenen Jahr ein großes Vorbild dafür, wie man mit Flüchtlingen gut umgehen kann. Es fehlte zwar hinten und vorne an ausgebildeten Lehrern für Deutsch als Fremd- oder Zweitsprache. Aber die meisten Schulgemeinden reagierten unkompliziert. Sie organisierten Helfer aus der eigenen Elternschaft, stellten eigene Integrationsklassen auf und fädelten die Kinder ein, sobald sie genügend Deutsch konnten. Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit hat sich so ein erstes kleines Flüchtlingswunder an den Schulen vollzogen. Aber die Zahlen der Flüchtlingskinder vervielfachen sich gerade. Beispiel Bayern: Vergangenes Schuljahr begannen die Schulen mit 250 Übergangsklassen, nun sind es 471, in denen Kinder unterrichtet werden, die kein Deutsch sprechen.
Es fehlen 11.000 Lehrer
Eine Umfrage der Agentur Reuters zeigt, dass rechnerisch über 11.000 neue Lehrer gebraucht würden, wollte man die schulpflichtigen Flüchtlinge adäquat unterrichten. Die Zahl der geplanten Neueinstellungen in den Ländern liegt derzeit bei nur 3.000 Pädagogen. Zudem gibt es massive Klagen aus den Aufnahmeklassen. Da nämlich heißt es, dass die Deutschlehrer oft sehr schlecht bezahlt sind. Sie bekommen oft nur um die 2.000 Euro, normale Lehrer aber zwischen 3.200 und 6.200 Euro.
Was Schule bei Flüchtlingen leisten soll, ist von außen leicht gesagt: Deutsch lehren, am besten vom ersten Tag an. Aber innen sieht die Sache ein bisschen komplizierter aus. Viele Kinder sind noch nicht alphabetisiert. „Wenn die Kinder wegen des Krieges nicht Arabisch lesen und schreiben gelernt haben, dann fällt ihnen das Deutschlernen noch schwerer“, sagt eine syrische Lehrerin, die in Saarn mitarbeitet.
In der Gesamtschule Saarn sitzt eine Lerngruppe zusammen. Die Schüler kommen aus allen möglichen Ländern, aus Ägypten, Syrien, dem Irak, es sind Roma aus Serbien und anderen Balkanländern dabei. Es wird viel mit Piktogrammen gearbeitet, weil noch nicht sehr viel Deutsch da ist. Eine syrische Mutter hilft mit, und wenn sie anfängt zu erzählen, was sie in der Stadt Jarmuk alles erlebt hat, dann werden alle Erwachsenen still. Es wird deutlich, wie schnell man überfordert sein kann.
So schön Erfolgsgeschichten wie die von Mustafa klingen, die Überforderung ist mit Händen zu greifen. Alle machen einen großen Bogen um die Gruppe von Flüchtlingen, die Furchtbares erlebt haben, die auf der Flucht Eltern oder Geschwister verloren haben. Wer in Schulen geht, sieht das Spiegelbild einer Gesellschaft, die bereit ist, die Arme zu öffnen: Die Menschen gehen voran, die Politik trottet hinterher. Sogar die sonst so allgegenwärtigen Stiftungen sind platt. Die Vodafone-Stiftung etwa zeichnet jedes Jahr die besten Lehrer aus – auf die Idee, ein Blitz-Fortbildungsprogramm für Deutschlehrer aufzulegen, ist keiner gekommen. „Wir sind mitten in der Konzeptionsphase“, sagt ein Sprecher, „aber darüber haben wir noch gar nicht nachgedacht.“ Beim Marktführer in Sachen Bildung, der Bosch-Stiftung, wird nach guten Beispielen gesucht. Zu diesem Zweck sollen sich im November Praktiker aus Deutschland in der neu gegründeten Deutschen Schulakademie austauschen. Programm: Gibt es noch keines.
Auf den Weg gemacht haben sich kleine Organisationen, die sich mit Migrationspädagogik schon beschäftigten, als nur 200.000 Flüchtlinge erwartet wurden und nicht, wie jetzt, 800.000. Teach First zum Beispiel, eine Organisation, die sogenannte Fellows als Lehrer in Schulen entsendet. Lange taten sich Schulen schwer, Teach- First-Leute einzustellen – seit es Flüchtlingsklassen gibt, werden sie plötzlich stark nachgefragt. Bald bietet Teach First einen vierwöchigen Kurs für Lehrer an, die in Integrationsklassen unterrichten sollen. Geschäftsführer Ulf Matysiak kritisiert den verbreiteten Ansatz. „Die Schüler sollen halt gut genug Deutsch können“, nennt er das bisherige Ziel. „Dabei ist, bei Kindern wie bei Teenagern, der soziale Aspekt von Integration das Entscheidende.“ Aber dafür gibt es kein Geld. Matysiak versteht nicht, wieso es noch kein großes Schulprogramm für Flüchtlinge gibt. Wer verhindern will, dass die zigtausend hereinkommenden Schüler zu den tausenden Benachteiligten im Land hinzukommen, der müsse jetzt viel Geld in die Hand nehmen. Dann ist die Zuwanderung eine Chance, um die deutsche Gerechtigkeitslücke an der Schule zu schließen – und nicht neu aufzureißen.
Guckt man sich die Verhandlungen auf politischer Ebene an, dann muss man Matysiak Recht geben. Sechs Milliarden Euro hat die Große Koalition beschlossen, um die Flüchtlingskrise zu meistern. Ab 2016 soll das Geld fließen, drei Milliarden sollen an die Länder gehen. Selbstverständlich spielt Deutschlernen eine Rolle in dem Beschluss. Aber die Orte, die das möglich machen können, werden ausgespart. Von den sechs Milliarden gibt es für die Schulen bislang keinen Cent. Die Bildungsministerin von NRW, Sylvia Löhrmann, sagt: „Flüchtlinge in der Schule sind eine nationale Aufgabe.“ Das könnten die Länder alleine nicht stemmen. „NRW fordert grundsätzlich strukturelle Entlastung. Das bedeutet eine Pauschale pro Flüchtling. Alles andere wird der Entwicklung nicht gerecht.“
Kein Geld für Psychologen
„Besonders die Kinder und Jugendlichen aus den Kriegsgebieten wie Syrien, Afghanistan, Irak, die oft schwierigste Fluchtgeschichten hinter sich haben und traumatisiert sein können, erfordern intensive pädagogische Aufmerksamkeit“, schreibt die Expertin des Kultusministeriums Niedersachsen, Claudia Schanz. Doch genau für diese Fälle sind die Schulen am wenigsten gerüstet. Es gibt dafür keine zusätzlichen Mittel und kein neues Personal. Alle angefragten Bundesländer verweisen auf den schulpsychologischen Dienst – der einer der am schlechtesten ausgestatteten Fachbereiche überhaupt ist. Ein Schulpsychologe ist, je nach Bundesland, für bis zu 26.000 Schüler zuständig. Wie gehen Schulen dann mit Traumata um? „Wir sind da sehr vorsichtig“, sagte die pädagogische Leiterin der Gesamtschule Saarn. „Wenn wir merken, dass ein Kind traumatisiert ist, dann können wir als Schule nichts machen.“
Mustafa geht es gut. Wahrscheinlich auch deshalb, weil seine Eltern rechtzeitig geflohen sind. Sie kamen aus Al-Hasaka im Norden Syriens. Um die Stadt wird gerade wieder gekämpft, der Islamische Staat versucht die Reste der syrischen Armee und kurdische Einheiten dort zu besiegen. Um den Willen der Verteidiger Al-Hasakas zu brechen, haben sie einen der Kurden-Kommandeure enthauptet. Die Bilder von dort sind abscheulich. Hoffentlich kommt Mustafa nicht auf die Idee, seinen Geburtsort mal zu googeln.
Kommentare 7
Es fehlen LehrerInnen, Fachkräfte und BerufsausbilderInnen! Die Arbeit mit Fluchtopfern, Erwachsenen und Kindern, darf nicht zur bundes-staatlichen Billig-Ausbeutung und zum psychischen Verheizen von (bereits) Erwerbslosen und Fachkräften führen!
Die Beschäftigungs-Therapie der Sozialträger für Migranten ist unter aller Kanone!
Zum Beispiel, kein unmittelbares Schulprojekt, aber für junge Erwachsene:
Als älterer Handwerksmeister bekam ich ein 'Scheinangebot' vom Jobcenter Berlin Tempelhof -- für eine Stelle als Meister -- für die Betreuung und Beschäftigung von Migranten in Berlin-Weißensee (Tischlereibetrieb). Vor Ort wurde mir ein Abstellraum, eine größere Garage, als vorgesehener Gruppen-Arbeitsplatz gezeigt. Hier gab es keinerlei Vorbereitung: keine Ausstattung, keine Werkbänke, kein Werkzeug. Die Fenster befanden sich über Kopfhöhe, also, ohne Blick nach Außen. Es war ein Arbeitsplatz wie in einer Haftanstalt.
Zugleich erklärte man mir, vor Ort, hier sollten möglichst -- nach der Kopfzahl -- viele Migranten über den Tag und die Woche beschäftigt werden.
Meine berechtigte Vermutung: Für dieses Beschäftigungs-Projekt gab es offensichtlich eine Kopfpauschale für den Berliner Sozialträger, egal ob die Menschen [ebenso wie der neue Mitarbeiter] wie Tiere gehalten werden!
Gewiss, auch diese Wahrheit würden der Sozialträger und das (staatliche) Beamten-Jobcenter erfolgreich und medial leugnen. Zugleich war die Bezahlung für die Fachkraft -- bei dieser Knochenarbeit -- wohl auch unter aller Kanone.
Anm.: So erlebte ich bereits schon vor Einführung des gesetzlichen Mini-Mindestlohns, ein Angebot für die Tätigkeit als Meister und Projektleiter, ein Mini-Lohnangebot der Arbeitsagentur Berlin-Tempelhof (2006) von nur 7,35 Euro-Std. brutto (ca. 30 % vom Tariflohn), -- für Vollzeitarbeit (40-Std.Wo.), zuzüglich: die tägliche (unbezahlte) An- und Rückfahrt-Zeit von ca. 2,5-3,0 Std.
Die notwendige Finanzierung darf nicht durch die Kürzung sozialer Leistungen und auch nicht über die Kürzung der Arbeitslöhne erfolgen! // Die Wohlhabenden und Vermögenden müssen ihre privaten Kassen öffnen! Dies wäre die Aufgabe der Politik! (?)
Die Flüchtlinge sind vor allem Opfer einer imperialistischen Wirtschaftspolitik, Geo-Politik und Militärpolitik. Das Kernproblem ist die weltweit bestehende kapitalistisch-imperialistische Gesellschaftsformation. Die kapitalistische Gesellschaftsordnung bedarf ihrer Überwindung und Aufhebung! Einen anderen Weg gibt es nicht für die Lösung sozial-ökonomisch-ökologischer Gesellschaftsprobleme. Auch nicht für die Überwindung der differenzierten Gründe der weltweiten Fluchtbewegungen.
Sehr gut! Danke! So ist es! Brzezinski-Doktrin! Final count down. Doch, den "neuen Menschen" gibt es bis heute (noch) nicht. Weder vor 2000 Jahren Jesus, noch Lenin, noch Mao, noch Mahatma Gandhi, noch Fidel Castro, noch Martin Luther King, noch Salvadore Allende, noch Dutschke, noch die RAF, noch Petra Kelly...und und und Die Hoffnung stirbt zuletzt!
Wissen ist Macht! Bildung bitte entsprechend placieren! In Deutschland sind 20% der Schulabgänger "bildungsunfähig". Was wollen sie denn da den Flüchtlingen beibringen, bitte? Ein Schulsystem, das den Eliten nutzt, sie produziert, hat kein Interesse daran etwas zu ändern. Das deutsche Bildungssystem ist eine Heilige Kuh. Dreigliedrig, auf Selektion getrimmt, immun gegen alle echten Reformen. Ab und zu muss man eben mal durch ein Tiefes Tal, Odenwaldschule, doch das geht auch wieder vorbei. Durchhalten dann eben in Salem. Es gibt nichts innovationsfeindlicheres als Schule. Und genau diese hat uns doch zum Exportweltmeister gemacht! Eine Erfolgsstory! Ranking Platz 4 in der WettbewerbsHorrorwelt, nach Schweiz, Singapore und USA. Was wollt ihr denn, ihr Affen?
Entsprechend dieser Analyse wird jeder kritische Denkansatz nicht nach richtig oder falsch geprüft, sondern nach rechts u. links sortiert und verleumdet: Links, anti-, falsch, gefährlich, das war immer so, das kann man nicht ändern, böser Humanismus (feige versteckt) das heißt dann "linke Spinner"!
Regligiöse u. politische Verseuchung ist im Namen der politischen Korrektness "Die Freiheit, die sIE meinen" und das Ziel ihrer Bomben.
Uns bietet man ungeniert die Musterbeispiele, USA, Kuba, Ukraine, Griechenland, EU. Die Medien helfen nicht sehr zum Durckblick der Fakten, sie helfen eher mit der Tünche der politischen Korrektness, bie zum Abwinken.
Das erfordert eine ehrliche Ursachenanalyse für die "andere" Politik. Die Menschen werden von Not, Elend und Gewalt vertrieben. Was lügt man uns vor? Es kommt nicht die Oberschicht der Reichen mit diesen Elendsschiffen, sie haben ein ordentlich bezahltes Ticket in das Land ihrer Ansprüche. Es sind die Ärmsten, die diesen Höllentripp der Flucht auf sich nehmen.
Aber das ist dann linke böse Kritik. Dagegen hilft vorrangig das Totschweigen der Friedensforschung und der Gesellschaftspolitischen Analysen der bösen Humanisten. Nicht nur der politischen, sondern auch der gewerkschaftlichen u. christlichen. In der tiefsten Not rüsten unsere Politiker blindwütig auf. Weiter Atomsprengköpfe nimmt unserer Regierung widerspruchlos hin? Wann und wo waren Bomben die Schwestern der Humanität? NATO-Erweiterung?
Einfache Lösung gegen Lehrermangel:
Alle Lehrer in die Schule - ganztägig, ganzjährig
wie andere Beamte und Angestellte auch