Für die Alternative für Deutschland ist gerade Erntezeit. Der Austritt Griechenlands aus der Eurozone steht unmittelbar bevor. Vieles, was die Partei der Euro- und Parteienskeptiker seit 2013 mantraartig herunterbetet, ist jeden Abend Thema in den Nachrichten, an Stammtischen – und wird auch von anderen Parteien gesagt.
Aber für den Untergang des Euro interessiert sich gerade niemand im Zusammenhang mit der AfD. Das Interesse richtet sich nur auf den möglichen Untergang der AfD selbst. Bei einem sogenannten Mitgliederparteitag, zu dem sich fast 4.000 Parteimitglieder nach Essen angemeldet haben, soll am Wochenende der Flügelkampf zwischen Nationalkonservativen und Nationalliberalen geschlagen werden. Der liberale Bernd Lucke und die rechtsgerichtete Frauke Petry gehen in eine Kampfabstimmung um den Parteivorsitz. „Das wird ein Hauen und Stechen“, sagt ein Parteifunktionär voraus, „danach schütteln sich alle – und schauen, ob es überhaupt weitergehen kann.“ Das Problem der AfD ist die Heftigkeit, mit der sich die beiden Kontrahenten und auch die beiden Flügel zerstritten haben.
Koffertragen in Athen
Im Vorstand bekriegt man sich via Schiedsgericht und einstweiliger Verfügung. Inhaltlich ist die Partei eine Lachnummer. Frauke Petry fuhr nach Athen, eine Reise, die so schlecht organisiert war, dass die vermeintliche Top-Politikerin teils ihre Koffer von Termin zu Termin schleppen musste. Lucke machte sich derweil von Berlin aus über seine Kontrahentin lustig. Zugleich eröffnete er den innerparteilichen Wahlkampf mit Signalen an beide Flügel: Er nannte sich einerseits emphatisch einen Konservativen – und schlug gleichzeitig einen homosexuellen Zuwanderer als Generalsekretär vor. Eine Provokation für die Rechten – und ein Lackmustest, wie rechtskonservativ die Partei denkt. Es ist schwer vorstellbar, dass Lucke und Petry nach der Wahlentscheidung in Essen so tun können, als sei nichts gewesen. „Wenn Lucke verliert, wird er die Partei verlassen. Wenn Petry gewinnt, wird sie weiter mitarbeiten“, so die Einschätzung des AfD-Mannes.
Der Mann ist Lehrer, er hat viel Zeit in die AfD gesteckt. Bisher agierte er nie anonym, sondern war ganz froh, halbwegs offen über sein Parteiengagement sprechen zu können. Nun möchte er lieber anonym bleiben. Denn die Gefahr besteht, dass er bald wieder einer Schmuddelpartei angehört. „Mit diesen Leuten will man ja nichts zu tun haben“, sagt er und meint beispielsweise Björn Höcke aus Thüringen, den Fraktionschef im Landtag. Höcke hatte eine rechte „Erfurter Resolution“ verabschiedet. Zudem sagte er, nicht jedes NPD-Mitglied sei gleich als extremistisch abzulehnen. Diese rhetorische Öffnung nach ganz rechtsaußen war der Beginn der bevorstehenden Spaltung. Nun fühlte sich Lucke genötigt, dagegenzuhalten – was ihm selbst seine Sympathisanten übel nehmen. „Ich habe gesagt, Bernd, halt die Füße still. Du hast doch eine Zweidrittelmehrheit für den alleinigen Parteivorsitz“, sagt der anonyme Funktionär. Aber Lucke hielt nicht still. Nun wird ihm sein Weckruf 2015 gegen rechts außen als Spaltung ausgelegt.
Dabei kann kaum ein AfDler, mit dem man spricht, etwas mit Höcke anfangen. Das beste, was etwa der Berliner Schatzmeister Frank-Christian Hansel über den Thüringer sagt, lautet: „Einen Höcke muss man sich auch leisten dürfen.“ Mehr aber sollten es nicht werden. Auf keinen Fall. Björn Höcke hat kein Problem, der Blauen Narzisse Interviews zu geben – ein Medium, das weit nach rechts strahlt. Höcke war dort bereit, sich intensiv über Identität befragen zu lassen. Das Identitäre ist ein neuer Code der Rechten, die Identitäre Bewegung ist eine rechtslastige Gruppe, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Der schreibt ihr „völkischen Nationalismus“ und „verfassungsfeindliche Bestrebungen“ zu. Der Thüringer AfD-Fraktionschef sieht die Identitären dagegen positiv: Das seien junge Leute, sagte er dem TV-Magazin Monitor, „die sich Sorgen machen um eine unkontrollierte Einwanderung... und dann einfach auch den Diskurs über diese Thematik, ohne Tabus, ideologiefrei, sachlich und mit offenem Ausgang führen wollen“.
Leute wie Höcke sind der Schrecken der AfDler, die stolz darauf waren, eine konservative Partei auf die Beine gestellt zu haben, die sich der Einströmungen von ganz rechts erwehrte – und dennoch in Europaparlament und Landtage einzog. Ausgerechnet aber in dem Moment, wo die politische Alltagsarbeit begonnen habe, heißt es, lasse der Richtungsstreit in der AfD die Barrieren nach rechts wieder aufbrechen. „In der Dynamik unserer jungen Partei könnte es aber sein, dass wir bald ganz scharf rechts abbiegen“, sagte der Landeschef von Baden-Württemberg, Bernd Kölmel, in einem Streitgespräch in der FAZ.
Aufgeheizte Stimmung
Kölmel war Polizist, später Ministerialrat, er ist einer jener CDU-Konservativen, denen die CDU zu weit in die Mitte gerutscht ist und der nun glaubte, in der AfD ein Zuhause gefunden zu haben. Damit ist es schon wieder vorbei – das zeigte ihm eine andere Parteikoryphäe, Alexander Gauland, in aller Deutlichkeit in dem Streit. Abgrenzungen nach rechts seien unnötig, so der Brandenburger AfD-Chef Gauland unverblümt, weil da vor allem Idioten unterwegs seien. Populistische Themen wie den Streit um Asylbewerberheime dürfe man sich eben nicht nehmen lassen: „Wer eine bestimmte Idee denkt, ist nicht schuld daran, dass sie von anderen, die überhaupt nicht denken, missbraucht wird.“ Während Gauland aber sehr entspannt nach rechts blickt, schlägt er bei seinem Parteifreund Lucke völlig andere Töne an: Wenn eine Seite die andere rausdränge, „dann kann es ein Kampf bis aufs Messer werden“.
Diesen Kampf befürchten für Samstag viele. Allein die Tatsache, dass in aufgeheizter Stimmung schwer berechenbares Fußvolk zu Tausenden nach Essen strömt, macht die Funktionäre nervös. Berlins AfD hat deswegen vorgeschlagen, einen renommierten Versammlungsleiter von außen zu holen. Nur ein Neutraler könne verhindern, dass es zu einer Geschäftsordnungs- und Beleidigungsschlacht komme. Freilich hat der Vorstand der Bundespartei den Blauhelmvorschlag abgelehnt. Dort ist man so zerstritten, dass schon die Wahl eines Versammlungsleiters als ein wichtiger Vorkriegsschauplatz angesehen wird.
Sie können nicht ohne einander. Aber auch nicht mehr miteinander. Das haben Lucke, Petry und Gauland ultimativ erklärt. In Essen streiten sie um eine Partei, von der sie jeweils glauben, dass es die ihre ist.
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