Die Rede eines Horst Seehofer anzuhören und anzusehen, ist schon für den politischen Beobachter eine Tortur. Was aber müssen sich erst normale Menschen denken, die nicht in der Berliner Politik- und Medien-Blase und ihrer wattierten Winkelzugsprache zuhause sind? Von einem Mann, der vor 1.000 Zuhörern in ein glucksendes Lachatmen verfällt – über seine eigenen Witze, oder jedenfalls das, was er selbst für witzig hält.
Bei jedem Abendessen mit halbwegs gesitteten Leuten würde eine solche tragikkomische Figur dem Spott oder, schlimmer, der Nichtbeachtung preisgegeben. Aber der Medienbetrieb kann das nicht tun, immerhin ist Seehofer nun mal Regierungs- und Parteichef. Der Lenker des wichtigsten und im Ausland prominentesten Bundeslandes trägt seine Grobheiten mit gespielter Lässigkeit vor. Seehofer beherrscht ohne Zweifel die Kunst der Pause – aber nach den Aufmerksamkeit heischenden Leerstellen seiner Rede kommen häufig Banalitäten. Etwa wenn sich Seehofer nach einer Kunstpause bei allen Bundesministern in Berlin bedankt. Als würde ihnen, denen er permanent das Leben schwer macht, sein Dank helfen.
Kniggesche Grundregeln
Um mit dem Einfachsten zu beginnen, fehlt Horst Seehofer das simple Gefühl für Anstand. Nicht im Sinne eines diplomatischen Protokolls oder abstrahierter Kniggescher Regeln. Einfach menschlicher Anstand, Umgang mit Menschen. Seehofer hatte Angela Merkel beim CSU-Parteitag in München auf eine Weise herabgewürdigt, dass man es ihr hoch anrechnen musste, vor Hunderten Delegierten nicht schlicht von der Bühne zu gehen – und den Beleidiger allein mit seinem CSU-Volk zurück zu lassen.
"Ein Tollpatsch, der Angela Merkel keinen Blumenstrauß überreichen kann, ohne eine unmögliche Situation herauf zu beschwören"
Nicht, weil Seehofer als grober Klotz und Abkanzler es nicht verdient gehabt hätte, stehen gelassen zu werden. Nein, ein abrupter Abgang Merkels hätte eine Krise zwischen CDU und CSU ausgelöst – und also eine Regierungskrise. Und das nur, weil Seehofer, der Tollpatsch, einer Frau keinen Blumenstrauß überreichen kann, ohne eine für alle Beteiligten unmögliche Situation herauf zu beschwören.
Eine Woche später, beim CDU-Parteitag in Karlsruhe, bekam Seehofer 30 Minuten Redezeit. Bei ihm aber war nicht der Anflug von Demut oder eine Geste der Entschuldigung erkennbar, ein „Tut-mir-leid“ war ohnehin nicht zu erwarten gewesen. Seehofer kaperte das Rednerpult und gab es 50 Minuten nicht mehr her – um die Schwesterpartei zu belehren.
Donaldisierung der Politik
Horst Seehofer tritt inzwischen auf wie Donald Trump. Er betreibt die Donaldisierung deutscher Politik, ein wenig abgeschwächt nur durch den Dimmfilter grundsätzlich anderer politischer Umgangsformen in Deutschland. Bislang war es der FDP vorbehalten, etwa mit Jürgen Möllemann oder zweitweise auch Guido Westerwelle Politiker ernsthaft auf Listen, Parteiposten und Ministerämtern auftauchen zu lassen, die wie Clowns auftreten, Marktschreier oder Staubsaugerverkäufer, jedenfalls Figuren, denen man per se keinen Glauben schenken mag. Seehofer führt diese Reihe nun in die Union fort. Seine Reden in einer Schulklasse analysieren zu lassen, wäre kein Gewinn für die politische Bildung. Bei der genaueren Betrachtung würden die Schüler merken, dass die wichtigsten Stilmittel des CSU-Chefs Schleimerei und Hinterfotzigkeit sind. Sie würden Seehofer als bayerischen Trump entlarven, jede weitere Stunde über Verfassung und Politikeransehen erübrigte sich.
Längst kommt Seehofer an die Derbheiten Trumps heran. Seiner eigenen CSU-Landesgruppenchefin im Deutschen Bundestag, Gerda Hasselfeldt, kredenzte Seehofer von der CDU-Parteitagsbühne herunter, „dass es mit dem Volker einfacher ist“. Gemeint war Volker Kauder, der Fraktionschef der CDU/CSU im Bundestag. Dazu muss man wissen, dass die CSU-Frau Hasselfeldt Kauder im Binnenverhältnis der Union formal gleich gestellt ist. Seehofers Spitze bedeutet also, dass er seine wichtigste Ansprechpartnerin in Berlin vor den Augen derer, bei denen sie – zum Teil unmögliche – CSU-Positionen durchsetzen muss, als komplizierte Zicke bloßstellt. Ein Affront, der auch dadurch kein bisschen besser wird, dass der Redner seinen Ausfall gegen Hasselfeldt mit ihrer Herkunft wett zu machen suchte. Die Gerda ist aus Niederbayern, sagte Horst Seehofer vor Hunderten von Norddeutschen, für die schon Bayern Hinterwäldler sind. Niederbayern – das sollte dann wohl heißen: Das Zickenhafte ist ihr angeboren.
Frauenverachtende Sprüche
Solche frauenverachtenden Sprüche durch einen Spitzenpolitiker hörte man in dieser Zurschaustellung zuletzt von Donald Trump. Mit dem Sprücheklopfer aus New York hat Seehofer auch gemein, dass er vermeintliche Wahrheiten unbedingt ausspricht, weil ein Politiker nunmal die Sprache des Volkes können müsse. Trump zieht über Mexikaner, Muslime und überhaupt jeden her, mit dem er Schlagzeilen machen kann.
Seehofers Wahrheit nun besteht darin, zu vermerken, dass es bei Flüchtlingen eine Obergrenze geben müsse. Nur wenn man dies beachte, bleibe man vor den Bürgern glaubwürdig. Wahrheiten auszusprechen ist richtig – und zugleich falsch. Bei fundamentalen Themen wie der Würde des Menschen kann es jedenfalls nie die Aufgabe des Politikers sein, Ängste vor oder Stimmungen gegen Minderheiten und Fremde anzufachen. Das gilt umso mehr in einer Atmosphäre, in der alle paar Stunden ein Flüchtlingsheim in Flammen aufgeht. Seehofer sieht das ganz anders. Er lud sogar den derzeit schlimmsten Fremdenhetzer in Europa, Viktor Orbán, nach Bayern ein. Angeblich, um sich mit ihm zu beraten, tatsächlich aber um Orban auf deutschem Boden eine Bühne zu verschaffen, damit dieser besser gegen Angela Merkel stänkern konnte. So etwas wäre wahrscheinlich nicht einmal in Amerika möglich gewesen: Einen ausländischen Gast zum Bloßstellen des Regierungschefs einzuladen.
Die CDU übrigens hat Seehofer elegant gezeigt, wie sie zu ihm steht. Sie hat ihn nicht blamiert. Die Delegierten spendeten Seehofer für seine Weisheiten Höflichkeitsapplaus. Als er aber Angela Merkel positiv erwähnte, applaudierten sie anhaltend – um seine Rede zu unterbrechen und ihm einen Moment zum Innehalten zu geben
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