Wenn Sahra Wagenknecht mediale Aufregung produzieren will, dann geht das ganz einfach. Sie gibt ein Interview, in dem sie Sätze sagt, die man in der Regel nur von der AfD hört. Diesmal machte es die Fraktionschefin der Linken im Bundestag mit dem Stern – und die Republik schnappatmete sofort. Die Kanzlerin trage für die Toten vom Breitscheidplatz Mitverantwortung, erklärte Wagenknecht. Die „unkontrollierte Grenzöffnung“ und die „kaputtgesparte Polizei“ nämlich seien Angela Merkel zuzuschreiben, kurz: „ihre Politik hat viel Unsicherheit und Ängste erzeugt und die AfD groß gemacht.“
Was auf Wagenknechts Interview folgte, kann sich jeder ausmalen. Es lief ab wie im Drehbuch für die Chronologie einer angek
gt und die AfD groß gemacht.“ Was auf Wagenknechts Interview folgte, kann sich jeder ausmalen. Es lief ab wie im Drehbuch für die Chronologie einer angekündigten Empörung. Der AfD-Vorsitzende aus Nordrhein-Westfalen Marcus Pretzell, der ein elender Provokateur ist, lobte die Linksaußen Sahra Wagenknecht für ihren Schuldspruch ausdrücklich als kluge Frau. Er war es auch, der nur eine Stunde nach dem Anschlag am Breitscheidplatz in Berlin getwittert hatte, die Opfer seien "Merkels Tote".Eingebetteter MedieninhaltDer grüne Geschäftsführer Michael Kellner lästerte, „Wagenknecht klingt, als wäre sie Spitzenkandidatin der AfD.“ Und natürlich orchestrierten auch die Medien die Debatte. „Wie links ist Sahra Wagenknecht?“, fragte etwa der Tagesspiegel. Das ist nur scheinbar die adäquate Frage. Die richtige wäre: Was ist die Choreografie dieser rituellen Verneigung vor rechten Wählern? Und da kommen die Parteifreunde der Linken ins Spiel. Denn die spielen es nämlich mit.Wenn Wagenknecht medienwirksam rechtspoltert, dann linkspoltern Martina Renner und Jan van Aken zurück. Es sieht dann so aus, als würden die beiden profilierten Linken die böse Sahra sehr energisch zur Ordnung zu rufen. „Wer Merkel von rechts kritisiert, kann nicht Vorsitzender einer Linksfraktion sein“, sagte etwa Jan van Aken im Sommer beim letzten Rechtsabbieger seiner Fraktionschefin. (update 9.1.17) Diesmal übernahm das der Parteichef der Linken, Bernd Riexinger. Terrorismus hat nichts mit der Grenzöffnung zu tun. Da hat Die Linke eine klare Position, an die sich auch Wagenknecht halten muss", sagte Riexinger am Montag. "Wir werden innerparteilich ganz klar kommunizieren, dass sich auch die Spitzenkandidaten an die Programmatik zu halten haben". (update Ende) Das hört sich bedrohlich an. Nur bleibt das stets ohne Konsequenzen für die prominenteste deutsche Linke. "Bedeutet Populismus, dass man die Menschen tatsächlich auch ernst nimmt in ihren Interessen, in ihren Bedürfnissen, auch in ihren Ängsten, dann ist das für mich nicht Populismus, sondern das ist eigentlich der Anspruch demokratischer Politik". Sahra WagenknechtIn Wahrheit ist das also ein wunderbares Doppelspiel. Wagenknechts grobe Keile, die medial eine große Reichweite haben, weil sie sich sehr autoritär und rechts anhören, binden potenziell AfD-abtrünnige Wechselwähler an die Linkspartei. Und die komplexen und klugen Auslassungen der fachkundigen Martina Renner, deren Reichweite freilich eher klein ist, integrieren das linksintellektuelle Spektrum der Partei des demokratischen Sozialismus. Wenn man so will, ist Renner der good cop – und Wagenknecht der bad cop. Aber sie sind sich nicht etwa spinnefeind, wie man mutmaßen könnte, sondern ihre Zusammenarbeit ist höchst effektiv. Solche paradoxen Tandems finden sich auch in anderen Parteien. Nur ist die Spannweite, die damit abgedeckt wird, viel kleiner. Bei der Linkspartei reicht die Klammer von ganz links bis sehr weit nach rechts in die autoritären und xenophoben Teile der alten SED. (update 9.1.17) In einem Interview mit dem Deutschlandfunk hat Wagenknecht inzwischen sehr deutlich ihre Äußerungen als Wahlkampfstrategie bezeichnet – und den Begriff Populismus dabei erklärt. "Bedeutet Populismus einfach nur, dass man verständlich argumentiert, dass man die Menschen tatsächlich auch ernst nimmt in ihren Interessen, in ihren Bedürfnissen, auch in ihren Ängsten, in ihrer Verunsicherung und dass man versucht, ihnen deutlich zu machen, was sich ändern muss, damit sie ein besseres Leben haben, dann ist das für mich nicht Populismus, sondern das ist eigentlich der Anspruch demokratischer Politik." (update Ende)Würden alle in der Linkspartei, die nun wieder mit gespielter Empörung auf Sahra Wagenknecht schimpfen, einmal echte Konsequenzen ziehen, dann wäre das ehrlich. Das tun sie aber nicht. Denn auf die Frontfrau Sahra Wagenknecht kann die Linkspartei nicht verzichten. Weder beim Provozieren noch beim Analysieren. Das kann man im Interview mit Wagenknecht nämlich auch nachlesen. Es ist in der Langfassung ziemlich interessant.