Freitag: Herr Keßler, Sie haben einen kritischen Film über den Superstaudamm Belo Monte gedreht. Missgönnen Sie dem Land Arbeitsplätze und Wachstum, die daraus entstehen können?
Martin Keßler: Die Frage ist doch, für wen hier Gewinne entstehen. Man kann an dem Fallbeispiel Belo Monte in unserem Film beobachten, dass das Wohlfahrtsversprechen des Welthandels oft ein Märchen ist. Die Globalisierung erzeugt wenige, dafür große Gewinner und sehr viele Verlierer. Vor Ort sind Zerstörung und Zwangsumsiedlung zu beobachten.
Wir sprechen von einem Projekt im zweitgrößten brasilianischen Bundesstaat Pará, das zehn Milliarden Euro kostet. Im Zuge des Projekts wurden Siedlungen, Krankenhäuser und Schulen gebaut.
Viel zu wenige und viel zu spät. Die Realität: Tausende Fischer im Amazonasgebiet haben ihre Lebensgrundlage verloren, zehntausende Menschen wurden in Trabantenorte umgesiedelt, wo es keine Arbeit, oft nicht mal Verkehrsanschluss gibt.
Was ist das Problem des Staudamms vor Ort?
Dass man in bestehende wirtschaftliche Zusammenhänge eingegriffen und sie zerstört hat. Diese lokale Ökonomie hat die Menschen ernährt. Die neue Ökonomie hat mit dem Leben vor Ort nichts zu tun. Energie und Überschuss fließen aus dem Amazonasland Pará ab. Und die Neubausiedlungen beginnen jetzt schon zu zerfallen. Unsere Langzeitbeobachtung dokumentiert eine Tragödie.
Wie kamen Sie auf Belo Monte?
Wir drehten 2009 im Rahmen des Weltsozialforums in Belém. „Eine andere Welt ist möglich“, hieß es damals. Man wollte die Welt wachrütteln, dass die Globalisierung Amazonien zerstört. Man wollte Belo Monte verhindern.
Staatsanwälte haben Baustopps beschlossen. Wieso ging der Bau des Staudamms trotzdem weiter?
Experten vergleichen das Geflecht von Baukonzernen und der Politik mit dem militärisch-industriellen Komplex in den USA. Eine mafiöse Struktur kann in Brasilien das durchsetzen, was sie will – auch gegen Recht und Gesetz.
Zur Person
Martin Keßler ist Dokumentarfilmer, der sich mit sozialkritischen Bewegungen befasst (neuewut.de). Die Reihe Countdown am Xingu beobachtet den Bau eines Riesenstaudamms
Foto: Privat
Wie funktioniert das?
Brasilien hat keine demokratische und transparente Parteienfinanzierung, sondern die Parteien profitieren aus Gaben der Industrie. Dafür sind Großprojekte ideal. Sie füllen auf Jahre hinaus die Auftragsbücher der Baukonzerne, und es fällt genug ab für Parteien – und für persönliche Bereicherung.
Warum ist selbst die Justiz ohnmächtig gegen solche Großprojekte?
Die Entscheidungen unterer Instanzen gegen massive Rechtsverstöße bei Belo Monte werden immer wieder mit der sogenannten suspensão de segurança abgeräumt. Das heißt, ein oberster Bundesrichter kann die Entscheidungen aufheben, wenn „nationale Interessen“ in Gefahr sind. Ein Verfahren aus Zeiten der Militärdiktatur.
Welche Rolle spielen deutsche Konzerne?
Ohne die großen Laster von Mercedes-Benz, ohne die Absicherung durch die Münchener Rück und die Turbinen von Siemens käme ein solches Projekt nicht zustande. Wir haben mit dem beteiligten Siemens-Unternehmen gesprochen. Es sei alles geprüft, hieß es, die Vorteile überwögen die Nachteile. Der Hinweis, dass Brasilien eine Demokratie sei, fehlt übrigens nie.
Der ist ja auch nicht von der Hand zu weisen. Was werfen Sie den deutschen Konzernen vor?
Dass sie sich an einem Projekt beteiligen, das vor Ort verheerende ökologische und soziale Auswirkungen hat. Wir haben beobachten können, wie in den Siedlungen das Leben der Menschen wie von einem sozialen Krebs zerfressen wird: Arbeitslosigkeit, Drogenhandel, Kriminalität, Morde – ein Teufelskreislauf, der mit dem Bau des Staudamms angestoßen wird. Von der Energie aus Belo Monte haben die Anwohner nichts, sie wird unter anderem gebraucht, um Aluminium für unsere Automobilindustrie herzustellen. Wir sichern unseren Wohlstand dadurch, dass der Urwald geflutet und die Rechte der Indigenen missachtet werden.
Gibt es einen Zusammenhang zwischen Belo Monte und Olympia?
Die Baufirmen, die den Staudamm errichten, sind dieselben, die für die Fußball-WM und Olympia die Stadien gebaut haben. Das spült neues Geld in die Kassen der industriell-politischen Maschinerie. Gleichzeitig herrscht in Brasilien große Arbeitslosigkeit. Das Bildungs- und das Gesundheitswesen stehen vor dem Kollaps, die Sicherheitslage ist eine Katastrophe. Die Menschen in Brasilien haben ganz andere Bedürfnisse, als im eigenen Land die Zaungäste eines abstrakten Kapitalismus zu sein. Im Falle des kleinen Orts Belo Monte als Außenposten, der Energie und Rohstoffe für die Herstellung von Metall für die Autoindustrie liefert. Im Falle Olympias als Arena von Brot und Spielen für die Welt.
Das sind harte Vorwürfe.
Der neue Vorsitzendes des Indianermissionsrates, Erzbischof Roque Paloschi, spricht von einem – wörtlich – ständigen Krieg der Auslöschung der Armen und der Jugend, der größer ist als der im Nahen Osten. Die Indigenen seien nur noch Hindernis für die Modernisierung. Tatsächlich ist mit der Umleitung des Xingu-Flusses für den Staudamm bereits das nächste Projekt vorbereitet – die größte Goldmine Brasiliens.
Wie kann es sein, dass man die Rechte der Indigenen übergeht?
Diese Verfassungsrechte stammen aus den 80er Jahren. Aber jetzt stehen sie der Ausbeutung der großen Rohstoffvorkommen am Amazonas im Weg. Es heißt, die neue Regierung wolle diese Rechte einschränken. Ich persönlich glaube, dass wir hier eine neue Qualität des internationalen Kapitalismus beobachten.
Worin besteht die?
Dass er noch mehr als bisher über die Rechte der Natur und der einfachen Leute hinweggeht. Die Profite, die in weltweiten Großprojekten erzielt werden, sind gigantisch. Wenn Sie das aber vergleichen, finden sich im internationalen Kapitalismus immer wieder Verbindungen zu einer Ökonomie, die im Grunde kriminell ist. Egal, ob sie sich die Internet-Industrie anschauen, die kaum Steuern zahlt, oder die Finanzindustrie, die jedes Geschäft mitmacht. Unser Film zeigt, dass sich auch deutsche Firmen auf offensichtlich mafiöse Strukturen draufsetzen, um Gewinne zu machen.
Wird Ihr Film im Fernsehen laufen?
Bisher nicht. Wir hatten begeisterte Redakteure im Schnittstudio, die gerne einen Themenabend gemacht hätten. Aber es hat nicht geklappt. Zu wenig Geld, kein Sendeplatz, hieß es.
Die Öffentlich-Rechtlichen wollen sich die Olympia-Einschaltquoten nicht mit Ihrem schonungslosen Film kaputtmachen.
Der Rundfunk steckt in einem Zwiespalt, wenn er 150 Millionen Euro für Olympia-Entertainment ausgibt – und im Vergleich dazu investigative Langzeitdokumentationen vergisst. Für Tatort und Sport wird ein Vermögen ausgegeben. Aber unsere Filme laufen in Kinos, Kirchen und Bürgerhäusern.
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