Wenn man dann davorsteht, vor dem berühmten Bett, dann ist alles ganz banal und einfach: ein schmuddeliges, fleckiges Laken mit zurückgeschlagener Bettdecke und einem hindekorierten Slip, davor ein Haufen Abfall, Alkoholika, Präservative, Tampons, Notizblöcke, Zigarettenkippen, Hausschuhe. Man ist erstaunlich wenig berührt von all dem, denn man hat Ähnliches schon außerhalb des Museums gesehen; man versteht auch die Aufregung nicht, die 1999 in London bei der Turner-Preis-Nominierung um diese Installation gemacht wurde und den Young British Artists unverhoffte Aufmerksamkeit einbrachte.
Schon eher kann man den Frust der Museumsleute nachvollziehen, die jedes Einzelteil dieser Müllhalde mit Pinzette in Plastiktüten verpacken, wieder auspacken und das Ganze haltbar machen müssen. Sind die Flecken auf dem Bettlaken noch im Originalzustand? Sollen die Tampons geruchsfrei sein? Die endgültige Entstöpselung der angeblich letzten Tabus führt zu konservatorischen Problemen, wie sich der an Ölgemälden geschulte Restaurator früher selbst in seinen schlimmsten Träumen nicht vorstellen konnte.
Sex als Lebenselixier
Angeblich hat Tracey Emin in diesem Bett gelegen und war tätig in ihm, angeblich wäre sie fast gestorben in diesem Bett, und egal, ob diese Legenden nun stimmen oder nicht, es ist allemal clever gemacht: Alle Welt kommt und guckt, auch wir. Die Kuratorin nennt das Werk eine Ikone, der Berner Museumsdirektor vergleicht es mit Courbets L’Origine du Monde und mit der Mona Lisa. So funktioniert der Kunstbetrieb, und so funktioniert Tracey Emin.
Das kleine Mädchen mit türkischem Vater, das als 13-Jährige am Strand des südenglischen Küstenorts Margate vergewaltigt wurde und dann den Sex als Lebenselixier entdeckte, hat sich entschlossen, ihr Leben als Kunstwerk zu betrachten. Was daran wahr ist und was Fiktion, kann und will man nicht überprüfen; die Naivität und Geradlinigkeit, mit der Privatestes in Kunstobjekte übersetzt wird, spricht tatsächlich für traumatische Erfahrungen, allerdings auch für künstlerische Eindimensionalität.
Die Retrospektive, die jetzt in Bern zu sehen ist, resümiert 20 Jahre dieses Schaffens. Tracey Emin hat eine Mode- und mehrere Kunstschulen besucht, sie weiß, was ein Konzept ist. Sie weiß, dass man sich am besten auf ein Thema beschränkt. So erfahren wir manches über eine triste Provinz-Jugend zwischen Disco, Fish and Chips und schnellem Sex, über spätere Alkohol-Exzesse und erotische Eskapaden.
Zwischen Hilferuf und Selbstvermarktung
Emins künstlerische Fertigkeiten allerdings werden eher nur angedeutet: fahnengroße, auf dem Kunstmarkt hoch gehandelte, mit Namen und Parolen verzierte Teppiche; filmische Lebensbeichten (Fotzenslang); Videos der ekstatisch, befreit tanzenden („You make me feel mighty real“) Überlebenskönigin Tracey; eine hölzerne Achterbahn-Installation, die Achterbahn des Lebens; eine Polaroid-Selbstporträt-Serie der offenbar gerade sexuell erregten Künstlerin. All das zeigt vor allem eines: ein weibliches Wesen zwischen Hilferuf und Selbstvermarktung.
Aber es scheint zu funktionieren. In Bern redet die Kuratorin Kathleen Bühler ernsthaft darüber, dass Tracey Enim irgendwo zwischen Andy Warhol und Joseph Beuys anzusiedeln sei – letzteres wohl wegen der Materialität einer Zinkbadewanne, die mit schmalen Fichtenstämmen, Stacheldraht und einer Neonröhre bestückt ist. Ihre eher mainstreamige Malerei sei von Cy Twombly inspiriert. Sie habe „den Realitätsbegriff“ eine Umdrehung weitergedreht, assistiert der Museumsdirektor.
So viel Weiterdrehen kann auch quälend sein. Emins ausufernde Auseinandersetzung mit der Frage, ob man ein Kind haben oder doch abtreiben solle, kulminiert, nach vielen eng beschriebenen Tagebuchseiten, in einem Video, das Bezug nimmt auf Edvard Munchs Der Schrei: Zuerst schreit das Abgetriebene, dann sieht man einen geduckten Frauenkörper auf einem Steg in Skandinavien, und der Schrei hallt weiter nach.
Art saved my life
Kunstgeschichte also, wohin man auch blickt, nur Tracey Emins eigener Beitrag dazu bleibt schemenhaft. Aber das macht nichts: It’s the Singer, not the Song. Als die 47-Jährige mit der handelsüblichen Verspätung zur Pressekonferenz erschien, wurde klar: Hier kommt der Star, der professionell Medieninteressen bedient. Natürlich sei das nicht ihr Privatleben, was sie künstlerisch darbiete, sagt sie selbst. Oder nur ein bisschen. Jedenfalls wähle sie sorgfältig aus, was sie zeigen wolle und was nicht. Denn seit Tracey Emin als Jugendliche in Margate bei einem Tanzwettbewerb von der Bühne wankte, weil ihre Ex-Lover und ihr Vergewaltiger sie als „Schlampe“ verhöhnten, habe sich viel geändert. Sie selber macht nun, in Videos und auf „Flags“, jene Männer namhaft, die ihr Unrecht taten – und die sie später selbst benutzte. Leider zerstörte 2004 ein Brand in einem Londoner Lagerhaus (unter anderem) ihre zeltartige Installation mit dem Titel Alle, mit denen ich zwischen 1963 und ’95 geschlafen habe.
Dafür hat Emin inzwischen ein autobiografisches Buch geschrieben und eine konferenztaugliche Philosophie entwickelt, wie ihre Kunst einzuordnen sei. Ihre Kernaussagen, im Zeitraffer: Sex sells. Art saved my life. I’m clever. I’m a troublemaker. I won’t tolerate injustice. Stop analysing yourself – just live.
In der Tat verführen die immerdar gespreizten Beine und wie Hühnerkeulen hochstehenden Schenkel in ihrer Malerei nicht unbedingt zur Analyse. Es entsteht eher der Eindruck, hier kuriere sich jemand zwanghaft selbst – mit Hilfe der Öffentlichkeit. Derzeit scheint die Prognose eher günstig: Emin sagte, sie lebe allein mit ihrer Katze, ihr Freund komme alle zwei Wochen zu Besuch. Seit zwei Jahren ist sie Mitglied der Royal Academy of Arts. Vielleicht gewinnt die Kunst ja doch noch die Oberhand in diesem Leben.
Tracey Emin 20 Years Kunstmuseum Bern, bis 21. Juni. Begleitheft zur Ausstellung 20 SFr; Katalog (englisch) 38 SFr
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