Anonymus

Linksbündig Strippenzieher an die Macht!

Horst Köhler ist als Bundespräsident zwar dritte Wahl, aber er ist eine gute Wahl. Die Person und auch das Procedere der Kandidatenfindung sind in der Tat repräsentativ für den Zustand der Bundesrepublik, in der die Gesichtslosigkeit zum wünschenswerten Charakterzug geworden ist. Köhler erfüllt die Anforderungen an das Amt mit Bravour: ein Präsident, den keiner kennt - das hatten wir noch nie; aber ist das nicht eine fast charmant zu nennende Konzession der Parteien an die zunehmende Anonymität in der Industriegesellschaft? Zeugt nicht die Entscheidung, einen Technokraten, einen Strippenzieher in Währungsfragen, einen Anonymus zu berufen, von allergrößter Weisheit? Jeder wird sich mit ihm identifizieren können. Denn ähnelt nicht das Pokerface dieses Globalisierers vom Währungsfonds auf verblüffende Weise dem undurchdringlichen Mienenspiel der vielen Mut- und Arbeitslosen, die die Globalisierung uns beschert? Und ist nicht der erste Mann im Staate in Wahrheit der ideelle Gesamtarbeitslose?

Machen wir uns nichts vor: der Bundespräsident ist ein Mensch, der zu ausgewählten Anlässen längere, meist sich in Allgemeinplätzen erschöpfende Reden hält, der weite Reisen zu Berufskollegen und anderen Leidensgenossen unternimmt und auf unklare Weise das große Ganze dieser Gesellschaft darstellen soll. Politisch hat er nichts zu sagen, und deshalb ist es letztlich egal, wer den Job macht. Die eigentliche Brisanz der Kandidatenfindung lag ja auch weniger in den Personen, die da gehandelt wurden, sondern in den Verhandlungsspielen der neuen Koalition aus CDU, CSU und FDP, die sich da gerade für die nächste Bundestagswahl zusammenrauft. Und es zeigte sich: es ist eine sehr kleine Runde, die in der Republik die wichtigen Posten auskungelt. In diesem Fall der Dreiergipfel Merkel-Stoiber-Westerwelle. Auf rotgrüner Seite ist das nicht viel anders: Schröder und Fischer entscheiden allein. Schröder befindet, wer künftig SPD-Vorsitzender wird; er nominierte auch die offenbar nur ihm bekannte Gesine Schwan im Alleingang zur Kandidatin. Und die Grünen tanzen sowieso nach Joschkas Pfeife. That´s democracy.

Natürlich ist es nicht ganz gleichgültig, wer in fernen Landen deutsche Politik versinnbildlicht: der brave Wanderer Karl Carstens, durch Nazi-Mitgliedschaft ins Zwielicht geraten, war eine andere Figur als der hemdsärmlige Gustav Heinemann, der Präsident der sozialdemokratischen Aufbruchsjahre; Richard von Weizsäcker, der noble Bedenkenträger und Ex-Pharmareferent, war ein anderes Kaliber als der joviale Sänger Walter Scheel. Wenn er schon nicht die Bundesrepublik als Ganzes repräsentierte, so vermittelte ein jeder dieser Herren doch Wichtiges über die Epoche, die ihn zum Vorzeige-Deutschen kürte: Heinemann den Neubeginn, Carstens den Stillstand.

Das Amt aber nötigte sie dann alle zu onkelhafter Betulichkeit und Neutralität, und insofern war der frühere nordrhein-westfälische Ministerpräsident Johannes Rau, "Bruder Johannes", eine fast ideale Besetzung für die Präsidentenrolle. Selbst wenn er sich kritisch über den Zustand der Türkei äußerte oder den Deutschen das Jammern über die schlechte Wirtschaftslage untersagte, wirkte er fast priesterlich, über den Wolken schwebend, enthoben ins hübsche Allgemeine.

Wir haben nichts gegen Sonntagsredner. Sie sind notwendig, und ihrer gibt es in dieser Republik wahrlich genug, völlig gratis übrigens. Schon aus Kostengründen also stellt sich die Frage: wozu brauchen wir eigentlich einen Präsidenten? Einen, der nur durch sein pures Dasein schon Politik ist? Wir glauben, schändlicherweise: wir brauchen ihn nicht. Wir brauchen weder Wolfgang Schäuble, den imperial-zwanghaften Durchsetzer des Einigungsvertrags und späteren Fraktions-Zuchtmeister, der jetzt ein bisschen Kreide gefressen hat, noch Annette Schavan, das baden-württembergische Fräulein von der Schulbehörde. Sie sind schon qua Charakter keine Integrationsfiguren; noch überzeugender allerdings ist das Argument, dass es in dieser Gesellschaft auch nichts mehr zu integrieren gibt.

Insofern ist Horst Köhler der richtige Mann am richtigen Platz: als Finanzmanager hat der Tübinger Honorarprofessor schon gezeigt, wie man als kleiner Mann in hohe Positionen gelangt, ohne das große Getriebe zu beeinflussen. So wird er es auch als Präsident halten. Besser als Köhler auf diesem Posten wäre einzig: gar keinen Präsidenten zu haben, den Stuhl freizulassen. Emnid, Forsa und Allensbach sollten schnellstens eine Umfrage starten; die Wette gilt: das Amt des Bundespräsidenten würde niemand vermissen.


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