Der Herr der Dachlatten

Facharbeiterficken Mit seiner Kunst zwischen Majakowski und Punk ist Georg Herold ein Vorbild für die jüngere Künstlergeneration - diverse seiner Werkblöcke tourten in diesem Jahr von Baden-Baden über Hannover bis nach Klagenfurt

"Die Melancholie" ist auch da. Normalerweise erwartet man eine allegorische Figur in Frauengestalt, aber bei Georg Herold hängt sie als schlaff baumelnde schwarze Damenfeinstrumpfhose von einem Gerüst herab. Man kann nicht sagen, dass der Anblick gänzlich unerotisch wäre, aber die Ironisierung ist offensichtlich. Die Traurigkeit der Strumpfhose, so ist das im Spätkapitalismus, der uns bei Herold als riesige Materialsammlung entgegentritt.

Vielleicht hätte Georg Herold auch ein Großkünstler und Sinnstifter werden können wie Sigmar Polke und Gerhard Richter, die sich bei Agenturfotos und Mythologie gleichermaßen bedienten und dann ins Reich der Farbe und der Großformate drifteten. Herold aber liebt das Abwegige und scheinbar Unsinnige, das Kabarettistische und Surreale, und er liebt die Skulptur, die sich aus den unscheinbaren Dingen fertigen lässt. Seine Währungseinheit ist die Dachlatte, und zwar schon seit 1977, als er dieses unschuldige, simple, raue, sperrige Material, in jedem Baumarkt zu erwerben, erstmals in der Hamburger Hochschule für Bildende Künste vorstellte. Deutschland war damals mit sich und dem deutschen Herbst beschäftigt, man achtete nicht weiter auf Dachlatten; erst etwas später wollte ein hessischer SPD-Ministerpräsident mit solchem Material die Grünen verprügeln. Da machte Herold schon längst "interessante Kunst aus Westdeutschland", indem er den Dürerhasen aus Holzstücken nachbaute und auf eine zwei Meter lange Latte den Namen Goethe schrieb. Zwecks Vergleich stand daneben ein etwa 80 Zentimeter hohes Hölzlein mit der Aufschrift "irgendein Scheißer".

Was ist es, das den Menschen zur Kunstverweigerung treibt? Vielleicht ist es die Ahnung, dass mit purer Ernsthaftigkeit, mit purem technischem Können das Wahnhafte und Groteske dieser deutschen Nation nicht beschrieben werden kann. Georg Herold ist schon früh in schlechte Gesellschaft geraten: zunächst in der DDR, wo er wegen eines Fluchtversuchs auch mal im Knast saß, dann im Westen, der ihn 1973 freigekauft hatte. Hier studierte er Kunst, ging aber mehr über die Müllkippen, weil Poesie und Wahrhaftigkeit abgelebter Alltagsgegenstände ihn offenbar mehr faszinierte als der Pinselduktus. In der Kunstgeschichte anzudocken, sich auf Duchamp und Man Ray, auf Dada und Surrealismus und vielleicht auch Konzeptkunst zu berufen, das wäre einfach gewesen; allein die Zeiten waren anders. Ende der siebziger Jahre kam Punk, und es kam die Mülheimer Freiheit.

Diese Kölner Künstlergruppe, die wilde Malerei, bildete einen wichtigen Bezugspunkt für Herold, der gleichwohl mehr den Dingen und der Sprache verfallen blieb. "Die Dinge stürzen mit brüchiger Stimme herein, die Lumpen ihre abgetragenen Namen von sich schleudern ...". So etwas zitiert er immer noch auswendig, ein freundlicher älterer Freak, der Majakowski gelesen hat, DDR-Sozialisation mit West-Nachhall, und der leicht süffisant, beim Aufbauen seiner Ausstellung in Baden-Baden, von der "Entthronung von Idealen, Entthronung von Göttern und - Wiederaufbau!" erzählt, ganz dialektisch. Irgendwo dazwischen ist dann die Kunst angesiedelt und der bisweilen makabre Witz, mit dem Herold "bügelnde Neger" oder mit Beton gefüllte Handtäschchen präsentiert.

Herolds Werk wird anlässlich der an drei Stationen (Baden-Baden, Hannover, Klagenfurt) zu sehenden Ausstellung in einem voluminösen Katalog gebündelt, und auch da ist der Titel sarkastisch: What a Life. Als Umschlagbild dient jene Ziegelstein-Installation, auf der die aus einer Leinwand heraushängenden Steine mit Boxhandschuhen bewehrt sind. Steine und Boxhandschuhe, auch ein Programm. Ein solches verfasste Herold übrigens schon früher, 1982, gemeinsam mit den Kollegen Werner Büttner und Albert Oehlen unter dem Motto Facharbeiterficken. Ein künstlerisches Manifest "in revolutionärem Ton", das mit einer existentiellen Frage anhebt: "Wie soll man die Kunst ficken?" Mitten im postmodernen Geblubber der Anfangs-achtziger-Jahre war das ein ausgesprochen erfrischender Tonfall, und der kluge Katalogbeitrag der Kunstkritikerin Carmela Thiele wartet mit einigen schönen Reminiszenzen aus jener Zeit auf, die unseren Blick auf die Werke nun merklich schärfen.

Die Punkmusik nämlich ist durchaus ein theoretischer Bezugsrahmen für dieses Werk. Punk war damals allgegenwärtig in der neuen Kunst; auf allen Vernissagen kreischten die Verzerrer und spritzten die Bierflaschen, Rainer Fetting drehte Filme, Albert Oehlen war eingetragenes Mitglied der Band Die nachdenklichen Wehrpflichtigen, und das ist nun der Humus, auf dem Herold-Werke wie Einbeinig im Hilton oder "zugenähter Fontana" gedeihen. Man kann nämlich die Schlitzbilder des Lucio Fontana auch wieder zunähen; die Frage ist nur: warum schneidet man sie überhaupt auf? So wird Kunstgeschichte zum verbraucherfreundlichen Versammlungsort für Eingeweihte und auch für weniger Eingeweihte, alle dürfen mitmachen, auch wenn, wie zu Beginn der Tournee in Baden-Baden, am Eingang der Ausstellung dieser schäbige Karton stand mit der Aufschrift "For Members only", der aber wahrscheinlich doch ein Geschenk für uns alle enthält.

Die Ausstellung will ausdrücklich keine Retrospektive sein. Gott, nur nicht nach hinten sehen! Der Katalog ist zwar eine Art Bestandsaufnahme, aber Herold geht es nicht um Chronologie, sondern eher darum, verschiedene Werkgruppen mal zusammen zu zeigen: die Kaviar-Bilder (ja, man kann unverschämterweise mit Kaviar Bilder machen, sieht aus wie ein Rohrschach-Test), die Dachlatten-Installationen, die Unterhosen-Skulpturen, bei denen gefärbte Slips heroisch wie Sonnenschirme aufgespannt werden, die Ziegelsteinbilder. Also: in die Fresse, Politesse. Und: frisch in die Hände gespuckt, wir steigern das Bruttosozialprodukt. Der mittlerweile 58jährige Georg Herold kultiviert auch heute noch eine ironische Distanz zu Kunst- und Sozialgeschichte, den Utopieverlust. Seine solide Verachtung der DDR, aber auch des Turbokapitalismus macht ihn zum Vorbild einer jüngeren Künstlergeneration, die sich im ideologischen Vakuum bewegt und mit Herolds lakonischen Versatzstücken gern hantiert. Auch diverse Kunstkäufer lieben den Hofnarren, der auf die Frage "Wer sammelt das?" nur scheu antwortet: "Die, die´s nötig haben".

Dabei will Georg Herold im Grunde nur "die Dinge selber" zum Sprechen bringen, ihnen den metaphysischen Ballast wegnehmen, den unsere Wahrnehmung ihnen ständig aufhalst, sie mit pseudopathetischen Parolen immer neu ent- und verkleiden. Ein weißliches Machwerk aus Styropor, Milchpulver, Lactose und Lack, für die Berliner Metropolis-Ausstellung 1991 entworfen, wird so zum "Mountain of Cocaine", weil die Spürhunde der Polizei mit solchem Material scharf gemacht werden. Unschuldige Teesiebe werden präser-artig über phallische Gipsformen gestülpt; dem Torso rutscht die Unterhose; leere Keilrahmen sind immer neu montiert und grinsen uns schließlich als kubistisch-suprematistische Dachlatten-Installationen an.

Natürlich könnte Georg Herold statt Dachlatten auch Teakholz benutzen, das wäre dann was für den gehobenen Geschmack. Aber der Mann hat seine Wurzeln nicht vergessen: er kommt aus dem Heimwerker-Markt. Intellektuelle finden so etwas ja immer schick, und so ist diese Schau eine Einladung ans Publikum, sich treiben zu lassen ins Ungewohnte, Abgeschmackte, ins Gegenteil, gerade jetzt im Sommer. Herolds Beitrag zum Tag der Arbeit nämlich besteht in einem tristen Haufen ungehobelter Latten, offenbar Haltestangen von Transparenten; Titel: 100 Jahre 1.Mai. Auf einem Grabstein hat Herold vorsorglich die Mitteilung "bin eben Zigaretten holen" eingeritzt. Und manchmal schreibt der Nebenberufs-Volkstribun auch erschütternde, aufrüttelnde Mitteilungen auf seine Hölzlein. Aber nicht so hehre Sachen wie "Gemeinsam sind wir stark". Bei Herold heißt es, mit entwaffnender Ehrlichkeit: gemeinsam sind wir Arschlöcher. Leider.

Georg Herold: What a Life. Staatliche Kunsthalle Baden-Baden 5. März bis 9. April; Kunstverein Hannover 16. April - 29. Mai; Museum Moderner Kunst Kärnten, Klagenfurt 16. Juni - 28. August 2005. Katalog: Exhibitions International, Leuven 2005, 376 S., 45 EUR


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