Dies ist eine Rückkehr auf die europäische Bühne. Gianna Nannini, mittlerweile 48 Jahre alt, ist eigentlich nicht für die leisen Töne bekannt. Eine raue, rostige Rockröhre hat die Italienerin, und ihre Bands gingen in den achtziger und neunziger Jahren auch nicht gerade zimperlich zu Werke. Aber mit dem Alter besinnt man sich aufs Wesentliche. Nanninis neue CD ist modern arrangierte Kammermusik mit Piano und Streichquartett, und ihr Stuttgarter Konzert bestreitet sie vor allem mit dieser ausgebeinten Form: Klavier und Stimme.
Die Frau ist in Italien nicht gerade beliebt, und das hat mit der Mentalität dieses Landes zu tun. 1978, auf dem Cover ihrer America-LP, hielt die New Yorker Freiheitsstatue einen Vibrator in der Hand - und diese Kampfansage haben die italienischen Männer wohl verstanden. Ein Mädchen, una ragazza, hat in Italien immer noch hübsch zu sein und zur Verfügung zu stehen - jemand, der wie Nannini eigene sexuelle Bedürfnisse einklagt, der unabhängig sein will und andeutet, dass es eventuell ganz anders gehen könnte, ohne Männer, der wird zwar auch in Italien zu einer Heroine der Frauenbewegung, aber nicht unbedingt zum Liebling des großen Publikums.
Im italophilen Deutschland dagegen war Gianna Nannini seit Ende der siebziger Jahre eine Bank in der linken Szene, obwohl man die sehr direkten, zwischen leisem Kitsch und Obszönität balancierenden Texte nicht so wörtlich verstand. Manche Lieder wirken heute noch wie eine Anrufung des großen Liebesgotts Amor, bisweilen auch wie die ziemlich lange Beschreibung eines ziemlich langen Geschlechts- oder Sehnsuchtsakts. Ich will dich riechen, ich will deinen Schweiß - na, sowas traut man sich in Deutschland nicht so recht zu sagen. Auf Italienisch hört sich das gleich viel poetischer an.
Die Menschen, die zum Auftakt der Deutschland-Tournee in die Stuttgarter Liederhalle strömten, waren zumeist gesetzteren Alters. Sie wollten die Lieder ihrer Jugend hören, die man damals, nach der Demo, im Bett und in der Wohngemeinschaft immer gehört hatte - und bereiteten der zerbrechlich, ja androgyn wirkenden Nannini ein Heimspiel erster Klasse. Aber es war nicht nur eine Nostalgieveranstaltung. Gianna Nannini hat eine unglaubliche Stimme, eine der größten Europas, und sie kann es an bluesiger Ausdruckskraft, Volumen und Emotionalität mit ihrem großen Vorbild Janis Joplin allemal aufnehmen. Dass sie sich nebenbei auch mal pianistisch an einer Beethoven-Sonate versucht, den Ragazzo dell´Europa mit einem Antikriegs-Einschub von Boris Vian französisch aufmotzt und einige alte Hits mit Rhythmus-Maschine und Synthesizer-Chören ganz fürchterlich verhunzt, darüber sei gnädig hinweggesehen.
Denn was zählt, das ist das sängerische Können einer Frau, die es sich nicht leicht gemacht hat. Die Tochter eines Zuckerbäckers aus Siena, der es zum erfolgreichen Unternehmer und Millionär brachte, ist schon früh ausgebrochen auf die Autostrada, in die Freiheit nach Kalifornien, nach Milano in die linke Szene. Sie wollte vom Vater kein Geld, sie hat lieber in seiner Fabrik gearbeitet und dabei auch mal die Finger in eine Maschine bekommen. Das hat sie nicht gehindert, eine klassische Klavierausbildung zu machen und mit der Musik ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Sehr viel später, 1994, hat sie im Fach Ethnologie über das Thema "Körper und Stimme" promoviert, da war dann auch der strenge Papa ganz gerührt.
Dottoressa Nannini aber wollte nie den bürgerlichen Weg gehen. Ihre Lieder sind auch Texte der Verzweiflung und der Einsamkeit, Selbstbehauptungs-Anstrengungen einer Frau, die nicht dem gängigen Schönheits- und Familien-Ideal entspricht und auf der Bühne seltsam ungelenk wirkt, mit diversen Bewegungs-Ticks und Manierismen, wie eine 16-Jährige, die eine Menge Wut im Bauch hat, zum ersten Mal auf eine Tanzfete geht und sich gern verstecken möchte. Und die immer erst zu sich selbst kommt, wenn sie singen darf. Nach den Stücken verbeugt sie sich dann wie eine Zirkus-Artistin, mit ausladenden, girlandenhaften Arm- und Oberkörperschwüngen, fast erstaunt über die Zuneigung, die ihr zuteil wird.
Das neue Leben der Gianna Nannini, das war in Stuttgart zu sehen, ist sichtlich bestimmt von ihrem musikalischen Mastermind, dem Pianisten Christian Lohr, der ihr die Stücke kammermusikalisch arrangiert hat und sich dann leider auch mal wie ein verjüngter Franz Liszt in die Tasten wirft. Zwischendurch bedient er ein kleines Schlagzeug-Set und diverse Soundmaschinen, ein Ephebe mit gewelltem Blondhaar und weißem Dichterkragen. Dahinter fiedelt das Solis String Quartet mal in seriöser Musikalität, mal in alberner Nigel-Kennedy-Attitüde. Dem Publikum war das ziemlich egal, es drängte am Ende tanzend an die Bühne und bekam noch mal Zucker mit fammi sognare und fammi l´amore, den unsterblichen Parolen linker WG-Kultur aus den siebziger Jahren.
Wir aber wollen lieber die stillen Passagen dieses Konzerts in Erinnerung behalten. Gianna Nannini ist eine melancholische Frau. Das kleine, liebeshungrige Mädchen aus Siena ist älter geworden, und wenn sie singt, nur wenn sie singt, kann sie etwas von sich zeigen. Dann ergibt sich diese schöne Konzentration und Intensität, die diese Frau aus dem Gros der sich meist nur noch stilisierenden Rocklegenden weit heraushebt.
Tournee-Daten: 10.3. Ulm, 12.3. Hamburg, 15.3. Gersthofen, 16.3. Nürnberg, 18.3. Heilbronn, 19.3. Frankfurt, 21.3. Tuttlingen, 22.3. München, 23.3. Genf, 25.3. Zürich, 26.3. Luzern, 27.3. Basel, 29./30.3. Bern, 31.3. Dornbirn.
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