Hamlet in Stuttgart

Bühne Hamlet ist unter die Menschenfresser gefallen. Eine Phalanx nackter, einander betatschender und begrabschender Monsterkörper schreitet uns auf ...

Hamlet ist unter die Menschenfresser gefallen. Eine Phalanx nackter, einander betatschender und begrabschender Monsterkörper schreitet uns auf moddrigem Acker entgegen, Abschaum einer säuisch zurückgebliebenen Menschheit, die sich im Dreck suhlt und trotzdem (oder gerade deswegen) nach Lausanne auf die Business School will wie Freund Laertes. Onkel Claudius, gespielt von Sebastian Kowski, ist ein hünenhafter Preis-Catcher mit kapitalistisch trainiertem Resthirn, Mutter Gertrud wird bei (dem grotesk ausstaffierten) Elmar Roloff zu einer wampigen alten Vettel mit Hängebrüsten und schwulem Gehabe, Tante Gertrud, Tunte Gertrud, jedenfalls ein ausgesprochen skurriles Hexenwesen, als wär´s eine Dirne im Rentenalter von Otto Dix. Die gesamte Anfangs-Performance der Inszenierung ist beklemmend und grausam, animalisch, fies, obszön, bedrohlich; absurde, sexualisierte Ringkämpfe aller gegen alle, eine martialische Muppet-Show mit schlaffem Fleisch (wie bei Lucian Freud) und schlaffen künstlichen Geschlechtsteilen.

Nur der asthenische Hamlet (Till Wonka) steht still beiseite und steckt bisweilen den Kopf in den Sand. Und nun kommt gleich der nächste Schlag: Dieser Hamlet ist ein Rechter. Die Verteidigungsrede, die er auf seinen ermordeten Vater hält ("mein Vater war Nationalsozialist, na und?"), ist komponiert aus den Versatzstücken konservativer Gegenwartsrhetorik - Regisseur Volker Lösch und seine Dramaturgin Beate Seidel kümmern sich um den Shakespeare-Text nicht allzu viel. Hamlet, der den Kapital-kompatiblen Mörder Claudius von rechts angreift und Wahrhaftigkeit einfordert - das hat es noch nicht gegeben. Folglich ist auch der Geist von Hamlets Vater keine angsteinflößende Erscheinung, sondern ein Trupp greisenhafter Wehrmachtsoffiziere mit Filbinger-Maske.

Und damit wären wir wieder daheim bei der schwäbischen CDU-Spätzle-und-Pizza-Connection, und das macht die Inszenierung, die so furios begann, um viele Formate kleiner. Das penetrante Volksbelehrungstheater, mit dem Volker Lösch seit Jahren durch die Lande tourt, erhebt nun hydra-artig sein Haupt. Hamlets konservative Verzweiflung an der Welt wird von Lösch in hübsche Schaubilder gebracht: immer noch im Dreck, aber sehr übersichtlich werden multiple Aufsichtsratsposten mit leergespritzten Wasserflaschen markiert, und wo eben noch die simulierte Nacktheit das Sagen hatte, redet man jetzt von so banalen Lebewesen wie Utz Claassen (versuchte Vorteilsnahme), Reinhold Würth (Steuerschulden) oder Günther Oettinger (Filbinger-Fan). Das ist nicht nett fürs Abonnement, aber auch nicht aufregend. Intrigant Polonius (auch der eine Frau, Katharina Ortmayr) hält derweil das Stück am Laufen.

Eine hübscher Widerspruch in sich ist Löschs Einrichtung der "Mausefalle", von ihm "Rattenfalle" genannt: Ausgerechnet der Volksaufklärer Lösch behauptet die Unmöglichkeit jeder Aufklärung, jedenfalls durch das Theater. In einem netten Mitspiel-Intermezzo darf König Claudius den von ihm begangenen Brudermord nachstellen - um nachher mit einem achselzuckenden "So what?" abzugehen: Reue, Buße, Umkehr, Strafe, was sind das nur für anachronistische Begriffe. Jedenfalls in diesen Kreisen.

Der Rest der Inszenierung bleibt erstaunlich flach und bescheidet sich mit ekstatischem Wühlen im Schmutz (Bühne: Cary Gayler). Ophelia geht nicht ins Wasser, sondern säuft Pflanzengift; und Hamlet darf Veitstänze und Schlammschlachten gegen den bösen Kapitalismus veranstalten, unterlegt wahlweise von Punk, Oper oder Walzer - alles nach draußen spielen, weil drinnen nichts ist.

Am Ende lässt der Regisseur eine Kompanie rechtsradikaler Schwarzhemden aufmarschieren, die das marode europäischeBörsenwesen übernehmen: Eroberer Fortinbras ist bei ihm eine Faschotruppe. In Wahrheit ist es nur das übliche, chorische, flache, laute, von Lösch geliebte Statisten-Theater. Statisten aber machen weder Welt- noch Theatergeschichte, sie provozieren nur ein bisschen. Immerhin brüllten am Ende auch die Abonnenten ihre Buhs; es herrschte eine Stimmung wie in einem Bundesliga-Stadion. Volker Lösch steckt mitten im Abstiegskampf.

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