Ich wollte nicht arbeiten

Angstträume "Huntergrund" - Eine Ausstellung in Basel und ein Gespräch mit dem Maler Daniel Richter

Zeitgleich zur Eröffnung der "Art Basel", der wahrscheinlich wichtigsten Kunstmesse in Europa, hatte das Basler "Museum für Gegenwartskunst" eine Überraschung parat: Der Hamburger Maler Daniel Richter, einer der derzeit bestverkauften deutschen Künstler, zeigt dort Arbeiten aus den letzten fünf Jahren, also das Aktuellste, das er zu bieten hat. Der jetzt 44jährige Richter, der erst im Alter von 30 Jahren zu malen begann, arbeitete zunächst abstrakt und wandte sich dann gegenständlichen Themen zu, so dass man von einer stilistischen und inhaltlichen Neu-Orientierung sprechen muss. Richter nimmt oft Zeitungsfotos und Fernsehbilder als Ausgangspunkt für seine Arbeiten, die sich irgendwo zwischen Traum und Wirklichkeit bewegen. "Huntergrund" heißt die Ausstellung - seltsamer Titel. Denn ein armer Hund ist der Maler keineswegs, rein finanziell jedenfalls; im Untergrund hält er sich eher selten auf, im Hintergrund will er auch nicht stehen.

Die gestischen, von Pollok und de Kooning inspirierten Farbhalluzinationen seiner Anfangsjahre sind für Richter jedenfalls perdü. Die Riesenformate, die er jetzt in Basel ausstellt, haben etwas von Bühnenbildern: Aus einem oft unklaren, nebligen oder grellen Hintergrund schälen sich Personen oder doch figurative Elemente heraus, Punks, Polizisten mit Kampfhunden (die in einem alarmistischen Signal-Orange gemalt sind), einsame nackte Frauen, Kinder. Die Farbe ist wie Placke aufgetragen, in Farbhügeln, mit Spachtelflecken, die Figuren sehen aus wie mit Farbe geröntgt, Karikaturen aus verfremdeten Agenturbildern. Allegorisch sitzt der Künstler, der Narr, als weißhaariger Affe in einem Rollstuhl, marsmenschenhafte Boat People, Flüchtlinge aus der Dritten Welt, treiben in einem Schlauchboot in pechschwarzer Nacht.

Natürlich ist das bezogen auf Géricaults Floß der Medusa - Richter spielt sehr bewusst mit Motiven der Kunstgeschichte, auch in den Titeln. Phienox heißt ein vieldeutiges Bild aus dem Jahr 2000, das den Mauerfall mit der Kreuzabnahme, mit einer Pietà zusammenbringt; der Phönix, der aus der Asche steigt, bewegt sich in Nox, im Dunkel der Nacht. Sigmund Freud steht als nackte Frau in einem giftgrünen Garten Eden. "Das Recht" wird - auch hier wieder ein allegorisches Bild - in Gestalt eines Pferdes zu Tode gequält, und ein "Poor Girl", ein nacktes Mädchen, wirft auf Richters neuem Bild vor einer Blockhütte Papiere von sich, auf einem Kinderspielplatz vor einem fahlen verwüsteten Himmel.

Richter war Assistent bei Albert Oehlen, dem "Neuen Wilden". Da hat er gelernt, wie man Dinge in einen neuen Kontext bringt. Die Bilder haben etwas Urwaldartiges, sie sind grell und oft nur scheinbar ironisch, ein karikaturistisches, schattenhaftes Sampling von Angstträumen. Und das verkauft sich gut - wenn man es denn glauben will: sehr zum Erstaunen des Urhebers.

Und weil Richter als Erzähler und Selbsterklärer mindestens ebenso gut ist wie als Maler, bietet es sich ausnahmsweise an, nicht nur die Bilder zu betrachten, sondern auch mit diesem Typen zu reden, der entwaffnend ironisch (und selbstironisch) auftritt, ein bisschen wie Harald Schmidt. Richter kommt aus der autonomen Szene und hat jahrelang so vor sich hingelebt. Mit dem Fall der Mauer zerstoben - in Westdeutschland - auch einige linke Illusionen und Lebensformen.


FREITAG: Sie haben sehr spät angefangen zu malen. Wieso eigentlich?
Daniel Richter: Ich bin vorher einfach nicht darauf gekommen. Ich hab ein Leben geführt, das jenseits des so genannten bürgerlichen Mainstreams war. Ich komme aus dieser Autonomen- und Hausbesetzer-Szene, die mich stark geprägt hat, auch mein Denken ... Ich hab in der Kneipe gearbeitet und im Plattenladen gearbeitet; also das ist ein sehr von Musik und Politik dominiertes Leben gewesen. Und irgendwann stellt sich natürlich die Frage, ob man mit dieser Form von Leben noch weitermachen kann. Oder ob man anfängt, sich in ausgetretenen Pfaden zu verlieren. Und das musste ich dann mit Ja beantworten.

Als ich 29 war, kam also die große Krise - das war sowohl persönlich als auch politisch begründet. Ziemlich zeitgleich fiel nämlich die Mauer - und die Debatten über die damit zusammenhängenden gesamtgesellschaftlichen Dispositionen fingen an.

Und da hab ich ganz systematisch nach einem Bereich gesucht, in dem ich etwas tun könnte, von dem ich nicht wüsste, worauf es hinausliefe. Und das Interessante ist: Dann bleibt tatsächlich nur Kunst! Als eine Idee von Freiheit, gar nicht romantisch gedacht, sondern wo man wirklich über Denken zu Erkenntnissen kommen kann, von denen man nicht genau weiß, was sie sind, und die sich aber umsetzen lassen in etwas Verallgemeinerbares - das ist Kunst. Sonst gab es noch Philosophie oder abstrakte Mathematik; und alles andere wäre für mich Gelderwerb gewesen. Und ich wollte auf keinen Fall Geld erwerben. Also: Ich wollte nicht arbeiten ... (lacht) ... von morgens neun bis um fünf und Karriere machen, das hat mich nicht interessiert. Bizarrerweise - bevor die Frage kommt! - oder paradoxerweise bin ich ja jetzt doch in einer Ecke gelandet, in der ich mir einen Namen gemacht hab und arbeite und auch Geld dafür bekomme, und zwar nicht zu wenig, und auch davon leben kann - aber das war, ich schwöre, tatsächlich nicht beabsichtigt (lacht).

Aber Sie haben nicht nur die Autonome Szene als Hintergrund, sondern auch eine intellektuelle Ausbildung. Und irgendwann ereilt einen als Kneipenjobber dann dieses Herr-Lehmann-Syndrom...
- (Lacht) Die Wahrheit ist, dass ich nicht studiert hab. Und dass ich auch gar kein Abitur hab. Auch das ist, um jetzt eitel weiter daherzuschwätzen, paradox, weil ich ja Professor geworden bin - aber ohne Abitur! Das ist ein Anachronismus, den gibt es in dieser Form nur noch im deutschen System: dass diese idealistisch-romantische Idee des Künstlers als wie auch immer kreativ schaffendem Genie einem dann sogar zu einer Professur verhelfen kann, obwohl man im sonstigen bürgerlichen Sektor komplett disqualifiziert ist. Ich hab tatsächlich vorher nichts gemacht; kein Abitur, keine Eltern, die Geld haben, keine Ausbildung. Ich bin vollkommen dysfunktional, was das bürgerliche Leben angeht. Nicht in dem Sinne, dass ich meine Stromrechnung nicht bezahlen kann. Aber das alles interessiert mich nicht.

Haben Sie Musik gemacht?
Nein, ich bin vollkommen unmusikalisch. Ich bin stark von Musik beeinflusst und beschäftige mich sehr viel damit und halte Musik auch für die trostreichste der Künste - aber als aktiver Musiker bin ich völlig unbegabt.

Das geht manchen Rockmusikern auch so: Die stoßen bald an Grenzen. Es stellt sich natürlich die Frage: Genau wie in der Musik braucht man auch in der Malerei handwerkliche Fertigkeiten.
Das glaube ich eben nicht. Auch meine Malerei, die von Leuten oft so wahrgenommen wird als irgendwie könnerisch, ist komplett dilettantisch. Also ich kann tatsächlich nicht malen. Ich hab mir Probleme gesucht, die mich interessiert haben und die ich lösen wollte. Und über die Notwendigkeit, diese Probleme zu lösen, hab ich mir bestimmte Fertigkeiten angeeignet. Aber nichts davon hat mit Könnertum zu tun. Ich glaube auch, dass das kontraproduktiv ist, weil das so genannte Könnertum einem Möglichkeiten in die Hand legt, die das eigene Denken und künstlerische Handeln viel stärker prägen, als man selber denkt. Malerei ist da anders als Musik oder Sprache: Da ist der möglichst individuelle Ansatz, also der Gestus, das Entscheidende. Und nicht das Können.

Als ich dann irgendwann dachte, ich müsste für ein bestimmtes Bild perspektivisch malen - da musste ich mir das suchen, musste herausfinden, wie man das macht oder wie man das überzeugend simuliert. Aber ich verfüge nicht über Handwerk. Ich glaube, die meisten Restauratoren kriegen Albträume, wenn sie meine Bilder sehen. Weil die eben mit Mitteln gemalt sind, mit denen man nicht malen soll...

Das Politische ist immer noch vorhanden in den Bildern...
Och ... das kann der Betrachtende, die Betrachterin so sehen ... Das ist zumindest eine der drei Säulen, auf denen mein graziles Werk basiert ... (lacht). Ich wollte Probleme abbilden. Was die übliche Verzahnung politischer Malerei mit moralischer Eindeutigkeit angeht - da steckt etwas drin, was mich immer interessiert hat: die Uneindeutigkeit der Bilder. Engagement basiert immer auf Identifikation und auf einer moralischen Interpretation. Wir wissen aber, dass Bilder natürlich überhaupt nicht eindeutig sind, sondern dass sie eindeutig werden durch unsere ideologischen Konstrukte. Mich hat interessiert, ob man Bilder malen könnte, die das Drama formulieren, aber gleichzeitig auch das Misstrauen gegenüber dem Bild. Und auch die Faszination gegenüber dem Bild. Dieses Moment, das man als Kind noch ganz stark verspürt, dass man etwas sieht, was man nicht einordnen kann und was einen gleichermaßen erschreckt wie fasziniert. Dieser Zustand ist, glaube ich, noch angedockt an so eine paranoide Infrarot-Drogen-Psychedelik. Das ist der Moment, den ich in meiner Malerei am stärksten formuliere. Das ist das Persönliche. Ich hab mir ja nicht Bilder gesucht, so Gerhard-Richter-mäßig, in denen ich Leuten beweisen wollte, wie intelligent ich bin, wie sehr ich weiß, dass ein Bild eine Konstruktion ist, dass ein Image etwas anderes ist als ein Foto, dass ein Foto eine andere Information ist als eine Malerei, das hat mich überhaupt nicht interessiert. Mich hat immer die Faszination des Malens selber beschäftigt. Also der Moment, wenn man zum ersten Mal versucht, Welt zu betrachten, das Irritierende und Beunruhigende daran.

Die Ausstellung heißt seltsamerweise "Huntergrund" ...
"Hunterland" wäre noch ein bisschen patriotischer, oder? Huntergrund heißt Hintergrund.

Im Hinterlande leben wir ...Wie leben Sie heute?
Ich bin so gebeutelt von meinen eigenen Gedanken wie jeder andere auch, und ansonsten kann ich natürlich besser essen gehen als früher (lacht).

Das Problem eines jeden Künstlers ist doch: Wie kann man die Arbeit mit irgendeiner Form von Alltag vereinbaren?
Ich beschäftige mich fast ausschließlich mit Kunst. Auch ein bisschen mit Theater, weil meine Frau Regisseurin ist. Im Grunde habe ich nur mit Dingen zu tun, die andere Menschen künstlerisch herstellen. Comics, Filme, Musik, Theater, Malerei. Dieser Klumpen ist das Zentrum meines Lebens. Das ist natürlich privilegiert. Aber ich kann kaum eine Trennung von Alltag und Arbeit sehen. Alltag ist: morgens Kaffee trinken. Dann geh ich arbeiten.

Sie leben im Atelier ...
Ich lebe tatsächlich die meiste Zeit im Atelier, leider. Das ist eine schlechte Angewohnheit, die ich mir eigentlich wieder abgewöhnen wollte ... Ich müsste mir Kinder anschaffen, um das Atelier wieder häufiger zu verlassen...

Jede Form von Kunst bringt ja einen bestimmten Typus hervor. Wenn man sich Theaterregisseure anguckt: da gibt es einen bestimmten manischen, alkoholisierten, treibenden, sozialdogmatischen Typus. Am Anfang hab ich gedacht: na ja, das ist eben der Typus, der sich da durchsetzt. Die Wahrheit ist natürlich: das bringt diese Form von permanenter Vergesellschaftung einfach mit sich. Dieser permanente Stress, ständig von Leuten umgeben zu sein, immer entscheiden zu müssen. Genauso ist es bei der Malerei: die meisten Maler, die ich kenne, sind eher ... na, ich würd´ nicht sagen: weltabgewandt. Aber immer nur im Atelier sein, mit sich selber beschäftigt, die Unsicherheiten mit sich allein ausmachen müssen, ein- oder zweimal im Jahr eine Ausstellung haben, auf der man dann Leuten begegnet - das führt zu einer bestimmten Form von Denken. Ich mach das jetzt erst zehn Jahre. Nach zwanzig Jahren wird dieses Monomanische vermutlich noch viel stärker.

Dann sagt man nichts mehr ...
Naja, oder man wird so pathetisch. Die Beschäftigung mit sich selbst ist im Grunde nichts Gutes. Ich bin mehr dafür, sich mit anderen zu beschäftigen.

Das Gespräch führte Christian Gampert

Daniel Richter: Huntergrund. Basel, Museum für Gegenwartskunst. Bis 24. Sept. 06., Katalog 42 CHF


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