Im Glashaus der Moderne

Museumsneubau Das "Stuttgarter Kunstmuseum" beherbergt eine der besten Sammlungen zum 20. Jahrhundert - und ist selbst ein Kunstwerk

Wie bekommt man es hin, mitten in der wirtschaftlichen Krise ein neues Museum zu bauen? Es ist nicht ganz unmöglich: Man muss ein bisschen was riskieren - und begriffen haben, dass die Investition in Kunst sich lohnen kann. 67 Millionen Euro hat das Kunstmuseum Stuttgart gekostet, und die Stadt hat das ganz allein aufgebracht, ohne Bundes- und Landeszuschüsse, finanziert durch den Verkauf diverser Energie-Aktien, die man als guter Hausvater für dürre Zeiten in Reserve hat. Da das Museum aber mitten in der Fußgängerzone liegt, am Schlossplatz, hat das Projekt bereits jetzt 250 Millionen Folgeinvestitionen aus der so genannten freien Wirtschaft in die Stadt gezogen - wer Kunst anguckt, kauft nebenbei auch noch was ein, so die simple Logik.

Die Stuttgarter Stadtväter haben kapiert, dass Kunst eine Geldanlage ist: das monumentale, abstrakte, bewegliche Skulptur-Wesen von Alexander Calder namens Crinkley with a Red Disk, das vor dem Museum steht und jetzt aufwändig restauriert wurde, hat man 1980 für sage und schreibe 900.000 Mark (!) gekauft. Der jetzige Schätzwert der Skulptur liegt bei zehn Millionen Euro. Vom Wert der 15.000 Werke umfassenden Sammlung der Stadt wollen wir lieber schweigen - die Stuttgarter haben eine unglaubliche Anzahl von Dix-Ölbildern; insgesamt, mit den Papierarbeiten, besitzen sie 240 Werke von Dix.

Am Stuttgarter Schlossplatz erhebt sich nun also ein 26 Meter hoher Glaskubus, der mit seiner kühlen geometrischen Form den Grundriss des Platzes aufgreift und den Klassizismus des danebenstehenden Königsbaus in die klassische Moderne übersetzt. Es sieht aus, als sei ein von Bauhaus-Schülern designter UFO in der Einkaufsmeile gelandet, als sei ein Komet eingeschlagen - ein Fremdkörper, der die Möglichkeiten des Bauens in dieser traditionsbewussten Stadt der Mittelstands- und Daimler-Geldsäcke auf einen heutigen Begriff bringt. Die Stuttgarter wollen das nicht recht wahrhaben, sie nennen dieses Haus, das schlankere Gegenprogramm zur postmodern verschnörkselten Staatsgalerie des James Stirling, in ihrer typischen Mischung aus Hochachtung und Verniedlichung "des Würfele".

Ausgewürfelt aber wurde hier wirklich nichts: Wenige Meter hinter der Glasfassade wird der Bau innen statisch gehalten von einem dreistöckigen Sockel aus betoniertem, warmgelbem Muschelkalk, der nachts effektvoll angestrahlt wird und den Kubus selbst zu einer bildhauerischen Geste macht. Denn der Bau wandelt sich mit den Tageszeiten: Manchmal wirkt er durchsichtig, manchmal opak, je nach Stärke und Standort der Sonne; nachts ist er eine Leuchtskulptur. Nebenbei wurde von den Ingenieuren ausgiebig getüftelt: Durch die Betonwände hinter der Glasverkleidung fließt im Winter temperiertes Wasser - das führt zu rekordverdächtigen Dämmungswerten. Und im Sommer zieht die Hitze durch das geöffnete Dach ab.

Die Berliner Architekten Hascher und Jehle haben bei dem begrenzten Raum ein logistisches Meisterstück vollbracht, indem sie - durch die Nutzung zweier stillgelegter Straßentunnel-Röhren - vier Fünftel der Ausstellungsräume unter die Erdoberfläche verlegten. Man steigt da in eine Art Kunst-Stollen ein. Schon im Erdgeschoss wird der Besucher von einem extrem langen, sanft ansteigenden Flur ins Gebäude hineingesogen. Seitlich Bibliothek und Bar, zentral ein großer Veranstaltungsraum, nebendran einige leider sehr kleine Ausstellungskabinette; darunter noch einmal ein 115 Meter langer Ausstellungstunnel, der sich freilich an einigen Stellen zu großen, über mehrere Stockwerke reichenden Räumen weitet.

Es hat während der Planungsphase allerdings auch Krach gegeben. Der damalige Museumsdirektor Johann-Karl Schmidt, ein exzellenter Kunsthistoriker und renommierter Ausstellungsmacher, wollte sich gerade mit der Kleinteiligkeit mancher Ausstellungsräume und der Dominanz des Kunstlichts nicht abfinden und polemisierte wütend gegen den Neubau - mit dem Erfolg, dass die Stadt ihn als Galerie-Direktor rausschmiss und ins Kulturamt versetzte. Wenn man die neuen Räume abschreitet, muss man leider sagen, dass Schmidts Kritik zum Teil berechtigt war: Zu schmal sind manche der Kabinette, das ständige Kunstlicht ist gut für die Graphik, aber eben auch düster, nur manchmal bekommt es eine schöne Tageshelle; und manche Räume sind für ausladende Installationen schlicht zu klein - Bruce Naumans brachialer Musical Chair wirkt im oberen Stock doch etwas eingequetscht. Andererseits musste man eben, mitten im Stadtzentrum, von vornherein mit limitiertem Raum planen, und die neue Direktorin Marion Ackermann verliert auch im Eröffnungstrubel kein böses Wort über ihren Vorgänger, der die Sammlung gerade in der Gegenwartskunst durch Zukäufe stark gemacht hat.

Die Sammlung der Stadt Stuttgart wurde 1924 durch die großzügige Schenkung eines gewissen Grafen Silvio della Valle di Casanova begründet und konsequent aufgebaut. In Abgrenzung zur international ausgerichteten Staatsgalerie sammelte man nach 45 vor allem baden-württembergische Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts, und die ist nun endlich auch mal im Zusammenhang zu sehen: wunderbare Bahnhofsbilder des schwäbischen Impressionisten Hermann Pleuer, expressionistische Druckgraphik und Öl von Heckel, Schmidt-Rottluf und Kollegen - und es soll immer auch etwas mit Stuttgart zu tun haben. Deshalb beschäftigt sich die Eröffungsschau ausgiebig mit Adolf Hölzel, dem Stuttgarter Professor, der die Expressionisten anregte und sich selbst dann in Richtung Abstraktion und Ornamentik bewegte; weitere Werkblöcke zeigen seine Schüler Willi Baumeister und Oskar Schlemmer, und ein neuerer Schwerpunkt beschäftigt sich mit der Konkreten Kunst der siebziger und achtziger Jahre - man hat eine ganze Reihe von Installationen und die berüchtigten Schimmelbilder von Dieter Roth.

Natürlich kann man immer nur einen kleinen Teil der Sammlung zeigen. Aber die Eröffnungsausstellung ist auch ein Programm: Man will eine Reibung herstellen zwischen klassischer Moderne und Gegenwartskunst - und hat auch unter den Zeitgenossen einiges zu bieten: eine höhlenartige Installation aus Bienenwachs-Quadern des Wolfgang Laib etwa oder Rebecca Horns Folterstühle, deren Bewegungen ironisch von einer automatisierten Geige begleitet werden. Vom damaligen Süddeutschen Rundfunk produzierte Beckett-Filme aus den siebziger Jahren werden als Videos ebenso gezeigt wie Urs Lüthis fotographische Geschlechtsrollen-Spiele.

Natürlich dominiert Otto Dix die oberen Stockwerke des Glaskubus - auf einer Ebene sieht man in mehreren Papierzyklen seine Traumatisierung durch den Ersten Weltkrieg, einen Stock höher dann die mit dekadenter Wollust gemalten Straßenszenen und Portraits aus den zwanziger Jahren, die ältlich-geile Tänzerin Anita Berber, abgewrackte Huren und Kriegskrüppel, die grandiosen malerischen Nahaufnahmen des Großstadt-Triptychons. Leider stehen auch Bruce Naumans verstümmelte Fett- und Plastik-Tiere Two Wolves, two Deers in diesem Raum - das Thema der Gewalt klammert die stilistisch ganz unterschiedlichen zwanziger und achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts aber nur sehr notdürftig zusammen. Das wirkt etwas befremdlich.

Aber dann kann man ganz oben, im Restaurant, nah herantreten an die Glasfassade des Kubus und wie durch eine riesige Kameralinse hinausschauen in den Stuttgarter Kessel. Es ist nicht Paris, es ist nur Stuttgart bei Nacht, was man da sieht, den Platz mit dem barocken Schloss, die erleuchteten Straßen und Hänge, das Panoramabild einer deutschen provinziellen Großstadt - und trotzdem: Es ist schön.


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