Der Münchner Maler Franz Marc hat Pferde 1899 beim Militärdienst kennengelernt, also in einer Umgebung, die nicht gerade von Freiheit, sondern von Unterwerfung gekennzeichnet war. Das Thema hat ihn sein Leben lang nicht losgelassen; das Tier, das ihm in Zeiten des Gehorsams als Inkarnation von Vitalität und Eleganz erschien, wurde ihm später zum Symbol des Lebens, des Wirklichen, des Seins schlechthin. Seltsame Objektwahl. Auf der Suche nach dem "Wesen" dieses Tieres hat Marc alle möglichen Stile und Formensprachen durchdekliniert - insofern ist die Stuttgarter Ausstellung ein netter kleiner Parforceritt durch die klassische Moderne. Aber die prallen Tierleiber, die wabernden Farbflächen, die später ins Märchenhafte changierenden Dekorationen und die alsbald auch kubistisch gesplitterte Räumlichkeit verdecken mit purer Bild-Quantität eine viel wichtigere Erkenntnis: Dass die Tiere von Franz Marc auch Trojanische Pferde merkwürdigen Inhalts waren, dass die schön komponierten Äußerlichkeiten auch ideologische Botschaften enthalten. Der Maler zeigt uns nämlich recht unverhohlen, wie fasziniert er ist von Herdenverhalten und geballter Energie. Es hilft wenig, dass er das ästhetisiert und bisweilen religiös verbrämt: der Betrachter weiß nicht recht, wohin diese Energie-Ladungen denn sollen, die der Maler so offensiv präsentiert und manchmal, in der Stilisierung, fast anzubeten scheint. Marc, der den ersten Weltkrieg enthusiastisch als "reinigendes Gewitter" begrüßte, hat das dann alsbald erfahren - er starb als Soldat auf einem Erkundungsritt, nicht ohne vorher mit dem "Armen Land Tirol" noch eine depressive Trümmerlandschaft gemalt zu haben, das einzige Bild der Ausstellung, das mit avancierteren Zeitgenossen wie Beckmann oder Picasso mithalten kann.
Natürlich ist es eine etwas einfältige Entscheidung, eine Ausstellung nur mit Pferdebildern zu machen. Aber sie ist publikumswirksam. Schulklassen und Kindergärten, Hobbyreiter und Senioren-Clubs - sie alle sollen und werden nach Stuttgart pilgern, und das hatte Christian von Holst, der Marketing geprägte Direktor der Staatsgalerie, wohl im Sinn. Vielleicht ist es deshalb sinnvoll, nicht nochmals die wunderbare Nettigkeit der blauen, gelben und sogar roten Pferdlein (letztere wurden eigens aus Amerika eingeflogen) zu beschwören, sondern diesen Tieren ein wenig das Fell zu striegeln: Franz Marcs Entscheidung für das Pferd ist eine Kompromissbildung. Nicht nur, dass stets derjenige sich für Tiere entscheidet, der mit Menschen schlecht zurechtkommt; nein, das Pferd selbst ist ein idealer Zwitter aus Wildheit und Dressur, Rohheit und geschmeidiger Zivilisation. Die Verhaltensforscher halten Pferde für typische Fluchttiere, ängstlich, immer nur in der Herde geborgen, in der sie eine Hierarchie bilden; seltsam, dass Marc ausgerechnet mit diesem Tier die "Animalisierung der Kunst" einläuten wollte. Viel wahrscheinlicher scheint, dass Marc auf der Suche war nach Harmonie und Geborgenheit in der Natur, die er naiverweise auf der Pferdekoppel wähnte. In Marcs produktivsten Jahren, also von 1908 bis 1914, waren Pferde immer noch Fortbewegungsmittel, eine Art lebendiges Auto, im Alltag immer präsent. Die emotionale Bindung des Malers an jene atmenden Taxis, denen er in der Natur einen Altar baute, erklärt sich aus den komplizierten (und von ihm bisweilen fluchtartig verlassenen) Dreiecksbeziehungen, die Marc mit älteren Frauen hatte - zwei davon hat er geheiratet, eine pro forma, die andere dann wirklich. Schön zu wissen, dass "Die kleinen gelben Pferde", die bei meinem Sohn im Kinderzimmer hängen, in Wahrheit die Übermalung eines Frauenaktes aus dem Jahr 1908 sind. "Animalisiert" wurde höchstens die Farbe, die auf einmal expressiv eine Gegenwelt behauptete, die jenseits des Sichtbaren liegt. Nein, blaue Pferde gibt es nicht, aber es gibt bläuliche Schatten, die auf Pferde fallen; Pferde schimmern gelblich in fahlem Licht oder werden von grüngelber Natur getragen - aber Marc meinte noch etwas anderes: nach seiner Farbtheorie ist Rot "erdnah", Blau ein "geistig-männliches" (?) Prinzip, Gelb das "Weibliche". Ein bisschen naiv, all das. Der aus einem calvinistischen Elternhaus stammende Marc neigte zu religiösen Spinitisierereien; er, der vorgeblich eruptiv die Farbe als Form nutzte, war wohl eher ein später Nachfahre der deutschen Romantik, ein Möchtegern-Theologe, der sich nun auf modernere Klänge und Sprechweisen einlassen musste. Sein Aufenthalt bei den griechischen Mönchen im Kloster Athos, sein Pantheismus, seine Sehnsucht nach einem "Urzustand" und nach "Zeitlosigkeit", gar nach dem "Kreisen des Blutes" kommen nicht nur in seinen Aufzeichnungen immer wieder vor, sie prägen auch seine Malerei mehr, als man auf den ersten Blick glaubt. Und sie führen ihn in jenen verhängnisvollen Irrtum, der im Krieg ein "Purgatorium" sieht, aus dem der neue europäische Mensch erstehen werde.
Sein Malerfreund vom "Blauen Reiter", Wassily Kandinsky, hat den Zerfall der alten Weltbilder, die Infragestellung des Sichtbaren durch Atomphysik und Relativitätstheorie sehr viel genauer begriffen: bei ihm geraten die Gegenstände in ein wildes Durcheinander und zerfallen bald ganz. Franz Marc dagegen hält bis zum Ende kontemplativ an der Figur, an einer Figur, dem Pferd nämlich fest. Während Kandinsky den Reiter aggressiv als Boten, als Kämpfer für eine neue Bildsprache einsetzt, bleibt Marc beim Pferd als Ikone einer "geistig erneuerten" Welt. Was das heißen sollte, blieb völlig unklar - dem Marcschen Gaul schaute keiner ins Maul. Es ist also durchaus heilsam zu sehen, wie viele reaktionäre Sedimente in der beginnenden Moderne so mitgeschleppt wurden. Und trotzdem ist das natürlich - einfach durch die Vielfalt des Materials - eine schöne Ausstellung: man sieht nicht nur die farblich verfremdete, geballte Tier-Figur, sondern auch blasse Gruppen auf der Weide, nicht nur die energische Bewegung der Tiere, sondern auch nette, märchenhafte Postkarten Marcs an die Dichterin Else Lasker-Schüler; nicht nur Pferdeleiber als Hügelketten, sondern auch Konstruktions-Prinzipien, Stilisierungen, Geometrisierungen.
Das Pendant zum Pferd ist das Schaukelpferd: Marc hat solch farbenfrohe, naive Etüden für den Sohn seines Freundes August Macke gemalt - eine hoffnungsvolle Kinderwelt, das Pferd als Spielzeug, bar jeder mystischen Aufgeladenheit. Dann aber gibt es Pferde mit Menschenantlitz, Fohlen, die einander die Hälse reiben - schon Hans Henny Jahnn fühlte sich mehr zu seinen Stuten hingezogen als zu den bösen Menschenwesen. Schließlich faltet sich auch bei Franz Marc der Raum prismatisch auf, eine Entwicklung, die er vor allem seinem französischen Kollegen Roger Delaunay zu verdanken hat, den er aber nicht so richtig anerkennen konnte. 1912 malt Marc in Schrägsicht "Pferd und Esel", und in der Folge kommen immer neue seltsame Fabelwesen in die Bilder: Löwen, Füchse, Adler, Papageien, Kühe, Lurche, klobige Menschen, die als "Hirten" firmieren, aber mehr wie Tote oder wie Betonklötze aussehen, bisweilen gibt es auch kaulquappig verfremdete, regredierte Pferde, grün, quallig, amphibienartig. Dann wieder türkis grundierte Wände, Sternlein am Himmel - Marc wechselt munter zwischen der Welt der Märchen und jener parzellierten, industrialisierten Wirklichkeit, die auf einen Krieg zutaumelt und die er wohl peripher, aus den Augenwinkeln wahrnimmt, die er aber nicht lesen kann. So übernimmt Marc von Delaunay und Paul Klee wohl den Sinn für Musikalität und das Spiel mit Geometrien, er klappt die "Stallungen" wie eine Fuge aus- und ineinander, verlängert den Tierrücken, malt seine Tiere in gezackten Gewitterstürmen, aber in anderen Bildern findet man immer noch freundliche Mondsicheln und Sonnenscheiben, kosmische Geborgenheit neben der politischen Bedrohung.
Erst spät wird Marc gedämmert sein, dass das "träumende Pferd", das er 1913 in tiefes Blau getaucht hatte, einem deprimierten grauen Klepper würde weichen müssen, wie er ihn bald danach im "armen Land Tirol" apokalyptisch darstellte. Marc malte im selben Jahr auch "schlafende Tiere" vor einer kubistisch gebrochenen Gewitterlandschaft - und ging trotzdem mit voller Überzeugung als Offizier in den Weltkrieg, den er als Befreiung empfand. Er glaubte an die Wiedergeburt und sah das Leben nur als Durchgangs-Stadium - diejenigen, die sich heute an seinen kleinen gelben Pferdchen delektieren, sollten bedenken, dass Franz Marc auch die ganze Wirrheit einer Epoche repräsentiert. Die Bilder sind nur die Oberfläche. Das Pferd, das Franz Marc zum "absoluten Wesen" ernannte, war eine Täuschung.
Staatsgalerie Stuttgart, bis 10. September. Gezeigt werden 122 Werke Franz Marc, Gemälde, Zeichnungen, Gouachen. Der Katalog (Verlag Hatje Cantz) kostet 39 Mark.
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