Das Material dieser Ausstellung reicht sicherlich für mehrere Doktorarbeiten, und doch ist vieles – notgedrungen – nur angetippt. 13 hochspezialisierte Kuratoren stellen Strategien vor, mit denen Künstler unter den Bedingungen der Repression arbeiteten. Die Arbeiten stammen aus Lateinamerika und aus Osteuropa, die Künstler lebten also – in den 1960er bis 1980er Jahren – unter Militärdiktaturen oder aber unter realsozialistischen Regimen. Wer sich erinnert, wie die bundesdeutsche Linke sich in jener Phase verhalten hat, der wendet sich mit Grausen: lautsprecherische Solidarität mit den Unterdrückten der Dritten Welt, aber kleinmütige Kumpanei mit den Machthabern des Ostblocks.
Viele der Künstler, die hier ausstellen, haben bezah
aben bezahlt für ihre Arbeit – mit Gefängnis und Schikane oder auch mit der Zerstörung der Kunstwerke durch den Staat. Und in Stuttgart kann man nun erfahren, dass in schlechten Zeiten der Körper, die Sprache, der Kopf die letzten Refugien bleiben, aus denen heraus widerständige Kunst möglich ist. Wer nicht ausstellen kann, muß sich was aus-denken, Konzepte entwickeln.Die reichen vom ironischen, aber gleich wieder abgebauten Protestschilderwald des Ungarn Gyula Pauer (Zitat: „In der Kunst ist die Wahrheit immer elegant“) bis zu den Arbeiten chilenischer Künstler, die Fotos von Getöteten und Verschwundenen wie Pin-ups in die Bilderstrecken der Boulevardpresse montierten; von Aktionen peruanischer Künstlergruppen, die Ikonen des Widerstands mosaikartig aus bemalten Konservendosen auf der Straße zusammensetzten, bis zu den poetischen Kritzeleien, den Mikroschriften des DDR-Bürgers Carlfriedrich Claus, die die Behörden einfach nicht verstanden.Hirn gegen die MauerUnd das war natürlich verdächtig. Die Künstler nutzten eine Sprache, die zwar nicht verboten, aber im offiziellen Kanon nicht vorgesehen war. Der Brasilianer Arturo Barrio zum Beispiel legte in Zeiten der Armut Brotbündel in der Stadt aus. Nicht nur die Passanten, auch die Behörden waren verwirrt. Die „Autoperforations-Artisten“ in Dresden schnitten sich in den achtziger Jahren blutige Kopfverbände auf, rissen sich künstliche Augen aus der Kopfmaske und schleuderten Hirnmasse gegen die Mauer. Die Interventionen der Staatsmacht gegen solche Veranstaltungen hatten immer auch etwas Tölpelhaftes, Hilfloses. Sie kapierte nicht, was da vorging, also mußte es weg.Vieles, was in Stuttgart nun ausgestellt oder dokumentarisch rekonstruiert wird, war damals jedenfalls nicht sehr lange im öffentlichen Raum präsent – oder fand von vornherein nur privat statt. Andererseits ist es überrraschend, wie gut vernetzt die Künstler waren – und dass diese Verbindungen auch zwischen Südamerika und Osteuropa bestanden. Die Universität von Sao Paulo etwa war ein Zentrum der Mail-Art – man kann Kunst ja auch per Brief verschicken. Und: all diese Bewegungen strebten nicht nach einer Mehrheitsfähigkeit, die sowieso nicht zu erreichen war. Das Produzieren von Kunst allein war schon subversiv, weil nicht vorgesehen, die Aktion als solche hatte einen Eigenwert, man versicherte sich seiner Existenz, indem man dabei war – und einige wenige erreichte.Unter den Bedingungen der Diktatur hat so etwas einen anderen Geschmack als die selbstbestätigenden Fackelläufe der europäischen Wohlstands-Friedensbewegung. Eines der schönsten Kapitel ist der Sowjetunion gewidmet, Sabine Hänsgen hat es eingerichtet: sie dokumentiert Aktionen, die außerhalb der Stadt Moskau, oft auf schneebedeckten Feldern stattfanden und die Politrituale des Roten Platzes parodistisch in einen leeren Naturraum verlegten. 118 solcher „Reisen aus der Stadt“ sind aufgelistet – und Satellitenfotos von „Google Earth“ zeigen uns, wo das alles stattfand. Der Besucher kann also überprüfen, wie es dort heute aussieht – die historisch scheinbar weit entrückten Konzepte können folglich in die Putinsche Gegenwart fortgeschrieben werden…Verachtung der OffiziellenEs gäbe viel zu erzählen: von dem Rumänen Ion Grigorescu, der im Schlafanzug salutierte und den eigenen Körper als Kotzapparat benutzte; von Staffelläufen und Cartoons in Peru, wo Sergio Zevellos mit blutigen, transvestitischen Heiligenfiguren die Folter thematisierte; von dem Argentinier Edgardo Antonio Vigo, der in einer vorausschauenden Aktion Holzstücke vergrub, so wie man später die verbotenen Bücher vergraben sollte. Wichtig sind nicht die einzelnen Werke, sondern der gemeinschaftliche Impetus dieser Bewegungen. Und wenn auch manchmal der kunsttheoretische Diskurs der Ausstellung das konkrete Material merkwürdig überlagert, so bleibt doch die Verachtung spürbar, die die Ausgestoßenen (vor allem der DDR) den Offiziellen, und das heißt: auch den offiziellen Malerfürsten, entgegenbrachten.