Vor dem Forum der Landesbank in Stuttgart steht ein 15 Meter hohes Trojanisches Pferd. Es stecken aber keine Griechen drin, sondern viel Geld. Eine halbe Million Mark hat das hölzerne hohle Monstrum gekostet, und die große Troia-Schau in den postmodernen Hallen der Landesbank kostet noch eimmal 4,2 Millionen. Baden-Württemberg und der Bund sind also spendabel, und das veranstaltende Baden-Württembergische Landesmuseum hat die türkischen Museen um Exponate bekniet.
Da spielt nicht nur hehres wissenschaftliches Interesse eine Rolle: 3 Millionen Türken leben in der Bundesrepublik, und die Ausstellung will unter anderem zeigen, dass eine der berühmtesten europäischen Epen, die Ilias, in Anatolien spielt, und also der türkische Gastarbeiter irgendwie auch ein Kulturbringer ist. Das Projekt will nebenbei auch die Beziehungen zur Türkei verbessern, die mit den Menschenrechten im Allgemeinen und den Linken und den Kurden im Besonderen nicht gerade zimperlich umgeht. Aber wenn man gemeinsam die Hand über Troia hält, die Herren Präsidenten Rau und Sezer fungieren als Schirmherren, kann man beruhigt auch wieder Panzer liefern - es kommen ja ein paar alte Vasen zurück, zumindest leihweise.
Seit Heinrich Schliemann 1870 mit den Ausgrabungen begann - und dabei nicht nur diverse Goldschätze fand, sondern auch wichtige Gesteins-Schichten kaputtmachte - hat sich unser Troia-Bild gründlich gewandelt. Der renommierte Tübinger Archäologe Manfred Korfmann, der seit 13 Jahren in Troia gräbt, fand nämlich heraus, dass die von einem Autorenkollektiv namens "Homer" beschriebene Stadt etwa fünfzehnmal größer war als von Schliemann angenommen, eine Großstadt also. Korfmann ist auch wissenschaftlicher Leiter der Ausstellung, die nun fein säuberlich "Traum und Wirklichkeit" dieser Stadt untersuchen will: Der Mythos wird parterre dokumentiert, die alten Scherben aus den insgesamt 9 troianischen Grabungsschichten sieht man einen Stockwerk höher.
Mythos heißt: Homers Ilias und die Folgen. Denn die sagenhafte Geschichte vom Krieg um eine schöne Frau wurde auch viel später machtpolitisch genutzt: Gaius Julius Caesar berief sich auf seine (angebliche) troianische Abstammung (den Anchises-Sohn Äneas verschlug es auf seiner Flucht nach Latium), und die europäischen Herrscherhäuser bis hin zu den Habsburgern hielten sich alle für Abkömmlinge der Troianer, edle Menschen also allesamt. Wir sehen in dieser Abteilung schwarzfigurig bemalte griechische Amphoren, die, hintereinandergestellt, wie ein Film die Geschichte des Krieges erzählen, die Wahl des Paris, den Zorn des Achill, den Bittgang des greisen Priamos, der um die Herausgabe der Leiche des Hektor bettelt. Per Projektor können wir in alten Abschriften der Ilias blättern, wir sehen unter Caesar geprägte römische Münzen und später dann ein bisschen Kunstgeschichte: im 16.Jahrhundert stach Jean Mignon den Raub der Helena in Kupfer, im 17. malte Rubens pathetisch den Tod des Achill.
Wer sich bei soviel beliebig zusammengestellter Kunst langweilt, kann sich an einen Computer setzen und Troia selbst rekonstruieren. Denn darum geht es ja: welche der insgesamt 9 Grabungs-Schichten enthält die von Homer beschriebene Stadt? Der Troianische Krieg wird auf das zwölfte Jahrhundert vor Christus datiert. Was erzählen die Funde? Die Tongefäße und Waffen, Spangen und Schmuckgegenstände, die Korfmann ausgebuddelt und nun ausgestellt hat, legen zumindest eines nahe: dass Troia durch seine günstige Lage an den Dardanellen, zwischen Schwarzem Meer und Mittelmeer, an der Schiffahrt gut verdient hat, indem es Zölle abkassierte. Es herrschte ein gewisser Wohlstand, und die Handelsbeziehungen der Stadt reichten - die Funde belegen dies - vom Kaukasus bis nach Ägypten, von Griechenland bis nach Afghanistan.
Korfmann ist allerdings vorsichtig, wenn es um den Troianischen Krieg geht. Die von Homer beschworene Existenz von Figuren wie Hektor und Agamemnon wird sich archäologisch sowieso nie beweisen lassen. Die Ausgrabungen legen allerdings nahe, dass Homer sich auf eine ihm bekannte reale Stadt bezog, als er die Ilias schrieb, dass das historische Troia um 1200 v. Chr. also die Kulisse für eine möglicherweise erfundene Geschichte bildete.
Einzelne Fundstücke sprechen vom Krieg. Es gibt zum Beispiel eine Silberschale mit einer luvischen Inschrift, die als Fertigungs-Datum "ein Jahr nach dem Krieg von Troia" angibt. Aber welcher Krieg ist gemeint? Es mehren sich jedenfalls die Zeugnisse vor allem in hethitischen Schriften, nach denen im 13.Jahrhundert v. Chr. die Auseinandersetzungen zwischen den Achaiern, also Mykene, und der Stadt Vilusa, möglicherweise Troia, stark zugenommen haben. Um was es in diesen Kriegen ging, ist zweifelhaft: Um Bodenschätze? Um die strategisch wichtige Position an den Dardanellen? Keiner weiß es.
Manfred Korfmann hat in den letzten zehn Jahren die Umrisse der Unterstadt von Troia entdeckt und freigelegt, einer riesigen Fläche unterhalb der Burganlage mit ihren massiven Gebäuden. Neben der großen Befestigungsmauer gibt es auch eine kleinere. Und die in Stuttgart gezeigten Exponate belegen den Alltag dieser Stadt, die langsame Verbesserung handwerklicher Techniken durch die Legierung von Kupfer und Zinn in der Bronzezeit, die Verfeinerung der Töpferkunst. Man kann das nachvollziehen am tönernen Essgeschirr und den Schmuckgegenständen der High Society, aber auch an Rüstungen und Rapieren.
Die Ausstellung schlägt einen manchmal ein bisschen tot mit Information, und sie hat ein gelecktes, postmodernes Design, ganz im Gegensatz also zum mühseligen und wohl auch blutigen Zeitalter, das in der archäologischen Abteilung aufbereitet werden soll. Im Schlussteil siegt dann die Unterhaltungs-Industrie: Filmplakate zu Troia, Troia-Comics, Troia-Videos, Troia in der Werbung. In Amerika gibt es - nachweislich - sogar Troia-Präservative, wahrscheinlich für die, die störrische Festungen jahrelang belagern wollen.
Die Sage vom sinnlosen Krieg um eine begehrenswerte Frau schlägt die archäologische Wissenschaft also allemal. Den meisten Zuschauern dürfte dabei egal sein, dass hier noch einmal das Klischee von den verführerischen, vergnügungssüchtigen Frauen und der dummen, aufeinanderschlagenden Männerhorde voluminös inszeniert wird. Irgendwie ist der Mythos eben doch schöner als nur Ton, Steine und Scherben.
Troia - Traum und Wirklichkeit, große Landesausstellung. Landesbank Stuttgart, bis 17.Juni. Danach in Braunschweig (Landesmuseum) und Bonn (Bundeskunsthalle). Katalog 49 Mark.
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