Am 9. Oktober 1999 herrschte in der Leipziger Innenstadt Sicherheitsstufe eins: schon im Morgengrauen wurden die in der Nähe der Nikolaikirche parkenden Autos abgeschleppt, hätte ja 'ne Bombe drin sein können. Hunderte von Polizisten saßen gelangweilt in ihren grünen Minnas und warteten auf Gerhard Schröder. Der Kanzler wollte in der Nikolaikirche beten, staatsmännisch in die Kameras gucken und der Demonstranten gedenken, die vor zehn Jahren über den Ring gelaufen und "Wir sind das Volk!" gerufen hatten.
Außerdem eröffnete Gerhard Schröder ein neues Museum, das "Zeitgeschichtliche Forum". Das ist die Ost-Variante des Bonner "Hauses der Geschichte". Über "Opposition, Widerstand und Zivilcourage in der DDR" soll da berichtet werden - also über all das, was im wiedervereinigten Deutschland dann nicht mehr so angesagt war. 30 Millionen Mark hat der Bundestag über eine Stiftung in das Projekt gepumpt, und angesichts der simplen Wahrheit, dass die Geschichte immer von den Siegern geschrieben wird, ist natürlich zu fragen, wer denn hier als Schriftführer fungierte. Ost- und West-Wissenschaftler gemeinsam, sagt Rainer Eckert, der Leiter des Museums. Eckert kommt aus der Bürgerbewegung. Konflikte habe es vor allem zwischen den Ossis gegeben: die einen wollten nur die Geschichte des Widerstands schreiben, die anderen eine Alltagsgeschichte der DDR bieten. Gezeigt wird nun beides: von der Heiratsurkunde (wegen Wohnungszuweisung) bis zu den Flugblättern von 1989.
Trotzdem beschleicht einen ein seltsames Gefühl, wenn man die mit modernsten museumsdialektischen Mitteln arbeitende Ausstellung betritt: die stalinistische Muffigkeit des untergegangenen Staates wird im schicksten West-Design und mit neuester Technik multimedial evoziert. Walter Ulbricht sächselt auf Tonspur immer wieder, dass ohne die Kapitalisten alles tausendmal besser geht, Leuchtwände, Möbel, ein Kino, Soundtracks ("Die Partei, die Partei, die hat immer recht"), inszenierte Räume, in denen alte Sowjet-Kanonen und Lenin-Denkmäler stehen, DDR-Schlager auf Kopfhörer, mit Fingerberührung abrufbare Videos von Mauerflüchtlingen und Schauprozessen - das gestylte Outfit ist dem, was da erzählt werden soll, seltsam unangemessen.
Es ist wie ein Blättern in alten Alben: im besten Fall wird ein Gefühl angestoßen, immerhin, die Feinanalyse muss man selber leisten.
Der Parcours wird dem Besucher, je nach Ost- oder West-Sozialisation, Unterschiedliches sagen: Sowjet-Offiziere in Karlshorst, Feliks Dzierzynski, Hilde Benjamin, Notaufnahmelager Berlin-West, "Spur der Steine", HO und Intershop, die Berichte des Politbüros, die sich wie Enzykliken lesen (schön sind vor allem die Stellungnahmen zur Popmusik), "hohe Leistungen im Wettbewerb zu Ehren des XI. Parteitags", "sind so kleine Hände", die Biermann-Ausweisung, Honecker in Bonn, Chefzimmer der MfS-Bezirksverwaltung Karl-Marx-Stadt, der Gefangenen-Transportwagen Barkas B 1000, Stasi-Filme von 1989 (für jeden Punkt eine eigene Kamera). Ein Höhepunkt: Stasi-Mitarbeiter entreißen am 1. Mai 1989 Demonstranten ein Gorbatschow-Plakat. Ja, von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen, wie man's auch wendet. Und Erich Mielke sagt: Ich liebe euch doch alle.
Hinter dem Rücken der Ausstellungsmacher setzen sich zum Teil Beliebigkeit und Sentimentalität durchs, bisweilen auch historische Leerstellen: dass die Gründung der DDR schlicht eine Reaktion auf die Proklamation der Bundesrepublik war, wird gar nicht erwähnt. Andererseits ikonisiert man Dinge wie die Bassgitarre der Renft-Combo, den Trabi oder Biermanns alte Klampfe. Das alles ist verständlich, aber nicht unbedingt erkenntnisleitend. Hätte man nicht besser den Besetzern der Normannenstraße oder der inneren Gespaltenheit vieler linker DDR-Flüchtlinge ein Forum geben können? Stattdessen beschwört man den Mut und die Zivilcourage der Montagsdemonstranten, die heute oft eher mut- und arbeitslos sind.
Die Ausstellung hört also dort auf, wo die eigentlichen Probleme beginnen: mit der Wiedervereinigung. Mit den Bildern der Gauck-Behörde wird klar: die wahre Geschichte vieler der damaligen Protagonisten ist noch gar nicht erzählt - oder darf, siehe Manfred Stolpe, vielleicht auch nicht erzählt werden. Schließlich wird hier offiziell Geschichte geschrieben, im Namen der Bundesrepublik.
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