Wenn es nach den Summen geht, zu denen ihre Bilder gehandelt werden, ist sie ein Star. Wenn man die Themen betrachtet, die sie bearbeitet, muss man sich ein bisschen Sorgen machen. Wenn man sie dann trifft, kommt einem eine resolute, herzliche Frau entgegen, der die Attitüden des Kunstbetriebs ziemlich fremd zu sein scheinen.
Marlene Dumas hat es nicht gelernt, als Künstlerin dieses Distanziert-Geheimnisvolle zu spielen, das dann als Aura gilt. Wahrscheinlich hat sie das auch nicht nötig; das Geheimnis überlässt sie lieber ihren Figuren. Gleich im ersten Saal der Baden-Badener Ausstellung hängen über 200 Frauen-Portraits, Tusche auf Papier, die die Personen seltsam verwischt und fern erscheinen lassen, aber etwas von ihrer Verletztheit und Verlorenheit erzählen: Females. Es sind oft ganz unsymmetrische Gesichter, sie wirken - aufgrund verschiedener Techniken - wie gekratzt oder vernäht, und sie sind allesamt nach fotografischen Vorlagen gefertigt, Köpfe, wie sie auf den Titelseiten von Illustrierten erscheinen. Namenlose, alltägliche Gestalten, aber auch derangierte Ikonen: Brigitte Bardot sieht bei Dumas aus wie ein kleines Ladenmädchen mit Mut zur Depression, in Auflösung begriffen. Diese Figuren sind keinem medialen Schönheitsideal mehr verpflichtet; die Künstlerin versucht vielmehr, gegen die Fotografie so etwas wie personale Wahrheit zu behaupten, dem meist voyeuristischen festgezurrten Medien-Bild etwas Individuelles, Bewegliches entgegenzusetzen - Selbstsuche in der Masse der Abbilder.
Die Traurigkeit, die die fast immer in Grautönen changierenden Frauenköpfe verströmen, ist nicht unbedingt identisch mit der Befindlichkeit der Marlene Dumas. Die 52-jährige, in Südafrika geborene Künstlerin ist eine lebensfrohe und humorvolle Person, die gerne lacht - und dieser Witz schlägt sich bisweilen auch in ihren Arbeiten nieder. Die Ausstellung beschreibt da einen schönen Bogen, weil sie sehr frühes Material aus den siebziger Jahren zeigen kann. Arbeiten, die sich mit der Körperhaftigkeit der Dinge beschäftigen - wie ein von einem Bus überfahrenes Buch etwa - oder die Bild und Text als pop-art-geschulte Comic-Zeichnung ironisch kontrastieren.
Dumas hat sich immer mit dem Körper beschäftigt. Bereits die 19-Jährige nähert sich dessen Wahrheit über schemenhafte, virtuos komponierte Tuschebilder erstaunlich frühreif und in der Zartheit an Zeichnungen von Joseph Beuys erinnernd. Die Grundfrage ist immer: Kann man überhaupt noch ein Bild einer Person anfertigen? Ein Körper-Bild? Kann man anderen nahe kommen? Wie kann man sich als Frau bewegen, definieren?
Allerdings wäre es falsch, Marlene Dumas als Feministin zu vereinnahmen. Ihre Themen sind weiblich inspiriert, aber ob sie den angeblich besitzergreifenden männlichen Blick "desillusioniert", wie die Museumstexte es gern behaupten, das scheint eher zweifelhaft. Sie spielt mit dem Blick des Betrachters, der plötzlich auf sehr bunten Pin-ups verweilen muss, auf hochgereckten Brüsten, "Glitter-Bras", auf schwarzen Schaftstiefeln und nackten Frauen im Schaufenster. Diese Figuren teilen sowohl lustvolle Verfügbarkeit wie auch Distanz mit, sie spielen, sie nehmen Posen ein, sie entkleiden sich und zeigen dabei doch nichts von sich selbst.
Stripping Girls heißt der berühmteste Zyklus der Marlene Dumas; ein Bild daraus ist auch in Baden-Baden zu sehen. Die Gleichzeitigkeit, früher hätte man gesagt: die Dialektik von Entkleiden und Verhüllen ist das malerische Grundprinzip von Dumas, und das Grelle dieser softpornographischen Inszenierungen ist ebenso sarkastisch wie das wunderbar blaue Großformat, in dem sie Kunstagenten, Mäzene und Sammler, die ganze Kunst-Kamarilla, in Monets Seerosenteich absaufen läßt: Hölle heißt das Bild - "the people of the artworld in Monets lake of searoses". Das lässt sich noch steigern: Ungerührt zeigt Dumas eine ganze Phalanx von Frauenhintern, wohlgeformte und hängende, bleiche und pralle, an einer Balkonbrüstung. Feminismus ist das nicht, eher feministische Selbstironie.
Vom abstrakten Expressionismus kam sie zum Comic, von der Ironie zur Provokation. "I enjoy painting", ich male einfach gern, sagt Dumas, und dieses sinnliche Element sollte man nicht unterschätzen. Rein taktil empfindet es die Künstlerin nämlich so, dass die Haut der dargestellten Figuren auch die Haut der Leinwand ist: Bereits in frühen Zeichnungen schrumpelte das Papier und wellte sich, und der drei Meter lange, blaustichige, großformatige, hilflos händewedelnde Säugling mit maskenhaftem Gesicht (übrigens ihr eigenes Kind, obwohl das Ölbild Warhols Baby heißt) hat eine schrundige, aufgekratzte Stirn und wunde Gliedmaßen.
Im Gegensatz dazu stehen Arbeiten, die etwas Starres, Totes transportieren, der extrem verkürzte schräge Blickwinkel auf einen weißen Frauenhals wie bei Mantegna oder der aufgebahrte dunkle Missionar, eine Holbein-Paraphrase. Im riesigen Hochformat dann eine triste, langhaarige Maria Magdalena, die hämisch als Patronin der Friseure vorgestellt wird.
Dieses Wechseln zwischen Verzweiflung und Ironie, zwischen dem Sinnlichen und dem, was auf den Bildern unsichtbar bleibt und was den Betrachter auf sich selber zurückweist: Das ist das Wesentliche. Marlene Dumas bietet uns nicht Bilder, sondern Bildbefragungen - angesichts der Coolness des aktuellen Kunstbetriebs ist das etwas Seltenes.
Marlene Dumas: Female. Kunsthalle Baden-Baden, bis 26. Februar. Katalog 22 EUR
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