Weniger Arbeit, Sekt für alle

Chamäleon Frieder Burda, Josef Froehlich und Reiner Speck feiern Sigmar Polke - und ein bisschen auch sich selbst

Das jüngste Bild dieser Ausstellung stammt aus dem Jahr 2005: Menschenbrücke heißt es, eine abstruse, irreale, turnerische Anordnung mehrerer gleich aussehender Herren, die per Kopfstand eine Brücke bilden. Frieder Burda hat das Großformat im letzten Jahr gekauft, jetzt hängt es im Foyer seines Museums. Es gehört schon in die Kategorie der Lackbilder, die Sigmar Polke seit den achtziger Jahren fertigt, aber der Gestus der Ironie verbindet dieses Werk mit den ganz frühen Polke-Arbeiten Anfang der sechziger Jahre, als er, in der Auseinandersetzung mit der Pop-Art, Hunde, Yetis und so genannte Kartoffelköpfe ins Bild brachte oder einfach "Schwarzbrot, Graubrot, Weißbrot".

Es geht also um Bedeutendes, nicht nur auf den Bildern. Denn jenseits von Grundnahrungsmitteln und Yetis stellt sich die Frage, aufgrund welcher diplomatischen Interventionen drei zumeist auf den eigenen Vorteil bedachte, schwerreiche und nicht unnarzisstische Bildbesitzer zu einer gemeinsamen Ausstellung zusammenkommen, sich also auf den Kopf stellen und eine "Menschenbrücke" bilden. Und: Können drei Privatsammler nur mit ihrem eigenen Bestand überhaupt eine Schau konzipieren, die die Vielfalt eines Gesamtwerks nachzeichnet und den Titel Retrospektive beanspruchen darf?

Mit der Hilfe von Götz Adriani, der vor dreißig Jahren in Tübingen schon einmal eine Rückschau auf die damals verfügbaren Polke-Werke veranstaltete, geht das offenbar schon. Adriani bildet Werkblöcke und macht verschiedene Phasen sichtbar. Und er macht die unterschiedlichen Besitztümer kenntlich: Josef Froehlich hat vor allem das Frühwerk gesammelt, also die sechziger und siebziger Jahre; Burda hat seine Käufe strategisch über das Gesamtwerk verteilt und deckt damit über 40 Jahre ab; und Reiner Speck hat als allererster überhaupt Polke gekauft, vor allem frühe, intime Sachen - und dann wieder seit den neunziger Jahren.

Rein kunstpolitisch zeigt das, wie stark die Abhängigkeit der Museen von sammelnden Einzelpersonen mittlerweile geworden ist: Bei bestimmten Künstlern geht ohne die Sammler nichts mehr. Bleiben die Ankaufs-Etats der Museen so kümmerlich wie im Moment, wird sich diese Entwicklung noch verschärfen. Aus der anderen Perspektive betrachtet: Der Kauf eines frühen Polke-Werkes stellt sich heute als immens lohnende Investition heraus. Seit Polke in den achtziger Jahren auf der internationalen Bühne zu agieren begann, haben sich die Preise für seine Werke vervielfacht. Wer früh ein Bild oder ein paar Zeichnungen erstand, kann (um es in Gebrauchswert zu übersetzen) dafür heute eine solide Drei-Zimmer-Wohnung erstehen. Das Vermögen von Burda oder Speck ist weit jenseits solch profaner Rechnungen; aber der darbende Intellektuelle des Hartz-IV-Zeitalters sollte einmal darüber nachsinnen, ob er, statt allwöchentlich den Lottozettel auszufüllen, nicht besser auf der "Art Basel" ein paar preiswerte Bilder unbekannter Meister erwirbt.

Polke weiß, wie man einen Mythos erzeugt, ein Künstler-Star wird - und wie man es bleibt. Nicht nur mit einem Konzept und seiner Hände Arbeit. Sondern auch mit einer Medien-Strategie: die Frage, ob überhaupt ein einziges Polke-Interview existiert, wäre eine Recherche in den Archiven der Republik wert. Polke spricht nicht, er lässt andere sprechen: Kuratoren, Sammler, Kritiker. Vor zwei Jahren ist er mit mir einmal durch seine - im Aufbau befindliche - Ausstellung im Züricher Kunsthaus gegangen, die charakteristischerweise die Künstlerfigur als Demiurgen, als Zauberer feierte. Polke erläuterte bereitwillig seine Arbeitsmethoden im Atelier und die verschiedenen Techniken, die zu den seltsam fluoreszierenden, halb durchsichtigen Bildgründen seiner Lackarbeiten führen - unter einer Bedingung: Das Mikrophon bleibt aus. Steht eine Pressekonferenz an, lässt er durch die Medien-Attachés ausrichten, man wisse nicht, ob er komme. Er kommt dann natürlich nicht. Wird er im Park vor dem Museum gestellt, ergreift er die Flucht oder ist müde. So bleibt man auf geniale Weise im Gespräch, mit allen und bei allen.

Dieses Spiel zwischen Ironie und Ernst ist allerdings auch seinen Bildern eigen: Der Mann zeigt ständig seine Waffen, sein Handwerkszeug - und lässt sich doch nicht in die Karten gucken. Sein Gangster von 1988, auch so eine Figur auf durchschimmerndem Grund, schlägt ganz weit seinen Mantel auf und zeigt, was er auf der Innenseite versteckt hat. Es sind lauter kleine Packungen - aber was ist da drin? Dope? Brillanten? Kleinode der Kunstgeschichte? Auf seltsame Weise scheint dieses späte Bild immer noch zum "Kapitalistischen Realismus" zu gehören, den Polke (zusammen mit Gerhard Richter und anderen) 1963 ausrief, in schöner Abgrenzung zu einem anderen, viel ernsthafteren, östlicheren Realismus.

Polke ist ganz locker: Die mit wenigen Strichen auskommenden Papierarbeiten seiner Frühphase tragen so klangvolle Titel wie "Weniger Arbeit, mehr Lohn" oder "Sekt für alle", sie huldigen auf sarkastische, scheinnaive Art dem Ideal der Kinderzeichnung. Und diesen Werken sieht man ihre (auch ideologische) Herkunft aus den sechziger Jahren an, als man dem bürgerlichen Kunstbegriff - mit Kugelschreiber-Zeichnungen - sarkastisch Paroli bieten musste, als aber auch das entfremdete Individuum in der Rasterung der Agentur-Bilder verschwand. Später wurden dann ironisch-dekorative Tapetenmuster daraus, und noch später wandelte sich Polke zum ironischen Magier, zum Alchimisten, der mit seltsamen Materialien hantierte, der Kunstharze auf durchsichtiges Polyestergewebe schmierte und kunstgeschichtliche und mythische Motive durcheinander quirlte, von antiken Götterfiguren bis zu Goya und Max Ernst. All diese Phasen sind in der Ausstellung hochkarätig präsent: Man sieht ein paar schöne Beispiele vor allem der Raster-Bilder, jener Malerei, mit der Polke gerasterte Zeitungs-Fotos, Agentur-Bilder kunstwürdig machte. Exemplarisch die Freundinnen von 1966, sich räkelnde Freizeitweibchen im Bikini, die hinter der ornamentalen, agentur-pointillistischen Struktur des Bildes sich fast auflösen - figurative Malerei, die ins Abstrakte spielt.

Das Changieren zwischen Gegenstand und abstraken Mustern ist so typisch für Polke wie der ständige Wechsel zwischen High and Low, zwischen Seriösität und Heiterkeit: Da ist einer im Comic ebenso zu Hause wie in den Bildern von Caspar David Friedrich oder der mittelalterlichen religiösen Malerei. Er ist von kriminellen Hütchenspielern so fasziniert wie von Blauen Blumen, fünfziger-Jahre-Liebespaaren, banalen Schwimmbadbesuchern, feisten Cupidos und, etwas hochtrabender, dem Atemkristall, das in dem kathedralenartigen Hauptraum bei Burda als großformatige abstrakte Farbverfließung, -verflüssigung wunderbar zur Geltung kommt. Alles ist bildwürdig.

Und alles kann auch auf industriell bedruckten Stoffen und Tapetenmustern gemalt werden - wie das berühmte Dollar-Bild, auf dem die Schlange (im Paradies) eine Hostie mit eingebranntem Dollar-Zeichen im Maul trägt, während in einer ei-artigen Enklave ein Keith-Haring-Strichmännchen der Hand Gottes mutig entgegentritt. Die Ausstellung schreitet dann flott voran zu den Lackbildern der Spätphase seit den achtziger Jahren, bei denen Polke mehrere Schichten von Kunststoffsiegellack auf einen Synthetikstoff gießt, um darauf dann obskure Motive zu skizzieren, Hannibals Elefanten und biblische Verkündigungs-Szenen, Gummibärchen und Ritter oder auch ein Ornament aus dem "Gebetbuch Kaiser Maximilians". Das Heiligsprechen banaler Stoffe und das Profanisieren heiliger Motive - schon wieder so eine Polkesche Dialektik, die die Ausstellung vorführt, wenngleich die mit Farbe prunkenden, strotzenden Ölwerke ein wenig den Blick verstellen auf das eigentlich noch zu entdeckende, ganz minimalistische zeichnerische Werk.

Trotzdem: Die Großformate in der hohen Haupthalle des Burda-Museums sind großartige Beispiele für die exzentrischen, abstrakten, vielfach changierenden Farbexperimente Polkes. Aber immer, wenn man das Chamäleon Polke auf einen Stil festlegen möchte, ist er schon einen Schritt weiter und dreht einem eine Nase. Was er tut, wird angeblich ja von ganz oben gesteuert. Wie der Titel eines Polke-Bilds schon 1969 lakonisch erläuterte: "Höhere Wesen befahlen: rechte obere Ecke schwarz malen".

Polke - eine Retrospektive. Die Sammlungen Frieder Burda, Josef Froehlich, Reiner Speck. Burda-Museum Baden-Baden, bis 13. Mai. Katalog, Hatje Cantz 28 Euro.


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