Gaudi minus Pathos gleich Denkmal

Gedenken II Badewannenrennen vorm Völkerschlachtdenkmal oder wie man durch heitere Aneignung eines kriegerischen Kolosses die Banalität des Leipziger Freiheitsdenkmals verstehen kann
Teilnehmer des Badewannenrennens vor dem Völkerschlachtdenkmal in Leipzig. Doch: Spaßveranstaltung und Gedenkstätte, geht das zusammen?
Teilnehmer des Badewannenrennens vor dem Völkerschlachtdenkmal in Leipzig. Doch: Spaßveranstaltung und Gedenkstätte, geht das zusammen?

Foto: naTo e.V.

Es ist inzwischen 20 Jahre unterhaltsame Tradition, dass vor Leipzigs Völkerschlachtdenkmal in einem hüfttiefen Wasserbassin das sogenannte Badewannenrennen stattfindet. Während 100 Meter weiter in der Ruhmeshalle des Kolosses den Toten des Krieges gedacht wird, tobt auf dem Wasser der Spaß. Eine bunte Menge Menschen jauchzt bei diesem nassen Wettbewerb einmal im Jahr, wenn in selbst gebauten Gefährten um die Wette gerudert wird.

Initiiert wurde das Happening von Paul Fröhlich, einer prägenden Figur der Leipziger Kulturszene, der vor drei Jahren viel zu jung starb. Ein Jahr vor dem 200. Jahrestag der Völkerschlacht wächst heuer Widerstand gegen das Badewannenrennen. Die Spaßveranstaltung vertrage sich nicht mit der Gedenkstätte, heißt es.

Dagegen könnte man einwenden, dass das Badewannenrennen den monumentalen Bau überhaupt erst erträglich macht in der Gegenwart. Ein Ereignis mit gut gelaunten Menschen vollzieht sich vor in Stein gehauenem kriegerisch-heroischem Pathos.

70.000 Herbstgärten

Und durch diese heitere Aneignung in Fröhlichs Sinne lässt sich eine Verbindung vom Völkerschlachtdenkmal ins Heute ziehen. Das zeigen die gerade prämierten Entwürfe für das in Leipzig geplante Freiheits- und Einheits-denkmal, das an die Ereignisse im Jahr 1989 erinnern soll: Sie konzipieren das neue Denkmal als von den Bürgern gestaltbares und modulierbares Objekt, das nicht Monument, sondern Verhandlungssache sein will.

Der erstplatzierte Entwurf mit dem Titel 70.000 sieht ein aus vielen bunten Quadraten bestehendes Areal vor, das die Vielschichtigkeit der Demonstrationsbewegung 1989 symbolisieren soll und mit gleichfarbigen Hockern bestückt ist. „Die gewollte Mitnahme der Objekte in private und öffentliche Räume trägt den Gedanken der Redefreiheit in jeden Winkel der Stadt und darüber hinaus“, dichtet die Pressemitteilung. Der zweitplatzierte Entwurf will einen Platz der Meinungsfreiheit schaffen, der farblich getrennte öffentliche Nutzungszonen auf dem Areal markiert. Der dritte Entwurf sieht einen Herbstgarten mit Apfelbäumen vor, durch den sich überdimensional die Worte „Keine Gewalt“ ziehen. Die Früchte sollen jeden Herbst gemeinschaftlich geerntet werden.

Die Formen des Mitmachens, das heute im Denkmal immer schon vor-gesehen ist, sind verschieden: 70.000 und Platz der Meinungsfreiheit fokussieren auf die individuelle Er-fahrung und belassen es beim Eventcharakter für den Einzelnen, die Idee des Herbstgarten trägt dagegen die Kraft eines gemeinsamen Rituals in sich. Wie beim Badewannenrennen.

Badewannenbank

Wobei dann auffällt, wie nah sich Fröhlichs Spaß und denkmalhafter Ernst heute sind: Wo das Badewannenrennen von der Wucht des Völkerschlachtdenkmals entlastet, flüchtet sich das Freiheitsdenkmal gleich in kindliche Buntheit. Ob darin der Sinn von Denkmälern besteht, kann man bezweifeln.

Dass es einfacher ist, die Erinnerung an eine Person in ein Baudenkmal zu fassen, als komplexe historische Ereignisse monumental abzubilden, zeigt wiederum Paul Fröhlich. An ihn, der auch ein Seifenkistenrennen sowie das famose Neujahrssingen Leipziger Gastronomen erfunden hat, erinnert eine alte Badewanne, die auseinandergesägt am Fockeberg nun als Bank dient.

Christian Horn lebt als freier Journalist und angestellter Kulturarbeiter in Leipzig

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