Was Whistleblower für gesellschaftliche Debatten bedeuten, zeigen dieser Tage wieder einmal die Veröffentlichungen zu den Panama Papers. Ausgerechnet jetzt will das Europaparlament die Rechte von Unternehmen auf Kosten von Journalisten und Whistleblowern stärken – durch eine Richtlinie über den Schutz der Geschäftsgeheimnisse. Sie gibt Unternehmen, in denen Informationen geleakt wurden, ein ganzes Maßnahmenbündel an die Hand, um die Wahrung des Geschäftsgeheimnisses durchzusetzen. Werden Enthüllungen bald seltener, weil Informanten zu viel Angst haben?
Die lobbykritische NGO Corporate Europe Observatory hat die Entstehung der Richtlinie anhand von Dokumenten rekonstruiert. Es ist ein Lehrbeispiel über die Lobbyverhältnisse in Brüssel. Erste Anstöße zur Entwicklung der Richtlinie gab die Trade Secrets & Innovation Coalition (TSIC), ein Zusammenschluss von multinationalen Konzernen wie Alstom, General Electric und Nestlé. Im Jahr 2010 wurde in einem Schreiben der mit der Angelegenheit betrauten Kanzlei White & Case an die für Copyright und Markenrechte zuständige Kommissionsbeamtin auf eine rechtliche Regelung gedrungen. Nach weiteren Korrespondenzen verpflichtete die Kommission zwei Jahre später eine andere Anwaltskanzlei, Baker & McKenzie, mit der Erstellung einer Studie. Besondere Erfahrungen der Kanzlei im Hinblick auf Medien- und Pressefreiheit sind nicht bekannt. Im November 2013 veröffentlichte die Generaldirektion Binnenmarkt auf der Basis der Studie ihren Richtlinienvorschlag.
Im Europaparlament war das Thema im zuständigen Ausschuss im vergangenen Jahr auf der Agenda. Jetzt ist die Unruhe bei vielen Abgeordneten groß. Zu lange wurde ohne aktive Einbindung von Journalistenverbänden oder Gewerkschaften vor sich hin gewerkelt. So warnt Cornelia Haß von der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union: „Das Inkrafttreten der Richtlinie würde de facto zu einer Einschränkung von Presse- und Informationsfreiheit auf europäischer Ebene führen. Journalistinnen und Journalisten hätten ebenso wie Whistleblower massive rechtliche Konsequenzen aus Enthüllungen zu befürchten und wären dadurch in ihrer Arbeit deutlich eingeschränkt.“
Ein schmaler Grat
Das Ergebnis der jahrelangen Verhandlungen ist äußerst unbefriedigend. Die Definition des Geschäftsgeheimnisses ist in der Richtlinie viel zu weitgehend, so dass Unternehmen willkürlich jede Angelegenheit zum Geschäftsgeheimnis erklären können. So heißt es etwa: „Geschäftsgeheimnisse sind Informationen, die von kommerziellem Wert sind, weil sie geheim sind.“ Der Deutsche Gewerkschaftsbund kritisiert, dass damit den Unternehmen die Deutungshoheit über deren Geheimhaltungsrechte eingeräumt werde.
Der zweite Kritikpunkt betrifft die Beweislastumkehr. Laut der EU-Abgeordneten Julia Reda von der Piratenpartei wird zwar die Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen mit Hinweis auf die Pressefreiheit auch künftig möglich sein. Doch im Streitfall müssen Journalisten nachweisen, dass sie zum Schutz öffentlichen Interesses und zur Aufdeckung strafbarer, ordnungswidriger oder illegaler Tätigkeiten interne Informationen verraten haben. Ansonsten drohen ihnen hohe Strafen.
Das europäische Kampagnennetzwerk WeMove.eu – eine Art europäischer Ableger von Campact – ruft schon seit Wochen die Bürger zum Protest gegen die Richtlinie der EU-Kommission auf. Am Donnerstag steht die Regelung nun auf der Tagesordnung des Europaparlaments.
Gerade die Panama Papers zeigen, wie schmal der Grat zwischen illegalen und legalen, aber verwerflichen Geschäftspraktiken ist. Kurz: Auch über legales Verhalten kann und muss berichtet werden können. Wie sonst sollen Bürger und Interessengruppen von Missständen erfahren? Wie sonst können sie Druck auf die Politik ausüben, um gerade diese Gesetzeslücke zu schließen?
Mehr als die Hälfte wirtschaftskrimineller Taten in Unternehmen wird durch Anzeigen von Beschäftigten aufgedeckt. Das bekannteste Beispiel ist der Gammelfleischskandal. Kritische und investigative Berichterstattung ist auf Whistleblower angewiesen. Journalisten brauchen Hinweise von Insidern, um Missstände aus Unternehmen an die Öffentlichkeit zu bringen. Das ist nicht nur in einer demokratischen, offenen Gesellschaft notwendig, sondern auch in einer Marktwirtschaft. Unternehmen, die in die Qualität ihrer Produkte vertrauen, müssen ein hohes Interesse haben, dass andere Unternehmen, die illegale oder verwerfliche Wettbewerbsvorteile nutzen, dafür an den Pranger kommen.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.