Europas Bauern sind im Biospritrausch. In der EU wurden 2008 knapp zehn Millionen Tonnen Biodiesel und Biobenzin hergestellt. Doch andernorts führt diese Art der Bodennutzung zur Abholzung von Regenwäldern. Biosprit ist oft sogar klimaschädlicher als Treibstoffe aus Erdöl. Aber davon will das EU-Agrardepartement nichts wissen.
Wenn möglich soll überhaupt niemand davon erfahren: Eine von der EU-Kommission in Auftrag gegebene Studie des deutschen Fraunhofer Instituts wurde entsprechend gekürzt, wie aus Emails hervorgeht, die der Nachrichtenagentur Reuters vorliegen. Vertreter des Landwirtschaftsressorts haben eine Textstelle zensiert, die sagt, dass Biosprit aus Sojabohnen viermal klimaschädlicher sein kann als normales Benzin aus Erdöl.
Kein Einzelfall: Bei einer anderen Studie, ebenfalls von der EU-Kommission beauftragt, wurde nicht der Abschlussbericht verfälscht, sondern die EU-Beamten haben den Autoren unsinnige Annahmen vorgegeben. Die Expertise des International Food Policy Research Institutes (IFPRI) kam denn auch zu einem für Biosprit vorteilhafteren Ergebnis als die erwähnte Fraunhoferstudie. Doch das Ergebnis ist nur so zutreffend, wie die Annahmen, die darin enthalten sind. EU-Beamte hatten den IFPRI-Forschern gegenüber erklärt, sie erwarteten, dass vom gesamten Biospritverbrauch 55 Prozent auf Biodiesel und 45 Prozent auf Biobenzin entfällt. In Wirklichkeit aber dürften 80 Prozent auf Biodiesel entfallen, wie einer der Autoren der Studie selber zugesteht. Der Trick: Biodiesel ist noch klimaschädlicher als Biobenzin. Geht man also von einem zu geringen Biodiesel Anteil aus, dann verbessert sich die Klimabilanz der Biotreibstoffe.
Wenn Pflanzen wachsen, filtern sie CO2 aus der Luft. Sie benutzen das C, den Kohlenstoff, zum Wachsen und geben die beiden O, den Sauerstoff, wieder an die Luft ab. Verbrennt man nun die Pflanze oder nutzt sie zur Herstellung von Biosprit, dann wird wieder CO2 frei: das CO2, das die Pflanze zuvor aus der Luft gefiltert hat. Der Kreislauf ist also klimaneutral, da kein zusätzliches CO2 freigesetzt wird. Doch was im kleinen Maßstab richtig ist, kann falsch sein, wenn eine Multimilliarden-Industrie darauf beruht. Denn im großen Maßstab kommen weitere, indirekte Effekte hinzu.
Und genau das passiert beim Biosprit. Viele Länder, allen voran die EU und die USA, verpflichten die Mineralölkonzerne, ihrem Benzin und Diesel Biosprit beizumischen. Damit haben sie einen gigantischen Markt geschaffen: Im Jahr 2007 kamen 1,8 Prozent des weltweiten Benzin- und Dieselverbrauchs nicht aus einem Bohrloch, sondern vom Acker.
Mittlerweile setzt die Branche weltweit 76 Milliarden Dollar um – bis 2020 werden 247 Milliarden angepeilt. Gleichzeitig steigt der Bedarf nach Nahrungsmitteln. Wegen der wachsenden Weltbevölkerung und zunehmendem Fleisch- und Milchkonsum in großen Schwellenländern muss die Nahrungsmittelproduktion bis 2030 um 50 Prozent zulegen. Um die steigende Biosprit- und Nahrungsnachfrage zu befriedigen, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder man erhöht die Erträge pro Hektar Landwirtschaftsland, oder man nimmt derzeit noch ungenutzte Flächen unter den Pflug. Doch das Potential für Ertragssteigerungen ist begrenzt, und so erfordert die steigende Biospritproduktion die Umwandlung von Wald, Weiden oder Brachen in Ackerland. Dieser Effekt nennt sich „Indirekte Veränderung der Bodennutzung“ oder auch „Indirect Land Use Change“(ILUC).
Und ILUC hat es in sich. Denn bei der Umwandlung von Wald in Ackerland wird CO2 freigesetzt. Eine Studie der Universität Minnesota kommt zum Schluss, dass durch die veränderte Bodennutzung 17 bis 420 mal mehr CO2 freigesetzt wird, als durch die Verwendung von Biosprit eingespart wird. Im schlimmsten Fall muss man also 420 Jahre lang warten, bis der Anbau von Energiepflanzen tatsächlich einen positiven Einfluss auf das Klima hat.
„Wir nehmen die indirekte Veränderung der Bodennutzung sehr ernst“, sagt EU-Energiekommissar Günther Oettinger. „Darum haben wir mehrere Studien in Auftrag gegeben. Wenn es sich bestätigt, dass es im Zusammenhang mit ILUC ein gravierendes Problem gibt, dann besteht die Möglichkeit, die Gesetzgebung anzupassen.“ Das heißt konkret: Die EU könnte ihr Ziel aufgeben, bis 2020 sieben Prozent des Treibstoffverbrauchs durch Biosprit zu ersetzen. Jean-Luc Demarty, der Chefbeamte im EU-Landwirtschaftsdepartement, hat denn auch die Gefahr für die Biospritindustrie erkannt: Die Berücksichtigung von ILUC „würde Biosprit in der EU killen“, schrieb Demarty letzten Dezember einem Kollegen.
Damit das nicht passiert, manipuliert das EU-Landwirtschaftsdepartement in oben beschriebener Weise wissenschaftliche Studien. Oder man berät die Biospritlobby, wie sie am besten gegen die neuen Expertisen vorgeht. Dies behauptet zumindest Reuters und beruft sich dabei auf EU-Quellen. Die Branche versucht derweil, vom Thema abzulenken: „Niemand spricht über die indirekten Effekte der Ölförderung. Schauen Sie sich mal an, was im Golf von Mexiko passiert“, sagt der Chef der europäischen Biodiesellobby Raffaello Garofalo.
Er finde es „skandalös“, dass die EU Kommission Ergebnisse von wissenschaftlichen Studien versteckt, auf denen die Klimapolitik beruht, kritisiert Tim Gabriel von der auf Umweltrecht spezialisierten Anwaltskanzlei ClientEarth. „Wenn die Leute ihren Tank mit Biosprit füllen, haben sie ein Recht darauf zu wissen, ob sie so die Entwaldung auf der anderen Seite des Planeten fördern.“ Die Beamten im EU-Agrarressort aber meinen, die Leute sollten das besser nicht wissen. Denn sonst droht der Biospritrausch mit einem Biospritkater zu enden.
Biosprit ist oft nicht nur klimaschädlicher als Erdöl, sondern hat zwei weiteregravierende Nachteile:
Hungerrevolten: Der Anstieg der Lebensmittelpreise 2008 ist größtenteils auf die Produktion von Biosprit zurückzuführen. Damals kam es in knapp 40 Ländern zu Hungerrevolten. Eine Weltbankstudie zeigt, dass Nahrung zwischen 2000 und 2008 wegen der Biospritproduktion um 75 Prozent teurer wurden. Der Schweizer Jean Ziegler hat die Subventionierung der Kraftstoffe vom Acker als Verbrechen gegen die Menschheit bezeichnet.
Wassermangel: Derzeit leben 500 Millionen Menschen in Gebieten mit Wasserknappheit. Diese Zahl wird sich Studien zufolge bis zum Jahr 2050 auf vier Milliarden erhöhen. Der Getreidehandel wird dann zu einer indirekten Form des Wasserhandels. Da passt es schlecht, dass für die Herstellung von einem Liter Biosprit 4.560 Liter Wasser benötigt werden. Nestlé-Chef Peter Brabeck-Letmathe: Die allgemeine Begeisterung für Biokraftstoffe ist ökologischer Wahnsinn.
Der Experten-Beiratder Bundesregierung Globale Umweltveränderungen empfiehlt jetzt, die Förderung von Biokraftstoffen im Verkehrsbereich so schnell wie möglich einzustellen.Ökologischer Wahnsinn
Christian Mihatsch war in der Wirtschaftsredaktion der Basler Zeitung tätig, arbeitet heute als freier Autor in Bangkok und ist Korrespondent des Online-Magazins wir-klimaretter.de
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