Soldaten sind keine Ersatzpolizisten

Bundeswehr Nur keine Aufregung: Das Urteil des Bundesverfassungsgericht bedeutet nicht, dass die Armee im Inneren frei militärisch agieren darf
Hier wird nicht scharf geschossen - bis auf weiteres
Hier wird nicht scharf geschossen - bis auf weiteres

Foto: Karsten Koall / Getty Images

Noch ist nichts verloren. Das Bundesverfassungsgericht hat zwar entschieden, das Grundgesetz lasse bei „besonders schweren Unglücksfällen“ den Einsatz militärischer Mittel zu. Trotzdem darf die Bundeswehr bis auf Weiteres im Inland eben doch so gut wie nicht militärisch agieren. Ein Dammbruch liegt also (noch) nicht vor.

Schon seit 1969 erlaubt das Grundgesetz den Einsatz von Militär auf heimischem Territorium, und zwar „zur Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer“. Der Gebrauch militärischer Waffen wurde von Karlsruhe also keineswegs zum ersten Mal zugelassen.

Und bereits 2006 entschieden die Richter im (ansonsten vielgelobten) Urteil zum Luftsicherheitsgesetz, dass drohende Terroranschläge als Unglücksfälle einstuft werden müssen. Auch das war eine Erweiterung militärischer Zuständigkeiten.

"Katastrophisches Ausmaß"

Neu ist nun das Konzept, mit dem das Gericht versucht, die Folgen dieser Entscheidung einzudämmen. Denn damals hatte der Erste Senat der Bundeswehr noch den Einsatz von Waffen bei Unglücksfällen verweigert. Das fand der Zweite Senat abwegig: Wenn schon Militär, dann auch richtig.

Deshalb hat die Vollversammlung der Verfassungsrichter nun neue Einschränkungen definiert. Danach muss der Unglücksfall mindestens von „katastrophischem Ausmaß“ sein. Der Einsatz gegen Demonstranten ist nicht erlaubt. Das Ausrücken schon vor einem Anschlag ist nicht möglich. Und der Einsatz muss durch die gesamte Bundesregierung angeordnet werden.

Diese sprunghafte Rechtsprechung ist zwar ärgerlich und weckt Zweifel an der Verlässlichkeit des Gerichts. Trotzdem: Die Verfassungslage ist heute nicht militaristischer als vor der jüngsten Karlsruher Entscheidung. Denn nebenbei wurde auch präzisiert, dass ein „Einsatz“ der Bundeswehr schon dann vorliegt, wenn diese drohend und einschüchternd benutzt wird. Mit anderen Worten: Es wird nicht noch einmal vorkommen, dass Tornados und Spähpanzer Demonstranten beobachten, wie das bei den G8-Protesten in Heiligendamm der Fall war. Soldaten sind eben keine Ersatzpolizei.

Wider die Resignation

Nach dem Karlsruher Beschluss darf die Bundeswehr nun zwar verdächtige (und möglicherweise von Terroristen entführte) Jets mit Jagdflugzeugen abdrängen. Das ist ihr aber eigentlich schon seit Einführung des Luftsicherheitsgesetzes 2005 erlaubt. Abschüsse von Passagierflugzeugen bleiben dagegen verboten. Gut so.

Für weitere Befugnisse der Truppe im Inland wäre ein Gesetz oder sogar eine Grundgesetzänderung erforderlich. Dass die entsprechenden Mehrheiten zusammenkommen, ist nach den Reaktionen der Parteien (inklusive FDP) auf das Urteil im Moment nicht sehr wahrscheinlich.

Es sollte also niemand so tun, als wäre der alltägliche Einsatz der Bundeswehr im Inland überhaupt nicht mehr aufzuhalten – so wie es jetzt in vielen Kommentaren zu lesen war. Die vorschnelle mediale Resignation ist gefährlich: Denn so gewöhnt man sich an eine angeblich neue Rolle der Bundeswehr, die es in Wahrheit gar nicht gibt.

Christian Rath ist promovierter Jurist und Journalist

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