Seit 37 Jahren steht Adam Opel, den Blick stoisch geradeaus und das einstige Hauptportal der von ihm gegründeten Firma im Rücken, auf dem Bahnhofsvorplatz im Zentrum von Rüsselsheim. Wäre man abergläubisch, könnte man meinen, die ganze Misere des Unternehmens habe genau damit zu tun.
Ursprünglich thronte die Statue nämlich vor Tor 20 des Opel-Werks. Solange sie dort stand, ging es für Opel bergauf. Es waren die goldenen Jahre des damals größten deutschen Autobauers. 1980 aber wurde das Denkmal hierher in die Stadtmitte geholt. Ein Jahr später machte Opel erstmals seit Jahrzehnten Miese. Nach und nach verspielte das Unternehmen seinen Kredit, schlitterte von einer Krise in die nächste Umstrukturierung. Und nun der Epochenbruch,
chenbruch, der Fragen aufwirft: Machen das Ende der 88-jährigen Existenz als Tochter von General Motors und die Übernahme durch Peugeot Société Anonyme (PSA) für Opel alles noch schlimmer? Ist der Fluch, der mit dem Denkmal am Bahnhof einhergeht, gebrochen? Oder wird der Standort Rüsselsheim selbst zum Industriedenkmal?Eine der Folgen des jahrzehntelangen Niedergangs hat Adam Opel unmittelbar vor Augen. Im Zentrum der gleich vor den Toren Frankfurts gelegenen 63.000-Einwohner-Stadt Rüsselsheim grassiert der Leerstand. Es blühen die Ein-Euro-Shops. Kein Wunder, hat Opel binnen 20 Jahren allein in Rüsselsheim fast 30.000 Stellen abgebaut. Doch jetzt werden die Karten für Opels Zukunft wieder kräftig durchgemischt. Auch die Passanten, die über den Bahnhofsplatz eilen, wissen nicht, was sie fürchten, was sie hoffen sollen. Einer ist froh, dass man die „Amis“ endlich los sei, ein anderer malt einen Kahlschlag an die Wand und wünscht sich eine Mobilisierung der Belegschaft. Wofür oder wogegen, das kann er allerdings auch nicht genau sagen.Vielleicht denkt er an das Jahr 2009. Wenige Meter vom Denkmal entfernt hängen im Schaufenster eines Teeladens zwei Fotografien aus jenen aufwühlenden Monaten. Sie zeigen eine Menschenmenge, die sich dicht an dicht auf dem Bahnhofsvorplatz drängt. Opelaner und Rüsselsheimer im Schulterschluss. Seinerzeit drohte die Insolvenz von GM in den USA, Opel und damit die ganze Stadt in den Abgrund zu reißen. Es schlug die Stunde von Klaus Franz. Der seinerzeitige Vorsitzende des Gesamtbetriebsrates mobilisierte die Belegschaft unter der Parole „Wir sind Opel“, organisierte Aktionstage, scheuchte die nationale Politik auf und schmiedete im Hintergrund Pläne, Opel aus dem Mutterkonzern in Detroit herauszulösen.Letzteres scheiterte zwar. Immerhin aber überstand Opel die Krise. Über diese Rettung hat Franz aus dem Ruhestand aktuell ein Buch veröffentlicht und wenige Tage zuvor hier im Teeladen vorgestellt. Natürlich ging es dabei auch um die Gegenwart. Auch jetzt fordert Franz lautstark die Beteiligung der Arbeitnehmer an der Zukunftsgestaltung und die europäische Solidarität der Belegschaften ein.Es ist eine eigentümliche Situation: In den vergangenen drei Jahren wurde man bei Opel – unter der Ägide von GM – nicht müde zu betonen, auf welch gutem Weg man sei. Tatsächlich stellt das Unternehmen wieder vielversprechende Autos her, hat es Absatz wie Marktanteile gesteigert und die Schwarze Null in den Blick genommen. Der Wachstumsplan schien zu greifen. Nun aber wird Opel in Windeseile zum Schnäppchenpreis weitergereicht, mit PSA übernimmt ein direkter Konkurrent das Kommando; ein Konzern, der mit ähnlichen Autos auf dem gleichen Markt um die gleichen Käuferschichten buhlt; dessen Werke ebenso wenig wie die von Opel ausgelastet sind; der in den vergangenen Jahren mit rigider Sanierung wie massiven Stellenkürzungen in die schwarzen Zahlen gebracht wurde; und der schon jetzt die Marschrichtung vorgegeben hat: Die Übernahme soll jährliche Einsparungen von 1,7 Milliarden Euro erbringen.Elektrokompetenz ging zu GMDoch kaum war der Deal vereinbart und hatte PSA sich verpflichtet, die tariflichen wie betrieblichen Verträge einzuhalten und bis 2020 kein Werk anzutasten, sind bei Opel nur positive Töne zu vernehmen. Vorstandschef Karl-Thomas Neumann spricht von „der sich eröffnenden Chance, ein neues erfolgreiches Kapitel unserer Geschichte aufzuschlagen“. Selbst Betriebsrat und Gewerkschaften, die noch Mitte Februar eine „beispiellose Verletzung sämtlicher Mitbestimmungsrechte“ angeprangert hatten, bleiben weitgehend in Deckung. Inmitten eines unternehmerischen Sturms herrscht seltsame Ruhe.Vom Stadtzentrum dehnt sich das Opel-Werk in westlicher Richtung kilometerweit aus. Entlang roter Backsteingebäude und rostiger Zäune erreicht man nach wenigen hundert Metern das Tor 20, einstiger Standort des Adam-Opel-Denkmals. Es ist eine zugige und raue Ecke, überzogen vom Grau einer jahrzehntelangen industriellen Produktion. Durch die Gitterstäbe des Tores hindurch ist das Presswerk sichtbar, einst die größte Werkshalle der Welt. Hier werden tonnenschwere Stahlplatten zu Türen, Dächern und Kotflügeln gepresst.Auf der anderen Straßenseite haben sich ein Imbiss, eine Pizzeria und der Kiosk P20 auf die Bedürfnisse der Arbeiter eingestellt. Ab und an kommen Männer in grauschwarzen Overalls und mit festen Sicherheitsschuhen durch das Drehkreuz herüber und versorgen sich mit einem Döner, einer Stulle oder einer Packung Zigaretten. Zwei bleiben stehen. Als sie von der Übernahme hörten, seien sie geschockt gewesen, erzählen sie. Vor einer Woche sind sie auf einer Betriebsversammlung informiert worden. Immerhin sei durchgesetzt worden, dass bis 2018 niemand seinen Job verliert und Opel als Marke wie als Unternehmen bestehen bleibt. Es sei auch eine Chance, dass Opel künftig Autos außerhalb von Europa verkaufen darf, meint einer der beiden. Sein Kollege nickt. „Aber klar, Muffensausen haben alle.“Trotz der Schonfrist schießen die Spekulationen ins Kraut, welches Werk künftig welchen Teil vom Produktions- und Konstruktionskuchen abbekommt – oder eben nicht. Wer ist am produktivsten, wer kann mit hoher Auslastung und Profitabilität punkten? Wo würde ein Abbau von Stellen durch Sozialpläne am teuersten, wo wäre er politisch am leichtesten durchzusetzen? Wird der Mini-SUV Mokka wie vorgesehen ab 2019 im thüringischen Eisenach vom Band laufen? Wie gefährdet ist das Komponentenwerk Kaiserslautern in Rheinland-Pfalz? Wird Opel überhaupt weiterhin Motoren bauen, obwohl PSA beim Antrieb technisch die Nase vorne hat? Der Wettbewerb ist eröffnet: standort-, länder- und markenübergreifend. Aber vielleicht sind es aktuell nicht einmal die Arbeiter aus den Press- und Montagewerken, die sich am meisten sorgen müssen.Von Tor 20 aus führt eine nicht enden wollende Schleife um das Werksgelände herum. Das Areal ist etwa so groß wie das Fürstentum Monaco. Vorbei an der Schmiede, dem Getriebewerk und schließlich der Fertig- und Endmontage, wo der Zafira und der Insignia vom Band rollen. Je weiter man zurück Richtung Stadtzentrum kommt, umso mehr weichen die Industriebauten modernen Komplexen aus Glas und glänzendem Stahl. Der größte beherbergt das Internationale Technische Entwicklungszentrum (ITEZ).Erst vor wenigen Monaten ist es um das 210 Millionen Euro teure Test- und Entwicklungsgebäude P60 erweitert worden, in dem Ingenieure und Techniker an den Antrieben der Zukunft arbeiten sollen. Das Problem ist: GM hat in den vergangenen Jahren die bei Opel vorhandene Wasserstoff- und Elektrokompetenz in die USA abgezogen, auch im ITEZ dreht sich das meiste um fossile Technologien. All das könnte sich für die 8.000 Ingenieure in Rüsselsheim bald rächen.Geht die Verwaltung nach Paris?Denn PSA beschäftigt selbst 13.000 Mitarbeiter in den Bereichen Entwicklung und Forschung – nachdem zuletzt bereits 3.600 Stellen abgebaut wurden. Um die vielzitierten Synergien zu heben, werden die Franzosen alles daransetzen, die gesamte Modellpalette der Marken Peugeot, Citroën, DS und Opel so schnell wie möglich auf einheitliche Plattformen umzustellen. Denn dadurch entstehen mehr identische Bauteile, wodurch sich beim Einkauf Skaleneffekte erzielen lassen. Darüber hinaus können Entwicklungsleistungen eingespart werden. Als noch folgenreicher für die Rüsselsheimer Ingenieure könnte sich der Vorsprung von PSA bei den Elektroantrieben erweisen. Schon 2019 soll die Technologie für Elektro- und Plug-in-Fahrzeuge bereitstehen, mit der dann auch die Opel-Tochter ausgestattet werden kann. Eine verlängerte Werkbank aber will niemand sein.Vom ITEZ ist es nur ein Katzensprung zur Europazentrale von Opel. Hinter einem künstlichen Teich erhebt sich das 2014 modernisierte sechsstöckige Adam-Opel-Haus mit gewaltigen Glasfronten. In dem von Licht durchfluteten Foyer warten Meeting-Points, Opel-Bistro und Opel-Shop auf Mitarbeiter und Besucher. Der Blitz ist allgegenwärtig, von Blaumann oder Arbeitsschuhen jedoch ist nichts mehr zu sehen, hier werden Hemd und Sakko oder Hosenanzug getragen und glänzende Autos präsentiert.Doch auch unter diesem hohen Dach dürften die Sorgen groß sein. Einkauf, Vertrieb oder Marketing könnten künftig zentral von Paris aus geführt werden, auch in der Verwaltung ist mit Einschnitten zu rechnen. Reden will in diesem Gewühle darüber aber niemand. Lediglich der Vertreter eines Zulieferers flüstert mit düsterer Miene: „Die Übernahme ist für niemanden hier gut. Man darf nie vergessen, wer wen gekauft hat.“ In der Tat: Wie viel unternehmerische Eigenständigkeit wird PSA der neuen Tochter zugestehen? Welche Entscheidungen werden in Rüsselsheim, welche in Paris getroffen? Erneut wird Opel getrieben. Vorstandschef Neumann soll bis zum Jahresende einen Zukunftsplan vorlegen. Der muss auch in Paris überzeugen. PSA-Chef Tavares hat es kürzlich so gesagt: „Die Freiheit ist direkt proportional zur Profitabilität.“Gewerkschaften und Betriebsräte stehen vor der Mammutaufgabe, sich nicht ausspielen zu lassen. Zusammenstehen im Mahlwerk des globalen Marktes. Gemeinsam haben sie mitgeteilt, dass sie dem Verkauf nur zustimmen werden, wenn es ein tragfähiges Konzept für Opel gibt. Völlig offen ist noch, welche Rechtsform die künftige Opel-Gesellschaft haben wird. Nicht zuletzt hiervon hängt ab, welchen Einfluss die Arbeitnehmervertretung haben wird. Momentan versucht man, den Fuß in die Tür zu bekommen und in den Verhandlungen das Beste herauszuholen. Auch das geschieht geräuschlos. Noch.Beim Weg nach draußen fällt ein Banner im Obergeschoss des Foyers in den Blick. „Ist Opel noch so, wie Sie denken? Schauen Sie doch mal nach.“ Der Spruch ist Teil der 2014 lancierten Umparken-Kampagne, in der Opel seinen ramponierten Ruf offensiv und selbstironisch aufgegriffen hat, um neu anzugreifen. Angesichts der aktuellen Entwicklungen bekommt er eine neue Bedeutung: Ob Opel in Zukunft noch so sein wird, wie man dachte?Zurück beim Adam-Opel-Denkmal am Bahnhofsvorplatz im Zentrum Rüsselsheims. Der Firmengründer starrt weiter auf den Platz, auf dem sich in der Dämmerung eine Menschenmenge zu einer Kundgebung versammelt hat. Auch Mitglieder des Magistrats sind dabei. Man dürfe sich das nicht bieten lassen und müsse solidarisch zusammenstehen, hallt es durch die Lautsprecher. Um Opel geht es hier und jetzt aber nicht. Die Kundgebung erinnert an den in der Türkei inhaftierten Journalisten Deniz Yücel, der hier in Rüsselsheim Abitur gemacht hat.Vielleicht ist es Zeit, das Denkmal zurück zu Tor 20 zu bringen.Placeholder authorbio-1
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