Silvester hält uns erneut den Spiegel vor

Kommentar zu Köln Das Echo auf Simone Peters Polizeikritik zeigt, wie schlecht es um die Diskussionskultur in Deutschland steht

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Polizeikräfte vor dem Kölner Hauptbahnhof in der Silvesternacht
Polizeikräfte vor dem Kölner Hauptbahnhof in der Silvesternacht

Foto: Maja Hitij/AFP/Getty Images

Das neue Jahr beginnt wie das alte: Man spricht über die Silvesternacht am Kölner Hauptbahnhof, über Zuwanderung und über das Vorgehen der Polizei. Letztere stand vor zwölf Monaten in der Kritik, als sie sich im Angesicht der Gewalteskalation als unvorbereitet und hilflos erwies. Heute erntet sie vor allem Lob für ihr erfolgreiches und kompromissloses Durchgreifen.

Umso größer ist die Entrüstung, die Grünen-Chefin Simone Peter mit ihrer Kritik an den vermeintlich rassistischen Selektionsmaßnahmen der Kölner Beamten hervorruft. Sie sollte sich bei der Polizei entschuldigen, heißt es im „Kölner Stadt-Anzeiger“, „Bild Online“ ist sich in Anlehnung an den umstrittenen „Nafri“-Tweet nicht zu dumm für eine Wortneuschöpfung namens „Grüfri“, was für „Grün-Fundamentalistisch-Realitätsfremde Intensivschwätzerin“ stehen soll.

Kritik ist Bedingung für gesellschaftlichen Fortschritt

Die Debatte ist ein Spiegelbild der Diskussionskultur in Deutschland zu Beginn des Jahres 2017. Unabhängig davon, das Verhalten der Kölner Polizei pauschal als richtig oder falsch beurteilen zu wollen, und diesen Anspruch wird Simone Peter kaum verfolgt haben, wirft der Fall eine Frage auf: Auf welchem Niveau wollen wir über grundlegende Belange unseres Zusammenlebens kommunizieren?

Kritik ist Bedingung für gesellschaftlichen Fortschritt. Das gilt auch für das Auftreten der Exekutive gegenüber den ihr Schutzbefohlenen. Rafael Behr, Professor an der Akademie der Polizei Hamburg, schrieb jüngst von einer sich militarisierenden Polizei, die zunehmend danach strebt, Kontrollmaßnahmen von außen zu reduzieren. Behr selbst sieht hierin eine Vorbedingung „zur Militarisierung der Gesellschaft“. Das ist durchaus eine besorgniserregende Entwicklung.

„Wenn Angst und Hass siegen, haben die Terroristen gewonnen.“ So oder so ähnlich hieß es nach Anschlägen wie in Paris, Ansbach oder kürzlich Berlin. Zu der viel beschworenen „freien Art zu leben“ gehört auch eine Polizei, die dem Grundgesetz verpflichtet und der Öffentlichkeit in gewissem Maße Rechenschaft schuldig ist. Sobald sie tun kann, was sie will und wie sie will, ist ein Schritt hin zum autoritären Staat gemacht. Spätestens dann haben die Terroristen gewonnen, und mit ihnen Pegida und AfD.

Immer mehr Meinungsführer stellen Gefühl über Vernunft

Um es deutlich auszudrücken: Es geht nicht darum, die Beamten und ihren Einsatz grundlegend zu verurteilen. Szenen wie 2015 durften sich nicht wiederholen und haben sich nicht wiederholt. Das Großaufgebot der Polizei war angemessen, auch weil erneut Gruppen aggressiv auftretender, und ja, wohl überwiegend nordafrikanischer junger Männer auf dem Weg nach Köln waren. Doch zwischen richtig und falsch, zwischen schwarz und weiß existieren Grautöne, die mit Vorliebe ausgeblendet werden. Die Methode der Polizei wirft Fragen auf, und diese Fragen hat Simone Peter gestellt. Dafür muss sie sich bei niemandem entschuldigen.

Die Kölner Silvesternacht hat Deutschland vor einem Jahr den Spiegel vorgehalten. Rassisten und besorgte Bürger sahen ihre Zeit gekommen und hetzen bis heute hemmungslos, beleidigend und bedrohend gegen Zuwanderer. Die recht(s) beliebte Floskel „Man wird ja wohl noch sagen dürfen“ ist weitgehend aus ihrem Sprachgebrauch verschwunden, denn „gefühlt“ darf man seitdem alles sagen. Zwölf Monate später ist der Spiegel wieder da und zeigt: Der Ton ist noch schärfer, der Blick noch enger geworden, und immer mehr Meinungsführer in Medien und Politik stellen dabei Gefühl über Vernunft.

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