Kein Must-have

Polemik Es kleidet den Journalisten leider nicht wie einst die Zigarette im Mund. Zum „erzählenden Sachbuch“
Ausgabe 48/2015

Neben mir stapeln sich Sachbuchneuerscheinungen zu einer anderthalb Meter hohen Papiersäule. Mit schnellem Schwung ziehe ich wahllos einzelne Bände heraus. Vier kann ich ohne Schaden ergattern, beim fünften Versuch kollabiert der Turm. Ich bringe es nicht übers Herz, Bücher wegzuschmeißen, drum wandern die umherliegenden Trümmer in Kisten für den Flohmarkt oder den Kirchenbasar. Die fünf ausgewählten Exemplare lege ich auf meinen Schreibtisch. Ulrich Schnabel, Meike Winnemuth, Florian Werner, Werner Bartens, Dieter Könnes heißen die Verfasser. Fünf Bücher, fünf populäre Themen, fünf renommierte Journalisten als Autoren. Ich wiege die Bände in der Hand, beginne mit dem Studium der Inhalte und denke: Man muss nach den Ursachen fragen, wenn Angehörige einer Berufsgruppe nicht mehr ihr Kerngeschäft bedienen. Warum schreiben immer mehr Journalisten, die doch mithilfe ihrer Medien die Menschen informieren und gesellschaftliche Meinungsbildungsprozesse in Gang treiben sollen, diese Dinger?

Aus der Komfortzone

Klar, die meisten dieser Bücher werden geschrieben, weil sich der Autor davon Geld erhofft. Freie Autoren sind auf verschiedene Einkommensquellen angewiesen, Bucherlöse und vor allem Vorschüsse sind bei vielen ein fester Teil des Auskommens. Für einige, oft noch festangestellte Journalisten kommt ein weiteres Motiv dazu. Sie empfinden ihren Beruf als zunehmend unattraktiv. Zeitungen, Zeitschriften werden weniger gelesen, Fernsehen ist eine aussterbende Gattung. Dass also die Macht der Macher verblasst ist, mag manchem Medienmenschen sein Geschäft verleiden. Dann das andere Extrem: Journalismus als Feindbild, vermeintlich korrumpiert, tendenziös, infiltriert. Man kann die Hysterie, mit der der Befund vorgetragen wird, schelten.

Das dahinterstehende Gefühl indes ist so falsch nicht. Die Abhängigkeit von Werbung, die Implosion verlegerischer (und damit politischer) Vielfalt infolge der medienindustriellen Konzentrationsprozesse, das Gesundschrumpfen der Redaktionsstäbe, Outsourcing an Freelancer, Übernahme von Agenturprodukten – all das hat die Selbst- und Fremdbilder der Medien durchgerüttelt. Sensiblen Journalisten, frei oder angestellt, wäre das Buch durchaus ein Ort, die vermisste Gründlichkeit nachzuholen, sich auf die Tugenden des Berufs, das Ethos journalistischer Verantwortung zu besinnen.

Tatsächlich gibt es auch diese Bücher. Die profunde Analyse politischer, wirtschaftlicher, sozialer Zusammenhänge. Die alternative Reportage, in der der Journalist zu Fuß durchs Land wandert, in fremde Rollen schlüpft, mit Langmut und Akribie über Jahre hin Veränderungen aufzeichnet, sich gar hinter die Kamerapulks stellt, um die Eigendynamik des Medienapparates zu thematisieren, dem er selbst angehört. Ja, das gibt es – doch längst nicht allein als neue journalistische Domäne. Die schmissigsten Analysen leisten Fachwissenschaftler mit Sinn für Populismus, die spektakulärsten Neuerscheinungen kamen von Wirtschaftswissenschaftlern. Verkleideten Reportern wiederum eignet etwas Groteskes.

Darüber hinaus muss man feststellen, dass das Gros journalistischer Buchproduktion einer Textsorte gilt, die oft jenseits von Ethos, Recherche, Anliegen und Haltung angesiedelt ist, die Rede ist vom „erzählenden Sachbuch“. Zu dieser Gattung muss man die fünf Buchexemplare auf meinem Schreibtisch rechnen, mit denen ich mich mittlerweile ausführlicher beschäftigt habe.

Fall eins, Was kostet ein Lächeln? Von der Macht der Emotionen in unserer Gesellschaft vom Bestsellerautor Ulrich Schnabel, macht uns mit zwei journalistischen Untugenden par excellence vertraut: Phrasendreschen und Zeilenschinden. Der preisgekrönte Autor verliert in seiner weitschweifigen Einleitung über die Documenta folgende Sätze: „Diese weltgrößte Schau der Gegenwartskunst reißt alle fünf Jahre das unscheinbare Kassel aus seinem Dornröschenschlaf und katapultiert es ins Zentrum der globalen Kunstwelt. Hunderte von Exponaten sind dort zu sehen, manche so groß, dass sie ganze Hallen füllen und für Millionensummen gehandelt werden, andere so unscheinbar, dass sie fast übersehen werden.“ Ich lasse den Band in eine der Kisten plumpsen.

Verzichtbar: Intimbeichten

Fall zwei macht mit Alltagsphilosophie aus der Komfortzone gute Kasse. Um es kurz zu machen: Über das unverschämte Glück, auf der Welt zu sein lautet der Titel des neuen Buchs der Bestsellerautorin Meike Winnemuth. Das Lesen ist ungefähr so erträglich wie aus Versehen in den Sinnsuche-Fernsehbeitrag mit Christine Westermann zu zappen, was neulich geschah, wo sie vermutlich schon ihr Buch Da geht noch was. Mit 65 in die Kurve abgegeben hatte.

Casus Numero drei: Florian Werner ist promovierter Literaturwissenschaftler. Sein Buch Die Kuh. Leben, Werk und Wirkung (2009) wurde von der Zeitschrift Bild der Wissenschaft zum Wissenschaftsbuch des Jahres gewählt, er kann also was. Schnecken. Ein Porträt ist nun in der schönen Reihe Naturkunden bei Matthes und Seitz erschienen. „Meine Frau kann meine überbordende Begeisterung für diese Tiere keineswegs nachvollziehen. In unserer Tochter habe ich zwar eine verlässliche molluskophile Verbündete; sie ist aber noch klein und hat auch ein Faible für Matsch, Kacka und Popel.“ Ich weiß nicht, vielleicht finden Sie, lieber Leser, das ja süß, aber ich mag diese Anbiederung durch Intimbeichte nicht. Plumps, weg damit.

Folgen Fälle vier und fünf, „Locked-in“- und „Me too“-Syndrom. Der Terror der Gesundesser. Schluss mit den falschen Ernährungsvorschriften vom SZ-Autor Werner Bartens offenbart auf bestürzende Weise, dass manche Journalisten die Welt anscheinend nur durch die Medien wahrnehmen und nicht etwa durch eigene Anschauung. Im vorliegenden Fall wird die déformation professionelle in bekenntnishafte Tertiär- oder Quartärprosa gegossen, indem der Autor Diätideen von Vorgestern nacherzählt. Wer will’s wissen?

Das gierige Bündnis. Wie uns Unternehmen und Behörden gemeinsam abzocken (Dieter Könnes) schließlich zeigt beispielhaft, dass zwar alles schon gesagt wurde, aber eben noch nicht von allen: Geschichten vom Grünen Punkt, Dämmstoffplatten, Altkleiderprofiteuren sind alles altbekannte Aufreger auf Stammtischniveau – neu aufgegossen. Zweimal Ex und hopp. Zweimal dumpfer Aufprall in der Kiste.

Was lässt sich aus den Befunden ableiten? Zunächst, dass die hoffnungsfrohe Ausgangsthese, Journalisten würden im Angesicht ihrer gewandelten Arbeitswelt das Bücherpublizieren zur Restitution verlorener Berufstugenden nutzen, schwerlich zu halten ist. Keiner der genannten Autoren rauft sich zusammen und besinnt sich auf seine Verantwortung oder wenigstens auf den guten Geschmack. Stattdessen treibt jeder einzelne Titel die Entfremdung von journalistischer Arbeit auf die Spitze. Die Literaturagenturen und Verlage und Werbestrategen, die solche Werke in den Verwertungskreislauf des Medienkonsums einspeisen, sind natürlich beteiligt, die Lektoren machen eben ihren Job.

Was aber treibt Journalisten an? Ist ihr Schreiben reflexhafte Beschäftigungstherapie, eine Art Übersprungshandlung, die sich im Mechanischen erschöpft, und: weil das Buch eben fertig werden muss, der Vorschuss schon bezahlt ist? Ich weiß es nicht. Was ich aber weiß: Zum Versuch der Selbstbestätigung taugt das „erzählende Sachbuch“ solcher Qualität einfach nicht.

Ich schließe die Bücherkisten und halte inne. In absehbarer Zeit werden solche Texte von Computerprogrammen generiert, denke ich. Und: Wir können nicht alle Glenn Greenwald, Kisch, Kracauer oder Hunter S. Thompson sein. Bleibt die Frage, wie ich mit diesen Büchern umgehe. Sie der Kirche unterzuschieben wäre unethisch. Sollte man sie doch wegschmeißen? Ich weiß es nicht.

Christian Welzbacher gibt sich Mühe, seine Sachbücher nicht im Glashaus zu schreiben. Zuletzt hat er sich als Neuherausgeber von Paul Westheims Roman Heil Kadlatz aus dem Jahr 1936 versucht (Matthes & Seitz)

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